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VfGH: „Medienprivileg“ und Datenschutz

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

DSG: § 1, § 9

EMRK: Art 10

§ 9 Abs 1 DSG verstößt nach Auffassung des VfGH gegen das Grundrecht auf Datenschutz gem § 1 Abs 1 DSG und wird daher mit Ablauf des 30. 6. 2024 als verfassungswidrig aufgehoben.

§ 9 Abs 1 DSG normiert den absoluten und gänzlichen Ausschluss der Anwendung aller (einfachgesetzlichen) Regelungen des Datenschutzgesetzes sowie der Kapitel II (Grundsätze), III (Rechte der betroffenen Person), IV (Verantwortlicher und Auftragsverarbeiter), V (Übermittlung personenbezogener Daten an Drittländer oder an internationale Organisationen), VI (Unabhängige Aufsichtsbehörden), VII (Zusammenarbeit und Kohärenz) und IX (Vorschriften für besondere Verarbeitungssituationen) der DSGVO auf näher definierte Datenverarbeitungen zu journalistischen Zwecken eines Medienunternehmens oder Mediendienstes. Dieser undifferenzierte Ausschluss widerspricht dem Erfordernis des § 1 Abs 2 DSG, dass der Gesetzgeber das Interesse am Schutz personenbezogener Daten mit dem Interesse der Medieninhaber, Herausgeber, Medienmitarbeiter und Arbeitnehmer eines Medienunternehmens oder Mediendienstes (iSd Mediengesetzes) im Rahmen ihrer journalistischen Tätigkeit sachgerecht abzuwägen hat.

Medien nehmen in einer demokratischen Gesellschaft als "public watchdog" eine zentrale Rolle im öffentlichen Interesse wahr. Im Hinblick darauf hat der nationale Gesetzgeber nach der (Sonder-)Regelung des Art 85 Abs 1 DSGVO Rechtsvorschriften zu erlassen, durch die "das Recht auf Schutz personenbezogener Daten [...] mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, einschließlich der Verarbeitung zu journalistischen Zwecken […] in Einklang" gebracht werden soll. Der Gesetzgeber hat daher die Anwendbarkeit bestimmter datenschutzrechtlicher Bestimmungen auf Datenverarbeitungen zu journalistischen Zwecken auszuschließen, wenn sie mit den Besonderheiten der Ausübung journalistischer Tätigkeit nicht vereinbar sind, er ist aber auch gehalten, einen angemessenen, differenzierten Ausgleich zwischen den Interessen einzelner Personen auf Datenschutz auch gegenüber Medien vorzusehen. Zu denken ist dabei etwa an Einschränkungen in personeller Hinsicht (wie derzeit in § 9 Abs 1 DSG, zB hinsichtlich Medienunternehmen und Mediendiensten), in zeitlicher Hinsicht (etwa nur bis zur Veröffentlichung eines Berichts) oder in sachlicher Hinsicht (zB hinsichtlich bestimmter Datenverarbeitungen oder Betroffenenrechte). Ebenso könnte der Gesetzgeber – als Ausgleich für den Ausschluss (bestimmter) datenschutzrechtlicher Bestimmungen – erhöhte Anforderungen an die interne Organisation, Dokumentation und technische Sicherung der verarbeiteten Daten vorsehen. Das Grundrecht auf Datenschutz gem Art 1 Abs 1 DSG erlaubt es aber nicht, dass der Gesetzgeber im Anwendungsbereich des Medienprivileges kategorisch, dh für die erfasste Tätigkeit zu journalistischen Zwecken schlechthin der Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit den Vorrang vor dem Schutz personenbezogener Daten einräumt, indem er die Anwendbarkeit sämtlicher datenschutzrechtlicher Regelungen inhaltlicher und verfahrensrechtlicher Natur nach der DSGVO und dem DSG im gesamten Umfang ausschließt.

VfGH 14. 12. 2022, G 287/2022, G 288/2022

Entscheidung

Für die Verfassungskonformität des § 9 Abs 1 DSG kann im Übrigen nach Auffassung des VfGH auch nicht ins Treffen geführt werden, dass eine Geltendmachung von Datenschutzverletzungen durch Verarbeitungen zu journalistischen Zwecken zwar nicht vor der Datenschutzbehörde, aber vor den ordentlichen Gerichten möglich ist.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 33511 vom 11.01.2023