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VfGH: Keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen 95 %-Grenze bei Anteilsvereinigung nach § 1 Abs 3 GrEStG

Bearbeiter: Martin Klokar

GrEStG 1987: § 1 Abs 3 Z 3

Abstract

Der VfGH hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem die beschwerdeführende Partei verfassungsrechtliche Bedenken gegen die 95 %-Grenze bei der Anteilsvereinigung nach § 1 Abs 3 Z 3 GreStG vorgebracht hat. Dieser GrESt-Tatbestand unterstellt die Übertragung von mind 95 % der Anteile an einer grundstücksbesitzenden Gesellschaft mittels Rechtsgeschäfts der Steuerpflicht. Der VfGH lehnte die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss ab, weil sie aus seiner Sicht keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

VfGH 23. 6. 2022, E 3691/2021-16

Sachverhalt

Neben dem GrESt-Haupttatbestand in § 1 Abs 1 GrEStG (zB Kauf- oder Tauschverträge) sieht § 1 GrEStG in den Abs 2, 2a und 3 mehrere Ersatz- oder Ergänzungstatbestände vor, um steuervermeidende Gestaltungen des Steuerpflichtigen zu vereiteln. Im Beschwerdefall geht es insb um § 1 Abs 3 Z 3 GrEStG, wonach die Übertragung von mind 95 % der Anteile an einer grundstücksbesitzenden Gesellschaft mittels Rechtsgeschäfts der Steuerpflicht unterstellt wird.

Die beschwerdeführende Partei behauptet die Verletzung in Rechten wegen Anwendung des § 1 Abs 3 Z 3 GrEStG idF des Steuerreformgesetzes (StRefG) 2015/2016, BGBl I 2015/118. Die genannte Bestimmung verstoße nach Auffassung der beschwerdeführenden Partei gegen den Gleichheitsgrundsatz gem Art 7 B-VG und Art 2 StGG.

Entscheidung des VfGH

Der VfGH lehnte die Behandlung der Beschwerde gem Art 144 Abs 2 B-VG mit folgender Begründung mit Beschluss ab:

Vor dem Hintergrund der stRsp des VfGH lässt das Vorbringen nach dem VfGH die behaupteten Rechtsverletzungen aber auch die Verletzung in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass die Beschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Entgegen der Auffassung der beschwerdeführenden Partei setzt die GrESt nicht an der Verfügungsgewalt oder Sachherrschaft über ein Grundstück an. Bei der GrESt handelt es sich vielmehr um eine sog „Rechtsverkehrsteuer“, die an zivilrechtlich maßgebliche Vorgänge anknüpft (siehe VwGH 15. 12. 1988, 87/16/0142; 12. 10. 1989, 88/16/0189; 23. 1. 2003, 2002/16/0228; vgl auch VfSlg 6853/1972, 8112/1977).

§ 1 Abs 3 GrEStG ist als Sondertatbestand der Verschaffung der wirtschaftlichen oder rechtlichen Verfügungsmacht über ein Grundstück geschaffen worden. Durch die Vereinigung aller Anteile einer Gesellschaft in der Hand des Erwerbers oder eines Organträgers erlangt dieser nämlich auch die Verfügungsmacht über die zum Vermögen der Gesellschaft gehörigen Grundstücke. Der Abgabentatbestand nach § 1 Abs 3 GrEStG knüpft insofern nicht an den Grundstückserwerb als solchen, sondern an die Vereinigung der Gesellschaftsanteile in einer Hand. Durch diesen Sondertatbestand soll verhindert werden, dass auch ein völliger Wechsel aller Mitglieder der Gesellschaft in keinem Fall zur Erhebung einer Grunderwerbsteuer vom „Grundbesitz“ führen könnte (vgl VwGH 18. 4. 2012, 2009/16/0247). Gegen § 1 Abs 3 GrEStG bestehen laut VfGH keine Bedenken, weil diese Regelung Steuerumgehungen verhindern soll, die sonst durch ein Zwischenschalten von Gesellschaftern möglich wären (zB bereits VfSlg 6270/1970, 8029/1977).

Aus der Sicht des Beschwerdefalles begegnet es auch keinen gleichheitsrechtlichen Bedenken, dass Rechtsvorgänge außerhalb Österreichs nicht unter die Anrechnungsvorschrift des § 1 Abs 5 GrEStG subsumiert werden können. Dies liegt laut VfGH innerhalb des rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes des Gesetzgebers (vgl dazu allgemein VfSlg 15.129/1998, 15.980/2000, 18.885/2009 und 20.334/2019).

Demgemäß wurde vom VfGH beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen (§ 19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG).

Conclusio

§ 1 Abs 3 GrEStG zielt auf die Veränderung der Eigentumsverhältnisse an einer grundstücksbesitzenden Gesellschaft, dh auf die Übertragung von Anteilen an Gesellschaften ab. Zivilrechtlicher Anknüpfungspunkt dieses GrESt-Ergänzungstatbestands ist daher der Erwerb von Gesellschaftsanteilen (vgl dazu Mechtler/Pinetz in Pinetz/Schragl/Siller/Stefaner [Hrsg], GrEStG [2017] § 1 Rz 852 ff). Die Herabsetzung der Beteiligungsschwelle auf mind 95 % im Zuge des StRefG 2015/2016 sollte einen Gleichklang zwischen der grunderwerbsteuerlichen Behandlung von Personen- und Kapitalgesellschaften herstellen und die Verhinderung der Tatbestandserfüllung durch Zurückbehaltung von Zwerganteilen oder dem Halten eigener Anteile erschweren (vgl ErlRV 684 BlgNR 25. GP 34). Der VfGH zeigt mit diesem Beschluss einmal mehr, dass die gesetzgeberische Vermeidung von Steuerumgehungen ein aus verfassungsrechtlicher Sicht offenkundig begründetes Anliegen ist. Mit dieser Entscheidung bestätigt der VfGH zudem den weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Steuergesetzgebers iZm der Systematik der GrESt-Tatbestände. Die Entscheidung zur neuen Rechtslage kam nicht überraschend; dies zeigt sich auch an der Art und Weise der Erledigung (Berufung auf Art 144 Abs 2 B-VG – Ablehnung mit Beschluss wegen mangelnder Aussicht auf Erfolg). Der VfGH hat in der Vergangenheit bereits mehrfach die Verfassungskonformität des § 1 Abs 3 Z 1 GrEStG bestätigt (vgl zB VfSlg 6853/1972; 8112/1977; 11.470/1987).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 33260 vom 10.11.2022