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EStG: § 9 Abs 1, 2, 5; § 14 Abs 6, 12
Abstract
Der VfGH bestätigte die Verfassungskonformität der unterschiedlichen Abzinsungssätze bei langfristigen Rückstellungen. Zuvor hatte das BFG in mehreren Normprüfungsanträgen an den VfGH verfassungsrechtliche Bedenken gehegt, ob eine Ungleichbehandlung hinsichtlich der Abzinsungssätze bei langfristigen Rückstellungen (6 % bei Sozialkapitalrückstellungen vs 3,5 % bei sonstigen langfristigen Rückstellungen) sachlich gerechtfertigt wäre. Der VfGH billigte dem Gesetzgeber einen rechtspolitischen Gestaltungsspielraum bei der Wahl der Höhe der Abzinsungssätze zu. Die Auswirkung auf das laufende Steueraufkommen sah der VfGH dabei als zentrale sachliche Rechtfertigung an.
VfGH 27. 11. 2020, G 173-174/2020 ua
Normprüfungsanträge des BFG
Das EStG sieht für langfristige Verbindlichkeits- und Drohverlustrückstellungen einen Abzinsungsfaktor iHv 3,5 % vor (§ 9 Abs 5 EStG) und für schon dem Grunde nach ebenfalls langfristige Jubiläumsgeld- und Pensionsrückstellungen (auch Personalrückstellungen oder Sozialkapitalrückstellungen genannt) einen Abzinsungsfaktor iHv 6 % (§ 9 Abs 1 Z 2 und Abs 2 EStG, § 14 Abs 6 und 12 EStG).
Das BFG hegte mit Blick auf den Gleichheitssatz gem Art 7 B-VG und Art 2 StGG verfassungsrechtliche Bedenken, ob eine derartige Ungleichbehandlung hinsichtlich der Abzinsungssätze bei langfristigen Rückstellungen (3,5 % vs 6 %) sachlich gerechtfertigt sei und brachte daher mehrere Normprüfungsanträge beim VfGH ein (BFG 13. 1. 2020, RN/7100001/2019, RN/7100002/2019, RN/7100003/2019; 14. 1. 2020, RN/7100010/2019; 25. 3. 2020, RN/7100001/2020, RN/7100002/2020; 23. 7. 2020, RN/7100006/2019; 14. 8. 2020, RN/7100005/2020, RN/7100006/2020; vgl dazu Klokar/Riedl, Differenzierung der Abzinsungssätze für langfristige Rückstellungen verfassungswidrig? ecolex 2020, 441 ff).
Entscheidung des VfGH
Der VfGH teilte die Bedenken des BFG nicht und wies die Normprüfungsanträge ab (vgl dazu bereits Lang/Rebisant/Rzeszut, Abzinsungsfaktor iHv 6 % für Pensions- und Jubiläumsgeldrückstellungen nicht verfassungswidrig, SWK 2021, 89 ff; Deutsch, Abzinsung von Rückstellungen – verfassungskonform, BFGjournal 2021, 5 ff).
Eine Differenzierung der Abzinsungssätze verletze laut VfGH den Gleichheitssatz schon deshalb nicht, weil es dem Gesetzgeber im Rahmen seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes freistehe, die Steuer- und Zinseffekte für sachverhaltsmäßig unterschiedliche Gruppen von langfristigen Rückstellungen je nach Einschätzung der Erheblichkeit der Beeinträchtigung von Rückstellungsbildungen für das laufende Steueraufkommen unterschiedlich zu behandeln. Das Abzinsungsgebot für langfristige Rückstellungen bringe laut VfGH zum Ausdruck, dass – unabhängig davon, ob einer Verpflichtung eine Ungewissheit anhaftet – eine später zu erfüllende Verpflichtung weniger belastend ist als eine zu einem früheren Zeitpunkt zu erfüllende Verpflichtung. Durch die Abzinsung werde die Abzugsfähigkeit des betreffenden Aufwandes nicht verhindert, sondern – sofern die späteren Ausgaben mit dem geschätzten Rückstellungsbetrag übereinstimmen – lediglich in das Jahr der Ausgabe verschoben. In diesem Zusammenhang übersehe das BFG, dass der Abzinsungssatz im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung nicht nur die Zinseffekte bei der Bewertung zukünftiger Ausgaben berücksichtigt, sondern auch die aus der Rückstellungsbildung resultierende Beeinträchtigung für das laufende Steueraufkommen.
Wenn der Gesetzgeber für langfristige Rückstellungen außerhalb des Sozialkapitals eine Abzinsung von 3,5 % vorsehe, ergebe sich laut VfGH für den Gesetzgeber keine Verpflichtung, den für Sozialkapital vorgesehenen Rechnungszinsfuß auf 3,5 % zu reduzieren. Die Differenz bringe lediglich zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber im Rahmen seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes den Effekt von Sozialkapitalrückstellungen auf das laufende Steueraufkommen offensichtlich höher einschätze als jenen von sonstigen langfristigen Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten. Der Gesetzgeber schließe hierbei den sich hieraus ergebenden Differenzbetrag nicht von der steuerlichen Wirksamkeit aus, sondern verschiebe die Abzugsfähigkeit insoweit lediglich auf einen späteren Zeitpunkt.
Aus diesen Gründen sei für den VfGH nicht zu erkennen, dass eine solche unterschiedliche Behandlung unsachlich wäre.
Conclusio
Der VfGH erkennt den gesetzlichen Abzinsungsfaktor iHv 6 % für Pensions- und Jubiläumsgeldrückstellungen (§ 14 Abs 6 Z 6 iVm Abs 12 EStG) als verfassungskonform an und sieht dabei die Differenzierung der Abzinsungssätze im Rahmen des rechtspolitischen Gestaltungsspielraums, um dem Effekt von Sozialkapitalrückstellungen auf das laufende Steueraufkommen Rechnung zu tragen. Mit diesem Erkenntnis legt der VfGH den rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Steuergesetzgebers sehr weit aus. Damit sind auch weiterhin Abzinsungssätze möglich, die vom realen Zinsniveau völlig entkoppelt sind.