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Vorzeitige Auflösung des Bestandverhältnisses nach § 23 IO – Schadenersatz

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

ABGB: § 1295, § 1489

IO: § 23

Auch wenn die Bestandnehmerin – über deren Vermögen nunmehr das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist – einen Kündigungsverzicht für einen bestimmten Zeitraum abgeben hat, kann deren Masseverwalterin das Bestandverhältnis gem § 23 IO vorzeitig kündigen. Der Bestandgeberin steht jedoch ein Schadenersatzanspruch als Konkursforderung zu. Der Schaden bei einer solchen vorzeitigen Auflösung des Bestandverhältnisses nach § 23 IO ist der Verlust des Leistungsanspruchs, der bereits mit Wirksamkeit der Kündigungserklärung eintritt, und an dessen Stelle nunmehr ein Differenzanspruch iSd Ersatzes des Nichterfüllungsschadens zusteht. Der Schaden aus dem Entfall zukünftiger Bestandzinseinnahmen gem § 23 IO kann sowohl objektiv-abstrakt (hier: anhand des Marktwerts des Mietobjekts) als auch subjektiv-konkret (hier: unter Berücksichtigung unvorhersehbarer Folgeschäden, ua in Form einer erforderlichen Adaptierung des Mietgegenstands) berechnet und im Insolvenzverfahren angemeldet werden.

Im vorliegenden Fall wurden allfällige Ansprüche aus den Mietverhältnissen anstelle einer Barkaution mit zwei Bankgarantien besichert. Im Laufe des Insolvenzverfahrens meldete die Kl nicht nur dort ihre Forderungen an (va für entgangene Hauptmietzinse abzüglich schadensmindernder Erlöse aus Neuvermietungen), sondern nahm auch die bekl Bank aus den Garantien in Anspruch, die eine Auszahlung wegen Verjährung verweigerte. Die Verjährung von Ansprüchen aus einer abstrakten Garantie kann auch schon vor Ablauf ihrer Befristung beginnen. Durch die Wahl der Berechnung des Schadens im Grundverhältnis (objektiv-abstrakt oder subjektiv-konkret) kann der Begünstigte (hier Bestandgeberin) grds den Beginn der Verjährungsfrist nicht hinausschieben. Die Garantie abzurufen, obwohl – bei subjektiv-konkreter Schadensberechnung – der Schadenersatzanspruch im Grundverhältnis noch nicht fällig ist, ist nicht jedenfalls rechtsmissbräuchlich.

OGH 24. 4. 2024, 9 Ob 70/23v

Entscheidung

Bei der Kl trat bereits durch die vorzeitige Beendigung der Bestandverhältnisse ein Schaden ein. Nicht ersichtlich ist, warum sie diesen nicht schon damals abstrakt anhand des Marktwerts ermitteln (s dazu etwa jüngst 4 Ob 82/22w mwN) und gegenüber der Bestandnehmerin beziffern und fällig stellen hätte können (hier im Wege einer Forderungsanmeldung im Insolvenzverfahren). Die von ihr behaupteten unvorhersehbaren Folgeschäden stehen iZm dem Abschluss von Deckungsgeschäften (Adaptierung des Mietgegenstands, Makler- und Vertragserrichtungskosten udgl) und reduzieren den schadensmindernden Gewinn bei der subjektiv-konkreten Berechnung.

Daher hätte die Kl aber auch schon damals die Garantie ohne Rechtsmissbrauch in Anspruch nehmen können, sodass die Verjährung gegenüber der Bekl zu laufen begann (und zwar ungeachtet der Frage, ob man – jeweils bezogen auf die bekl Bank – auf die objektive Möglichkeit der Rechtsausübung iSd § 1478 ABGB oder die Kenntnis von Schaden und Schädiger iSd § 1489 ABGB abstellt).

Nichts anderes gilt, wenn die Kl den Schaden subjektiv-konkret berechnen will und gegenüber dem Schädiger noch nicht fällig stellen hätte können:

Weder die Ungewissheit der Schadenshöhe, noch die fehlende Fälligkeit der besicherten Forderung führt nämlich per se zum Rechtsmissbrauch (vgl 8 Ob 140/18y mwN; RS0016948; Koziol in Apathy/Iro/Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht2 Bd V Rz 3/85). Rechtsmissbrauch liegt nach der Rsp etwa dann vor, wenn der Begünstigte die Garantie im Bewusstsein der mangelnden Fälligkeit vor Eintritt des Garantiefalls zu vertragsfremden Zwecken nützen wollte (6 Ob 293/97z, RdW 1998, 331). Hält sich der Begünstigte aus vertretbaren Gründen für berechtigt, kann ihm kein arglistiges oder rechtsmissbräuchliches Verhalten vorgeworfen werden (RS0017997, RS0016950).

Dass hier angesichts der Eröffnung des Konkursverfahrens über die Bestandnehmerin, der langen Laufzeit der Verträge und der Höhe der monatlichen Mietzinse sowie der Unmöglichkeit einer sofortigen (vollständigen) Weitervermietung ein Schaden zumindest in Höhe der Bankgarantien entstehen wird, war ex ante im Februar 2019 (Ablauf der Räumungsfrist nach der vorzeitigen Kündigung des Bestandverhältnisses durch die Insolvenzverwalterin) nicht bloß vertretbar, sondern sogar erwartbar. Ein Schaden der Bestandnehmerin aus einem Abruf der Garantie vor Fälligstellung des Nichterfüllungsschadens im Grundverhältnis war hingegen nicht ersichtlich, sodass sich die bekl Bank auch bei einer subjektiv-konkreten Schadensberechnung im Verhältnis zur Bestandnehmerin nicht auf eine rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme der Garantie berufen hätte können.

Warum eine frühere Inanspruchnahme für die Kl „unzumutbar“ gewesen sein soll, ist ebensowenig nachvollziehbar wie ihre Argumentation mit ihrem Bestandgeberpfandrecht (aus dem im Jahr 2020 Forderungen für offene Mietzinse vor Konkurseröffnung abgedeckt wurden). Selbst wenn dieses auch Forderungen nach § 23 IO umfasst hätte (was hier dahingestellt bleiben kann), und sie solche im Insolvenzverfahren angemeldet hätte (was nicht der Fall war), ist nicht ersichtlich, wie sich dieser Umstand auf die Verjährungsfrist im Verhältnis zur Bekl auswirken hätte sollen, für die es bloß auf die Möglichkeit des (nicht rechtsmissbräuchlichen) Garantieabrufs ankommt.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 35694 vom 26.07.2024