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Vergabe: Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung – Ware „für Forschungszwecke“

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

BVergG 2018: § 36

Gem § 36 Abs 1 Z 5 BVergG 2018 können Lieferaufträge im Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung vergeben werden, wenn es sich um Waren handelt, die „ausschließlich zu Forschungs-, Versuchs-, Untersuchungs- oder Entwicklungszwecken hergestellt werden, wobei der Lieferauftrag jedoch nicht die Serienfertigung zum Nachweis der Marktfähigkeit der Ware oder zur Deckung der Forschungs- und Entwicklungskosten umfassen darf“.

Für die Inanspruchnahme dieser Ausnahmebestimmung reicht es nicht aus, dass die zu beschaffende Ware als Pilotprojekt oder für Forschungszwecke eingesetzt werden soll und aus diesem Grund Forschungszwecken dient. Vielmehr muss der Gegenstand der Lieferung selbst den Charakter eines Forschungsobjekts aufweisen, was die Inanspruchnahme der Ausnahme rechtfertigt. Anhand des Inhalts des Auftrags ist auch zu prüfen, ob die zu liefernde Ware eine solche darstellt, die aufgrund der Spezifikationen nicht auch von anderen Anbietern am Markt erbracht werden könnte, etwa weil die entsprechenden Vorgaben in dem Auftrag bereits vom Auftraggeber detailliert festgeschrieben sind.

VwGH 27. 6. 2023, Ra 2020/04/0027

Entscheidung

Nach der Judikatur des EuGH sind die Rechtfertigungsgründe für die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung eng auszulegen (vgl EuGH 15. 10. 2009, C-275/08, Kommission gegen Deutschland, Rz 54 ff). Die Beweislast dafür, dass die außergewöhnlichen Umstände tatsächlich vorliegen, trägt derjenige, der sich darauf berufen will; im Vergabekontrollverfahren muss ihm die Gelegenheit gegeben werden, den Beweis zu erbringen.

Nach den ErläutRV zu § 36 Abs 1 Z 5 BVergG 2018 trifft diese Bestimmung Vorkehrung für den Fall, dass bei Forschungsarbeiten mit besonders vertraulichen Daten diesem Umstand durch die Wahl des Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung Rechnung getragen können werden solle. Aus dem Gebot der restriktiven Interpretation ergebe sich, dass von diesem Ausnahmetatbestand nur die Lieferung von Prototypen oder limitierten Testserien erfasst sei, während bereits fertig entwickelte/getestete Produkte nicht unter die Z 5 fallen könnten, selbst wenn sie von Forschungsinstituten für ihre Forschungstätigkeit verwendet würden (vgl RV 69 BlgNR 26. GP).

In diesem Zusammenhang verweisen die ErläutRV auch auf die E EuG 26. 7. 2012, T-54/11, Kommission gegen Spanien, in dem das Gericht eine Einstufung als „nur zum Zweck von Forschungen, Versuchen, Untersuchungen oder Entwicklungen hergestelltes“ Erzeugnis verneinte. Der dortige Lieferauftrag stand iZm einem Pilotprojekt zur Vornahme von Versuchen, um geeignete Modalitäten für die Datenübertragung auf dem Gebiet der Gesundheitsversorgung zu erarbeiten. Die spanischen Behörden wussten bereits, welches Material zur Erreichung ihres Ziels erforderlich war; es ging darum, das genau festgelegte und detailliert beschriebene (Informatik-)Material zu installieren, das bereits auf dem Markt erhältlich war. Dazu wäre auch ein gewöhnlicher Anbieter aus der betreffenden Branche in der Lage gewesen (vgl dort Rn 41).

Im vorliegenden Fall hat das BVwG den Inhalt des Lieferauftrags nicht näher beleuchtet und insofern das angefochtene Erkenntnis mit einem sekundären Feststellungsmangel belastet. So fehlen etwa Feststellungen, die die Beurteilung erlauben, ob der Lieferauftrag iSd ErläutRV zu § 36 BVergG 2018 schützenswerte Forschungs- und Entwicklungsdaten enthalte. Insofern lässt sich nicht beurteilen, inwiefern mit dem Lieferauftrag selbst Forschungs- und Entwicklungszwecke verbunden sind, die mit dem in den Erläut erwähnten Schutzzweck betr vertraulicher Daten überhaupt im Zusammenhang stehen. Auch fehlen jegliche Feststellung zum Vorbringen der Revisionswerberin, die beauftragte Leistung hätte ebenso von anderen Anbietern - ua der Revisionswerberin - erbracht werden können.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 34415 vom 24.08.2023