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VfGH: Betriebsanlage in Gesamtanlage – vereinfachtes Genehmigungsverfahren?

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

B-VG: Art 7

GewO 1994: § 359b

StGG: Art 2

Gem § 359b Abs 1 Z 4 GewO 1994 ist ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren durchzuführen, wenn "das Verfahren eine Spezialgenehmigung (§ 356e) betrifft". § 356e GewO 1994 kommt bei Betriebsanlagen zur Anwendung, die dem ordentlichen Genehmigungsverfahren unterliegen und verschiedenen Gewerbebetrieben zu dienen bestimmt sind (wie va bei Einkaufszentren, aber auch bei Gewerbe- oder Industrieparks, sog Gesamtanlagen). Hinsichtlich solcher Gesamtanlagen hat der Genehmigungswerber die Möglichkeit, für die gemeinsam genutzten Anlagenteile (wie zB Rolltreppen, Aufzüge oder Lüftungseinrichtungen) eine Generalgenehmigung zu beantragen, über die im ordentlichen Verfahren nach § 356 Abs 1 GewO 1994 – dh unter Beteiligung der Nachbarn als Verfahrensparteien – zu entscheiden ist. Darüber hinaus bedarf die Anlage eines Gewerbebetriebes in der Gesamtanlage einer gesonderten Genehmigung (Spezialgenehmigung), "sofern sie geeignet ist, die Schutzinteressen des § 74 Abs 2 zu berühren".

Die Bedenken des VfGH im Prüfungsbeschluss VfGH 14. 3. 2023, E 1648/2022 (G 166/2023; Rechtsnews 33845 = RdW 2023/170) betr § 359b Abs 1 Z 4 GewO 1994 hinsichtlich einer unsachliche Abgrenzung des vereinfachten Betriebsanlagengenehmigungsverfahrens (keine [volle] Parteistellung der Nachbarn) vom ordentlichen Verfahren konnten im Gesetzesprüfungsverfahren nicht zerstreut werden: Das Kriterium, ob sich eine Betriebsanlage in einer Gesamtanlage befindet, sagt nichts darüber aus, ob die zu genehmigende Betriebsanlage als eine jener Anlagen anzusehen ist, bei der die Genehmigungsfähigkeit wegen der zu erwartenden geringfügigen Emissionen die Regel bildet. Die Einholung einer Spezialgenehmigung dürfte zum einen gerade voraussetzen, dass die Betriebsanlage wegen ihrer zusätzlichen Emissionen für sich betrachtet geeignet ist, die Schutzinteressen des gewerblichen Betriebsanlagenrechts auf eine Art und Weise zu berühren, die von der Generalgenehmigung noch nicht gedeckt ist. Zum anderen dürften Anlagen, die aufgrund ihrer geringfügigen Emissionen als typischerweise genehmigungsfähig zu qualifizieren sind ("Bagatellanlagen"), bereits nach einem der übrigen Tatbestände des § 359b Abs 1 GewO 1994 dem vereinfachten Genehmigungsverfahren unterliegen, sodass § 359b Abs 1 Z 4 GewO 1994 va bei jenen Anlagen zum Tragen kommen dürfte, die gerade keine "Bagatellanlagen" darstellen.

Da sich die Bedenken des VfGH im Gesetzesprüfungsverfahren als zutreffend erwiesen haben, hat er § 359b Abs 1 Z 4 GewO 1994 daher wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz als verfassungswidrig aufgehoben. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. 6. 2024 in Kraft.

VfGH 29. 6. 2023, G 166/2023

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 34263 vom 13.07.2023