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VfGH: Abgabenverfahren – Wiederaufnahme nach Verjährung

Bearbeiter: Barbara Tuma

BAO: § 304

Der VfGH hat die geltende Fassung des § 304 BAO (idF BGBl I 2013/14) mit Ablauf des 31. 12. 2018 wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz als verfassungswidrig aufgehoben; frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

Nach § 304 BAO idgF BGBl I 2013/14 ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach Eintritt der Verjährung „nur zulässig, wenn der Wiederaufnahmsantrag vor Eintritt der Verjährung eingebracht ist.“ Wie bereits im Prüfungsbeschluss dargelegt hält es der VfGH zwar für unbedenklich, wenn der Gesetzgeber aus Gründen der Rechtssicherheit die Möglichkeit für einen Wiederaufnahmeantrag beschränkt. Der Gesetzgeber hat dabei allerdings dem Sachlichkeitsgebot zu entsprechen, was hier bei Anknüpfen an eine Verjährungsfrist von grundsätzlich drei bzw fünf Jahren (§ 207 Abs 2 BAO) nicht der Fall ist. Dass während eines (Rechtsmittel-)Verfahrens kein Neuerungsverbot besteht, ändert nichts daran, dass nach Abschluss des (Rechtsmittel-)Verfahrens durch die Maßgeblichkeit der Verjährungsfrist eine Wiederaufnahme des Verfahrens in vielen Fällen nicht mehr möglich sein wird (so etwa dann, wenn die Abgabenbehörde den Bescheid erst nach Ablauf der Verjährungsfrist erlässt). In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung, dass § 304 BAO nicht zwischen den verschiedenen Wiederaufnahmegründen differenziert.

VfGH 30. 11. 2017, G 131/2017, G 286/2017

Zum Prüfungsbeschluss VfGH 28. 6. 2017, E 250/2017, siehe Rechtsnews 23833

Prüfungsverfahren – Vorbringen der Bundesregierung

Die Sachlichkeitsbedenken des VfGH versuchte die Bundesregierung im Verfahren im Wesentlichen damit auszuräumen, dass sich der Verjährungszeitraum (durch den Wegfall der einjährigen Verjährungsfrist) verlängert habe und Vorkehrungen geschaffen worden seien, um die Möglichkeit einer Wiederaufnahme auch bei anhängigen Rechtsmittelverfahren zu gewährleisten: Seit der Novellierung durch das Finanzverwaltungsgerichtsbarkeitsgesetz 2012, BGBl I 2013/14, könne ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren gem § 303 Abs 1 BAO auch vor formeller Rechtskraft der Entscheidung wiederaufgenommen werden. Darüber hinaus stünde es dem Betroffenen in Ermangelung eines Neuerungsverbotes auch offen, in einem anhängigen Rechtsmittelverfahren jene Tatsachen vorzubringen, die eine Wiederaufnahme rechtfertigten.

Entscheidung

Die Argumente der Bundesregierung konnten die Bedenken des VfGH gegen die Sachlichkeit des § 305 BAO nicht widerlegen:

Die Möglichkeit einer Wiederaufnahme des verwaltungsbehördlichen Verfahrens entfaltet ihre Bedeutung für den Betroffenen erst nach Abschluss eines etwaigen Rechtsmittelverfahrens: Da in diesem kein Neuerungsverbot besteht (§ 270 BAO), bietet die Eröffnung eines zweiten Verfahrens über dieselbe Sache durch den Antrag auf Wiederaufnahme keinen Vorteil, der im gegebenen Zusammenhang zu berücksichtigen wäre. Erst ab dem Zeitpunkt, ab dem der Betroffene gehindert wird, das in § 303 Abs 1 BAO genannte Vorbringen in einem laufenden Verfahren zu erstatten, erlangt die Möglichkeit einer Wiederaufnahme des Verfahrens Bedeutung.

Selbst unter Berücksichtigung des § 209 Abs 1 BAO, wonach sich die Verjährungsfrist durch Verfolgungshandlungen um ein Jahr verlängert, wird es aber durch die Maßgeblichkeit der (drei- bzw fünfjährigen; § 207 Abs 2 BAO) Verjährungsfrist für die Möglichkeit einer Wiederaufnahme in vielen Fällen nicht mehr möglich sein, nach Abschluss des (Rechtsmittel-)Verfahrens eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu erwirken; so etwa dann, wenn die Abgabenbehörde den Bescheid erst nach Ablauf der Verjährungsfrist erlässt. In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung, dass § 304 BAO nicht zwischen den verschiedenen Wiederaufnahmegründen differenziert.

Der VfGH bleibt daher bei seiner Annahme, wonach § 304 BAO idgF BGBl I 2013/14, dem aus dem Gleichheitssatz erfließenden Sachlichkeitsgebot widerspricht.

Hinweis: Zur Aufhebung der Vorgängerbestimmungen des § 304 BAO vgl auch

-VfGH 22. 6. 1992, G 3/92, ARD 4408/31/92, VfSlg 13.114/1992, bzw
-VfGH 16. 6. 1994, G 97/94, ARD 4581/51/94, VfSlg 13.778/1994.
Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 24779 vom 11.01.2018