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Energiekrisenbeitrag-StromG: §§ 1–11
NotfallmaßnahmenVO (EU) 2022/1854: Art 3–13
Abstract
Das Bundesgesetz über den Energiekrisenbeitrag-Strom (EKBSG, BGBl I 2022/220) führte in Österreich in Reaktion auf die Energiekrise eine Abgabe für die Produzenten von im Inland erzeugten Strom aus fossilen als auch aus erneuerbaren Quellen ein (siehe § 1 EKBSG). Durch diesen „Energiekostenbeitrag-Strom“ („EKB-S“) wurde für den verfahrensrelevanten Zeitraum von 1. 12. 2022 und 30. 6. 2023 gem § 3 EKBSG der über 140,00 €/MWh (für Juni 2023 über 120 €/MWh) hinausgehende Markterlös zu 90 % abgeschöpft. Das EKBSG erging zunächst in Umsetzung der mittlerweile außer Kraft getretenen EU-VO 2022/1845 über Notfallmaßnahmen als Reaktion auf die hohen Energiepreise („Notfallmaßnahmen-VO“), die in Art 6 eine verbindliche Obergrenze für Markterlöse von Stromerzeugern festschrieb, ist heute allerdings auch ohne unionsrechtliche Grundlage in Geltung. Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin (Bf) eine Vielzahl an verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den EKB-S im Zuge einer Erkenntnisbeschwerde gem Art 144 Abs 1 B-VG vor dem VfGH vorgebracht. Der VfGH teilte die Einwände der Bf jedoch nicht und wies die Beschwerde ab.
VfGH 11. 12. 2024, E 1757/2024
Sachverhalt
Die Bf ist Stromerzeugerin im Bereich der erneuerbaren Energien und entrichtete den selbstbemessenen EKB-S für den Zeitraum zwischen 1. 12. 2022 und 30. 6. 2023. Daraufhin beantragte sie jedoch bei der Behörde innerhalb der dafür vorgesehen Monatsfrist gem § 201 Abs 3 BAO, den EKB-S stattdessen auf 0 € festzusetzen und die bereits überwiesene Abgabe zurückzuzahlen. Dies begründete sie mit der Verfassungswidrigkeit des EKBSG. Nach der Abweisung des Antrags und der erfolglosen Beschwerde vor dem BFG machte die Bf in der folgenden Erkenntnisbeschwerde ua folgende Verstöße des EKB-S gegen das Verfassungsrecht geltend:
Der EKB-S verstoße gegen das aus dem Gleichheitssatz (Art 7 Abs 1 B-VG) abgeleitete Leistungsfähigkeitsprinzip, weil dieser nicht auf den realisierten Gewinn, sondern auf den Erlös abstellt.
Der EKB-S sei weiters gleichheitswidrig, weil dadurch Stromerzeuger und fossile Energieträger ohne sachliche Rechtfertigung ungleich behandelt würden. Für Letztere besteht ein eigener, ebenfalls auf die EU-Notfallmaßnahmen-VO zurückgehender Energiekostenbeitrag („EKB-F“), der aber nicht den Erlös, sondern den Differenzbetrag zwischen steuerpflichtigem Gewinn im zeitlichen Anwendungsbereich des EKBFG und dem Durchschnittsgewinn vor der Energiekrise besteuert (vgl §§ 1 ff EKBFG).
Da sich die Abgabe gem § 11 Abs 1 EKBSG nach den Erlösen seit 1. 12. 2022 bemisst, das Gesetz aber erst am 29. 12. 2022 im BGBl publiziert wurde, liege eine verfassungsrechtlich bedenkliche echte Rückwirkung des EKB-S vor, soweit die Erlös-Obergrenze des EKBSG (140,00 €/MWh oder 120 €/MWh) die unionsrechtlich determinierte Obergrenze in der am 7. 10. 2022 kundgemachten Notfallmaßnahmen-VO (180,00 €/MWh) unterschreitet.
Das EKBSG habe das Unionsrecht darüber hinaus nicht richtig umgesetzt: Bspw schreibt Art 10 der VO den Mitgliedstaaten vor, die abgeschöpften Überschusserlöse gezielt für die Reduktion der Strompreise der Endkunden einzusetzen. Das EKBSG ist aber zur Zweckerreichung ungeeignet und daher unsachlich, weil keine Zweckwidmung der Abschöpfung im österreichischen Umsetzungsgesetz vorgesehen ist.
Entscheidung des VfGH
Die Preisbildung am Strommarkt orientiert sich am teuersten Kraftwerk, das zur Deckung des Strombedarfs noch zugeschaltet wird („Merit-Order-Modell“). Da dies meistens ein Gaskraftwerk ist, hat die Energiekrise zu außerordentlichen Erlösen für alle Stromerzeuger geführt, auch wenn diese mit keinen gestiegenen Grenzkosten konfrontiert waren. Der EKB-S soll die Mehrerlöse, die typisierend betrachtet über den begründeten Investitionserwartungen liegen, belasten und gleichzeitig ein Mittel zur Finanzierung von Unterstützungsleistungen an Stromendkunden darstellen. Die Erlösobergrenze ist gem Art 7 Abs 1 Notfallmaßnahmen-VO mit 180 €/MWh festgelegt, die Mitgliedstaaten können jedoch nach Art 8 leg cit weitergehende Begrenzungen der Markterlöse vorsehen. Auch sonst hegt der VfGH keine Zweifel, dass sich der österreichische Gesetzgeber innerhalb des unionsrechtlichen Gestaltungsspielraums der einschlägigen „hinkenden“ Verordnung (vgl Öhlinger/Eberhard/Potacs, EU-Recht und staatliches Recht8 [2023] 73 f) bewegt. Innerhalb des Gestaltungsspielraumes ist das EKBSG nach dem Grundsatz der doppelten Bindung aber auch am österreichischen Verfassungsrecht zu messen (vgl zB VfGH 13. 12. 2023, G 212/2023).
Zur Heranziehung des Erlöses als Bemessungsgrundlage für den EKB-S erwägt der VfGH, dass dies in Anbetracht der besonderen Situation einer massiven Störung des Strommarktes – für einen angemessenen, begrenzten Zeitraum – nicht gegen den Gleichheitssatz verstößt. Dabei ist auch die einfache Handhabung einer so festgelegten Erlös-Obergrenze zu berücksichtigen. Zudem muss der EKB-S keine senkende Wirkung auf die Strompreise der Endkunden haben, wenn die durch die Abgabe erhobenen Mittel der Finanzierung von entlastenden Zuschüssen dienen. Eine ausdrückliche Zweckbindung der Mittel im EKBSG ist aber weder verfassungsrechtlich noch durch die Notfallmaßnahmen-VO geboten – vielmehr genügt es, wenn Österreich der Verpflichtung zur Unterstützung der Endkunden tatsächlich nachkommt. Da den Einnahmen von 255 Mio € aus dem EKB-S und dem EKB-F im Jahr 2023 Entlastungen durch das Stromkostenzuschussgesetz iHv 900 Mio € gegenüberstehen, ist keine solche Pflichtverletzung zu erkennen.
Da sich die Lage deutlich vom Sektor für fossile Brennstoffe unterscheidet, verstößt der Gesetzgeber nicht gegen den Gleichheitssatz, wenn er für Stromerzeuger angesichts der kurzfristig notwendig gewordenen Umsetzung der Notfallmaßnahmen-VO eine leicht handhabbare und zeitlich begrenzte Besteuerung des Erlöses über der Obergrenze vorsieht. Ebenso wenig ist in der Einheitlichkeit der Obergrenze für alle Stromerzeuger ohne Differenzierung nach Produktionstechnologien ein Verstoß gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip zu erkennen – insb, da sich der Preis am Strommarkt ebenso einheitlich bestimmt und § 3 Abs 3 EKBSG ohnehin eine Berücksichtigung von Investitions- und Betriebskosten zulässt, wenn diese über der Obergrenze liegen.
Auch in der Rückwirkung des EKBSG ist keine Verfassungswidrigkeit zu erkennen. Eine echte Rückwirkung ist nur gleichheitsrechtlich verpönt, sofern der Normunterworfene durch einen Eingriff von erheblichem Gewicht in einem berechtigten Vertrauen auf die Rechtslage enttäuscht wurde und nicht besondere Umstände eine solche Rückwirkung verlangen (vgl zB VfSlg 12.186/1989). Die erst am 7. 10. 2022 kundgemachte Notfallmaßnahmen-VO sieht gem Art 22 Abs 2 lit c vor, dass die Bestimmungen über den EKB-S bereits am 1. 12. 2022 in Kraft treten. Diese kurze und vom österreichischen Gesetzgeber unmittelbar wahrgenommene Umsetzungsfrist stellt einen besonderen Umstand dar, der die Rückwirkung des EKBSG zu rechtfertigen vermag.
Eine von der Bf behauptete Verletzung verfassungsrechtlich gewährter Rechte konnte der VfGH sohin nicht feststellen. Die Beschwerde war daher abzuweisen.
Conclusio
Der vorliegende Fall veranschaulicht die umstrittene Gestaltung der sog Übergewinnsteuern als Reaktion auf die Energiekrise in Europa. Im Ergebnis bestätigt der VfGH das Erkenntnis des BFG, das die verfassungsrechtlichen Bedenken der Bf ebenso wenig teilte (vgl BFG 16. 2. 2024, RV/7100521/2024). Gerade in Bezug auf die Rückwirkung hat der VfGH die Argumentation des BFG verfeinert: Während das BFG noch davon ausging, dass die echte Rückwirkung eines Gesetzes dadurch verhindert wird, dass es der Ausgestaltung einer bereits geltenden EU-VO dienen soll (vgl auch Posch, BFG hält Energiekrisenbeitrag-Strom für verfassungsrechtlich unbedenklich, 22. 4. 2024, LexisNexis Rechtsnews 35333 in lexis360.at), stellt der VfGH die Rückwirkung des EKBSG an sich nicht in Frage. Vielmehr ist die unionsrechtliche Verpflichtung, gerade wegen der kurzen und unmittelbar wahrgenommenen Umsetzungsfrist, ein geeigneter Rechtfertigungsgrund der Rückwirkung. Auf die Frage, ob die Bf in ihrem Vertrauen verfassungswidrig erschüttert wurde, insoweit die Obergrenze des EKBSG die Obergrenze der Notfallmaßnahmen-VO unterschreitet, geht der VfGH aber nicht im Detail ein. Dem Erkenntnis ist nur zu entnehmen, dass sich der Gesetzgeber innerhalb des unionsrechtlichen Spielraums bewegt hat. Somit hat der VfGH wohl keine Erschütterung eines berechtigten Vertrauens auf die geltende Rechtslage erkannt.
Das vorliegende Erkenntnis dürfte noch nicht das Ende der richterlichen Auseinandersetzung mit „Übergewinnsteuern“ auf Energieerzeugnisse gewesen sein. Zum einen hat der VfGH die Beschwerde dem VwGH zur Entscheidung darüber abgetreten, ob die Bf in einem sonstigen Recht verletzt worden ist. Des Weiteren betont der VfGH im vorliegenden Erkenntnis mehrmals die zeitliche Beschränkung der Maßnahme und die Notsituation am Strommarkt als Rechtfertigung für die Anknüpfung des EKB-S an den Erlös anstatt des Gewinns. Für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum ist diese Argumentation jedenfalls nachvollziehbar. Allerdings ist das EKBSG weiterhin in Kraft und sieht bereits die Abschöpfung der Überschusserlöse in einem Erhebungszeitraum bis zum 1. 4. 2030 vor, wobei die Erlös-Obergrenze gem § 3 Abs 2 lit c im Regelfall nur noch 100,00 €/MWh beträgt. Eine „massive Störung des Strommarktes“ kann nun allerdings nicht mehr als Rechtfertigungsgrund dienen. Es ist daher nicht auszuschließen, dass sich der VfGH noch weitere Male mit dem EKB-S unter neuen Gesichtspunkten auseinandersetzen werden muss.
Des Weiteren sind gegen die mittlerweile außer Kraft getretene Notfallmaßnahmen-VO selbst mehrere Nichtigkeitsklagen vor dem EuG anhängig (ua EuG, Petrogas E&P, T-803/22, eingereicht am 3. 2. 2023; ExxonMobil Producing Netherlands und Mobil Erdgas-Erdöl, T-802/22, eingereicht am 27. 1. 2023), die die Aufhebung der VO hinsichtlich des „Solidaritätsbeitrags“ auf fossile Energieträger nach Art 14 ff der VO begehren. Auch in diesen wird die Verletzung des Rückwirkungsverbots und des allgemeinen Unionsgrundsatzes der Rechtssicherheit moniert, weil die VO bereits im Oktober 2022 erlassen wurde, die Mitgliedstaaten aber bis Ende 2022 Zeit hatten, Umsetzungsmaßnahmen zu setzen (im Detail siehe Posch, Die Nichtigkeitsklage in Steuersachen vor den Gerichten der Europäischen Union, AVR 2023, 209). Es bleibt daher mit Spannung abzuwarten, wie die Rechtmäßigkeit der „Übergewinnsteuern“ von Gerichten abschließend beurteilt wird.