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Abstract
Der VfGH hatte über die Verfassungsmäßigkeit der Einschränkung des Betriebsausgabenabzugs für Sozialplanabfertigungen zu entscheiden. § 20 Abs 1 Z 8 EStG enthält seit dem AbgÄG 2014 (BGBl I 2014/13) ein Abzugsverbot für alle Formen von vom Arbeitgeber gewährten freiwilligen Abfertigungen iSd § 67 Abs 6 EStG, womit auch Sozialplanzahlungen darunterfallen. Der VfGH hat die Betriebsausgabenabzugsbeschränkung von Sozialplanabfertigungen als gleichheitswidrig erkannt, weil sich diese nach ihrer Funktion und Zwecksetzung grundlegend von freiwilligen individuell vereinbarten Abfertigungen unterscheiden.
VfGH 16. 3. 2022, G 228/2021 (G 228/2021-8)
Anlassfall für Gesetzesprüfungsverfahren des VfGH
Der Steuerpflichtige (= beschwerdeführende Partei) hat in den Jahren 2015—2017 im Rahmen von mit dem Betriebsrat abgeschlossenen Sozialplanvereinbarungen an die betroffenen Mitarbeiter Einmalzahlungen anlässlich der Auflösung des jeweiligen Dienstverhältnisses ausbezahlt. Diese Zahlungen wurden von der bf Partei als Betriebsausgabe erfasst. Nach Durchführung einer Außenprüfung wurde der bf Partei der Betriebsausgabenabzug für die Sozialplanzahlungen gem § 12 Abs 1 Z 8 KStG iVm § 20 Abs 1 Z 8 EStG versagt, weil die Sozialplanzahlungen gem § 67 Abs 6 EStG nicht dem Steuersatz von 6 % unterliegen würden. Das FA nahm in den betroffenen Jahren Gewinnerhöhungen vor. Die gegen die Bescheide erhobene Beschwerde wurde vom Bundesfinanzgericht als unbegründet abgewiesen. Gegen diese Entscheidung erhob die bf Partei die zur Zahl E 3068/2020 protokollierte und auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde.
Bei der Behandlung der gegen diese Entscheidung gerichteten Beschwerde sind im VfGH Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 20 Abs 1 Z 8 EStG entstanden, womit es zum Beschluss kam, diese Gesetzesbestimmung von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.
Begründung des VfGH
Der VfGH hat § 20 Abs 1 Z 8 EStG idF AbgÄG 2014 als verfassungswidrig erkannt und diese Bestimmung mit Ablauf des 31. 12. 2022 aufgehoben. Das Erkenntnis des VfGH gründet sich im Wesentlichen auf folgende Überlegungen:
Der mit der Regelung des § 20 Abs 1 Z 8 EStG intendierte Lenkungseffekt — die Abschaffung der Begünstigung von „Golden Handshakes“, um va ältere Arbeitnehmer länger in Beschäftigung zu halten (ErlRV 24 BlgNR 25. GP 8) — erscheint laut VfGH nicht völlig ungeeignet, eine Verhaltenslenkung für freiwillige individualvereinbarte Abfertigungen zu bewirken. In Anbetracht der unterschiedlichen Funktion und Zwecksetzung von Sozialplanabfertigungen läuft dieser Lenkungseffekt für Sozialplanabfertigungen jedoch insofern ins Leere, als diese doch Ergebnis eines Interessenausgleiches zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat sind. Die Höhe der zu leistenden Sozialplanabfertigung wird dabei nicht durch von unternehmerischen Zweckmäßigkeitsüberlegungen geleitete Dispositionen des Arbeitgebers, sondern durch die Notwendigkeit eines sozial verträglichen Ausgleiches der für die Arbeitnehmerschaft aus Anlass der Betriebsänderung entstandenen Nachteile bestimmt. Kann eine Einigung nicht erzielt werden, ist diese vor der Schlichtungsstelle erzwingbar.
Des Weiteren läuft laut VfGH der beabsichtigte Lenkungseffekt, ältere Arbeitnehmer in Beschäftigung zu behalten, vor dem arbeitsverfassungsrechtlichen Hintergrund ins Leere, weil § 109 Abs 3 ArbVG gerade die besondere Bedachtnahme auf die Interessen älterer Arbeitnehmer im Rahmen von Sozialplänen normiert. Die Auflösung des Dienstverhältnisses älterer Arbeitnehmer ist daher erst dann in Erwägung zu ziehen, wenn im Rahmen des vorzunehmenden Interessenausgleiches eine Weiterbeschäftigung im Betrieb nicht in Betracht kommt.
Nach Ansicht des VfGH ist darüber hinaus zu bedenken, dass Sozialpläne nicht darauf gerichtet sind, ältere Arbeitnehmer durch Vereinbarung von „Golden Handshakes“ zu kündigen. Sozialpläne erfassen vielmehr alle von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer, wobei der Ausgleich von sozialen und wirtschaftlichen Nachteilen nach den Grundsätzen des Gleichbehandlungsgebotes zu erfolgen hat (vgl Maier, Restrukturierung und Arbeitsrecht2 [2019] 6.36 ff). Dabei können Sozialplanleistungen nicht für leitende Angestellte oder Mitglieder gesetzlicher Vertretungsorgane rechtswirksam vereinbart werden (§ 36 ArbVG).
Der VfGH vermag vor diesem Hintergrund nicht zu erkennen, dass ein Abzugsverbot für Abfertigungen im Rahmen von Sozialplänen geeignet wäre, Gerechtigkeits- und Solidaritätsaspekte im Steuerrecht zu stärken. Vielmehr bedingt dieses Abzugsverbot, dass die wesentlich ungleichen Sachverhalte einer individuell vereinbarten Abfertigung im Zuge einer Arbeitgeberkündigung einerseits und einer Sozialplanabfertigung im Zuge einer Betriebsänderung andererseits ohne sachlichen Grund gleichbehandelt werden. § 20 Abs 1 Z 8 EStG verstößt laut VfGH somit gegen den Gleichheitssatz, da diese Regelung zu sachlich nicht begründbaren Differenzierungen führt. Dieses Ergebnis lässt sich auch nicht im Rahmen einer verfassungskonformen Interpretation vermeiden, indem der Anwendungsbereich der Vorschrift im Auslegungswege auf individuell vereinbarte Abfertigungen eingeschränkt wird, ist doch nach der Rsp des VwGH klargestellt, dass dieser Vorschrift auch Sozialplanabfertigungen unterfallen (VwGH 7. 12. 2020, Ro 2020/13/0013).
§ 20 Abs 1 Z 8 EStG ist daher wegen Verstoßes gegen den auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitssatz als verfassungswidrig aufzuheben.
Conclusio
Mit Abzugsverboten wie dem § 20 Abs 1 Z 8 EStG weicht der Gesetzgeber vom System des objektiven Nettoprinzips ab, wonach die zur Erzielung des Einkommens getätigten Aufwendungen von der Bemessungsgrundlage grundsätzlich abzuziehen sind (vgl auch VfSlg 18.783/2009, 19.615/2012, 19.933/2014). Ein Abgehen vom objektiven Nettoprinzip liegt dann im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, wenn dieses sachlich gerechtfertigt ist, zB aufgrund eines Verhaltenslenkungszweckes. Diese sachliche Rechtfertigung hat der VfGH im Hinblick auf Abfertigungen im Rahmen von Sozialplänen iSd § 109 Abs 3 ArbVG — im Unterschied zu individuell vereinbarten Abfertigungen — nicht erkannt und die einschlägige Rechtsnorm mit Wirkung ab 1. 1. 2023 als verfassungswidrig aufgehoben. Sofern der Gesetzgeber vorab keine Änderungen vornimmt, ist die Einschränkung bis zum 31. 12. 2022 weiterhin beachtlich (siehe zu möglichen Reparaturmaßnahmen des Gesetzgebers Daxkobler, ASoK 2022, 178 [184 f]). Es ist zu erwarten, dass der Gesetzgeber eine Neugestaltung dieser Regelung vornimmt. Mit dieser Entscheidung zeigt der VfGH dem Steuergesetzgeber die Schranken des rechtspolitischen Gestaltungsspielraums unter Beachtung des objektiven Nettoprinzips.