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VfGH zur Gesetzeswidrigkeit einer Kanalgebührenverordnung aufgrund nicht gerechtfertigter Gebührenhöhe

Bearbeiter: Severin Schragl

Kanalgebührenverordnung der Gemeinde Steinbach am Attersee vom 3. 2. 2016: §§ 4, 5

Kanalgebührenverordnung der Gemeinde Steinbach am Attersee vom 14. 12. 2016: §§ 5, 6

Kanalgebührenverordnung der Gemeinde Steinbach am Attersee vom 2. 12. 2020: §§ 5, 6

FAG 2017: § 17

Abstract

Im streitgegenständlichen Erkenntnis nahm der VfGH die Verordnungen der oberösterreichischen Gemeinde Steinbach über Kanalgebühren unter die Lupe und kam zum Ergebnis, dass die grundsätzliche Ausgestaltung zulässig, die konkrete Höhe hingegen gesetzeswidrig ist. Insbesondere mit Hinblick auf die Grenze zwischen einer Gemeindegebühr und einer Steuer nach dem FAG hat der VfGH im streitgegenständlichen Fall für mehr Klarheit gesorgt.

VfGH 7. 12. 2023, V76-77/2023-15

Sachverhalt

Mit Bescheiden vom 21. 9. 2021 setzte die Bürgermeisterin der oberösterreichischen Gemeinde Steinbach am Attersee gegenüber dem Bf für Zeiträume in den Jahren 2017 bis 2021 jeweils Kanalbenützungsgebühren und Wasserbenützungsgebühren fest. Die jeweiligen Gebühren setzten sich nach den einschlägigen Gemeindeverordnungen aus einer Grundgebühr und einer verbrauchsabhängigen Gebühr zusammen. Die Grundgebühr ergibt sich aus einem in der Verordnung festgesetzten Satz pro Quadratmeter und die verbrauchsabhängige Gebühr aus dem konkreten Verbrauch abhängig, wobei jährlich eine Mindestverbrauchsmenge in Form einer festen, jährlich angepassten Mindestabnahmegebühr vorordnet wurde. Gegen diese Bescheide erhob der Bf Beschwerde beim LVwG Oberösterreich.

Das LVwG Oberösterreich hegte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Verordnungen und stellte einen Antrag auf Aufhebung der Verordnungen beim VfGH nach Art 139 Abs 1 Z 1 B-VG. Dabei stellte das Gericht insb in Frage, ob

-eine Benützungsgebühr derart ausgestaltet werden darf, dass neben eine Grundgebühr eine (vom tatsächlichen Verbrauch unabhängige) Mindestabnahmegebühr vorgesehen ist;
-die Rechtsform als Eigentumswohnung als Anknüpfungspunkt für die Festlegung einer Mindestgebühr zulässig ist;
-es sachlich gerechtfertigt ist, den fiktiven Mindestverbrauch so festzusetzen, dass der tatsächliche Verbrauch um ein Vielfaches unter dem fiktiven Verbrauch liegt; und
-der geforderte innere Zusammenhang der Gebühren zur Einrichtung gegeben sein kann, wenn diese vielfache Überschüsse erwirtschaftet hat.

Entscheidung des VfGH

Die Anträge sind nach Ansicht des VfGH begründet.

Zunächst geht das Höchstgericht auf die Frage der Ausgestaltung der Benutzungsgebühr als Grundgebühr und zusätzlich Mindestverbrauchsgebühr ein. Das LVwG OÖ führt hierzu aus, dass nach der Rsp des VfGH eine Bereitstellungsgebühr zusätzlich zu einer Benützungsgebühr unbedenklich, eine Mindestgebühr hingegen nicht mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar sei. Der Verfassungsgerichtshof hält dagegen fest, dass es nicht von vornherein gegen das Sachlichkeitsgebot verstößt, wenn die Gemeinde neben der Grundgebühr eine Mindestgebühr erhebt. Für die kumulative Erhebung müssen allerdings sachliche Gründe vorliegen. Die von der Gemeinde vorgebrachten Argumente, dass eine Aufteilung in Grund- und (Mindest-)Verbrauchsgebühren eine ausgewogene Verteilung der Gebührenschuld zwischen großen und intensiv genutzten Grundstücken einerseits sowie kleinen und nicht intensiv genutzten Grundstücken andererseits darstellen kann, erachtete der VfGH als legitim. Da infolge dessen keine Unsachlichkeit erkennbar ist, teilt der VfGH die Bedenken des LVwG in diesem Punkt nicht.

Als nächsten Bereich untersucht der VfGH die Anknüpfung der Mindestgebühr an den Begriff der Eigentumswohnung. Die Gemeinde und die oberösterreichische Landesregierung haben hierbei keine Unsachlichkeit erkennen können. Der VfGH hingegen erachtet die Anknüpfung an die Rechtsform des Wohnungseigentums iSd WEG – ebenso wie an ideelles Miteigentum – als mit dem Gleichheitsgrundsatz unvereinbar. Für die unterschiedlichen Kanalgebühren – je nachdem, ob es sich um eine Eigentums- oder Mietwohnung handelt – lässt sich keine sachliche Rechtfertigung erkennen. Vielmehr müsste eine Anknüpfung an Wohneinheiten stattfinden. Damit erweist sich die angefochtene Norm als gesetzeswidrig.

Daraufhin geht der VfGH auf die Höhe der Mindestgebühr ein. Der Verordnungsgeber ist aus der Sicht des LVwG nach der stRsp des VfGH vor dem Hintergrund des Gleichheitsgrundsatzes gefordert, die Gebühr für den einzelnen Benützer so auszugestalten, dass ihre Festsetzung in einer sachgerechten Beziehung zu Art und Ausmaß der Benützung stehe. Die Gemeinde und oberösterreichische Landesregierung rechtfertigen sich insb mit dem Argument, die Festsetzung des Mindestverbrauchs habe sich am durchschnittlichen jährlichen Wasserverbrauch einer Person in Österreich orientiert. Der VfGH erklärte hierzu, dass es unsachlich ist, von einem Mindestverbrauch auszugehen, der nicht mehr in einem ausgewogenen Verhältnis zum tatsächlichen Verbrauch steht. Zwei Kriterien müssen infolge erfüllt sein: 1. Die Festlegung der Mindestmenge darf nicht über der durchschnittlichen Verbrauchsmenge aller Objekte liegen; 2. Die Festlegung der Mindestmenge darf nicht über dem Median liegen (vgl zB VfSlg 16.456/2002; VfGH 27. 9. 2014, V 67/2014). Auf den tatsächlichen Wasserverbrauch an einer Liegenschaft kommt es nicht an; es kann grds eine Typisierung, auch beschränkt auf ständige Bewohner (VfSlg 16.456/2002), stattfinden. Wenn die Verordnungen ohne derartige Erhebungen zustande gekommen sind, kann allerdings keine Überprüfung stattfinden. Ob dem österreichischen Durchschnittsverbrauch entsprochen worden ist, ist dagegen genau nicht von Bedeutung; vielmehr ist nur der Verbrauch der entsprechenden Gemeinde relevant. Damit erwiesen sich die angefochtenen Verordnungen in dieser Hinsicht als rechtwidrig.

Als letzten str Punkt beschäftigt sich der VfGH mit der Höhe der Gebühr im Allgemeinen. Das LVwG hat die Höhe der Mindestgebühr im Lichte des § 17 Abs 3 Z 4 FAG 2017 als gesetzwidrig erachtet. Durch diese Norm werden Gemeinden ermächtigt, durch Beschluss der Gemeindevertretung Gebühren bis zu einem Ausmaß zu erheben, bei dem ihr mutmaßlicher Jahresertrag das doppelte Jahreserfordernis für die Erhaltung und den Betrieb der Einrichtung oder der Anlage sowie für die Verzinsung und Tilgung der Errichtungskosten unter Berücksichtigung einer der Art der Einrichtung oder Anlage entsprechenden Lebensdauer nicht übersteigt. Nach der Rsp des VfGH bedeutet das, dass eine über die Anlastung der vollen Kosten der Gemeindeeinrichtung iSd Äquivalenzprinzips hinausgehende Ausschöpfung nur aus Gründen in Betracht komme, die mit der betreffenden Einrichtung in einem inneren Zusammenhang stehen. Solche Gründe können ua Lenkungsziele oder die Bildung von Rücklagen sein. Ob ein innerer Zusammenhang besteht, muss im Einzelfall nach dem Gesamtbild der Verhältnisse unter Berücksichtigung eines längeren Zeitraums beurteilt werden (vgl VfSlg 19.859/2014). Hintergrund der Bestimmung ist dabei, dass die Ermächtigung der Gemeinde nicht im Effekt zu einer Steuer im finanzwissenschaftlichen Sinn wird (VfSlg 16.319/2001), die iVgl zu einer Gebühr keine Gegenleistung verlangt. Aus den im streitgegenständlichen Fall vorgebrachten Unterlagen ist jedenfalls nicht erkennbar, für welche Zwecke die Kostenüberdeckungen verwendet werden. Das Argument der Gemeinde, die Gebührenhöhe und Kostenüberdeckung soll dazu dienen, dass die Bevölkerung sparsam mit der Ressource Wasser umgehen soll, verkennt die Rechtslage und dazu ergangene Rsp und ist darüber hinaus nicht nachvollziehbar. Damit erweisen sich die angefochtenen Verordnungen auch deshalb als rechtswidrig.

Die als gesetzwidrig erkannten Bestimmungen hebt der VfGH gem Art 139 Abs 3 B-VG auf.

Conclusio

Die Entscheidung des VfGH birgt einige interessante Erkenntnisse. Zunächst ist geklärt worden, dass eine Gebühr auf Gemeindeebene grds sowohl eine Grundgebühr als auch eine verbrauchsunabhängige Mindestgebühr enthalten darf, sofern sachliche Gründe dies rechtfertigen – wobei die ausgewogene Verteilung der Gebührenschuld als Rechtfertigung in Frage kommt. Darüber hinaus hat das Höchstgericht eine Anknüpfung der Gebühr an den Begriff des Wohnungseigentums – im Gegensatz etwa zum Begriff „Wohneinheit“ – als gesetzeswidrig erachtet. Schließlich wurde noch geklärt, dass die Höhe der Mindestgebühr starken Einschränkungen unterliegt: Einerseits muss der Verbrauch in einem angemessenen Verhältnis zum tatsächlichen durchschnittlichen Verbrauch und Medianverbrauch innerhalb der Gemeinde stehen, andererseits darf die Gebühr nicht so ausgestaltet sein, dass sie einer Steuer gleichkommt. Deswegen hat der Gesetzgeber in § 17 Abs 3 Z 4 FAG 2017 eine Deckelung des doppelten Jahreserfordernisses für Kosten iZm mit der Benutzung von Gemeindeeinrichtungen und -anlagen statuiert, und der VfGH das Erfordernis eines „inneren Zusammenhanges“ aufgestellt. Dieser ist jedenfalls nicht damit erfüllt, dass die Bevölkerung zu einem schonenden Umgang mit der Ressource Wasser angehalten werden soll (vgl VfGH 12. 3. 1985, G2/85). Das Erkenntnis des VfGH erweist sich damit als starke Eingrenzung der Handlungsmöglichkeiten von Gemeinden bei der Festsetzung von lokalen Gebühren und unterstreicht, dass die Festsetzung der Höhe gewisser Rechtfertigungen bedarf. Bei der Gemeinde Steinbach am Attersee handelt es sich um eine Gemeinde, die stark von Nebenwohnsitzen geprägt ist; man kann nur abwarten, ob die Gebühren vieler anderer Gemeinden, die ebenso vielfach Nebenwohnsitze aufweisen, im Lichte dieser Entscheidung ebenso Gesetzeswidrigkeiten aufweisen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 35449 vom 22.05.2024