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VwGH: Ansässigkeit bei zeitlich begrenzter Entsendung ins Ausland

Bearbeiter: Juliane Beverungen

DBA-USA: Art 4 Abs 3 lit b, Art 15

Abstract

Im vorliegenden Erkenntnis (Erk) hatte sich der VwGH mit der Frage auseinanderzusetzen, ob der Mittelpunkt der Lebensinteressen auch bei einer zeitlich begrenzten Entsendung in die USA weiterhin in Österreich (Ö) besteht, wenn die Familie mit ins Ausland übersiedelt. Dabei bestätigte das Gericht die stRsp, wonach auch in solchen Fällen der Mittelpunkt der Lebensinteressen weiterhin im Inland bestehen kann, wenn eine Wohnung in Ö beibehalten wird. Zudem muss auf einen längeren Beobachtungszeitraum als ein Jahr abgestellt werden.

VwGH 3. 9. 2024, Ra 2023/13/0186

Sachverhalt

Der Mitbeteiligte war zwischen dem 1. 2. 2017 und dem 31. 1. 2019 aufgrund einer befristeten Entsendung seines österreichischen Arbeitgebers bei einem US-amerikanischen Unternehmen tätig. Zu diesem Zwecke übersiedelte er mitsamt seiner Ehefrau, seinen Kindern und ihren Haustieren in die USA. Für diesen Zeitraum hatte der Mitbeteiligte einen befristeten Mietvertrag in den USA abgeschlossen sowie ausgestellte Visa für sich und seine Familie. Auch sein Gehalt wurde in dieser Zeit auf ein amerikanisches Bankkonto überwiesen. Seine Kinder besuchten eine Schule in den USA und waren in Sportvereinen tätig. Währenddessen absolvierte die Ehefrau des Mitbeteiligten eine Yoga-Ausbildung und bot Yoga-Unterricht an. Alle Urlaube der Familie im Streitzeitraum wurden in den USA gemacht.

Allerdings bestanden weiterhin auch Anknüpfungspunkte zu Österreich: Das Wohnhaus der Familie in Ö wurde nicht vermietet und war weiterhin als Nebenwohnsitz angeführt. Weiterhin unterlag der Mitbeteiligte während der gesamten Entsendungsdauer der österreichischen Sozialversicherung. Außerdem tätigte seine Ehefrau mehrmals Spendenzahlungen in Ö und vom österreichischen Bank- und Sparkonto wurden weiterhin Überweisungen vorgenommen. Darüber hinaus bestand von Anfang (der Entsendung) an der Plan, die beiden Kinder wieder in das österreichische Schulsystem zu integrieren.

Das Finanzamt (FA) erließ für die Jahre 2017 und 2018 Einkommensteuerbescheide, da es davon ausging, dass der Mitbeteiligte in Ö ansässig war und dort auch seinen Mittelpunkt der Lebensinteressen hatte. Dagegen erhob der Mitbeteiligte Beschwerde vor dem BFG (s BFG 17. 10. 2023, RV/7100991/2021). Das BFG stellte fest, dass der Mitbeteiligte in den Streitjahren sowohl in Ö als auch in den USA eine Wohnung innehatte. Für die Frage der Ansässigkeit sei daher auf den Mittelpunkt der Lebensinteressen abzustellen. Da kein eindeutiges Überwiegen der persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Ö erkannt werden konnte, musste gem Art 4 Abs 3 lit b DBA-USA auf den gewöhnlichen Aufenthalt zurückgegriffen werden. Da der Mitbeteiligte in den Streitjahren fast ausschließlich in den USA anwesend gewesen sei, falle den USA gem Art 15 DBA-USA das Besteuerungsrecht zu.

Gegen das Erk legte das FA außerordentliche Revision ein. Zur Zulässigkeit brachte es vor, dass das Erk des BFG von der Rsp des VwGH abweichen würde. Diese stRsp besagt, dass eine zeitlich begrenzte Auslandstätigkeit den Mittelpunkt der Lebensinteressen selbst dann im Inland bestehen lassen würde, wenn die Familie mitübersiedelt, die Wohnung im Inland aber beibehalten werden würde.

Entscheidung des VwGH

Für die Beurteilung des Mittelpunkts der Lebensinteressen ist auf das Gesamtbild der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abzustellen. Persönlichen Beziehungen komme dabei eine gewichtigere Rolle zu als wirtschaftlichen Beziehungen, wobei ua familiäre Bindungen oder Betätigungen gesellschaftlicher, religiöser und kultureller Art von Bedeutung sind. Bei dieser Ermittlung ist nicht nur auf die Verhältnisse eines Jahres, sondern auf einen längeren Zeitraum abzustellen (s VwGH 25. 9. 2013, 2011/15/0193).

Weiterhin hatte das BFG in seinem Erk nicht berücksichtigt, dass sich enge Verwandte des Mitbeteiligten (namentlich der Vater, die Schwiegermutter und der Schwager) weiterhin in Ö befanden. Auch konnten keine Nachweise für persönliche Bindungen in den USA erbracht werden, die über die üblichen Kontakte mit Arbeitskollegen hinausgingen. Diese fallen nicht als persönliche Beziehungen ins Gewicht (s VwGH 25. 7. 2013, 2011/15/0193). Außerdem wurde vom BFG nicht miteinbezogen, dass der Mitbeteiligte weiterhin einen aufrechten Dienstvertrag mit seinem österreichischen Arbeitgeber hatte.

Das BFG-Erk weicht zudem von der stRsp des VwGH ab, wonach eine zeitlich begrenzte Auslandstätigkeit den Mittelpunkt der Lebensinteressen selbst dann im Inland bestehen lässt, wenn die Familie ins Ausland mitzieht, die Wohnung im Inland aber beibehalten wird (s VwGH 25. 7. 2013, 2011/15/0193). Obwohl ursprünglich eine dreijährige Entsendung mit einer zweijährigen Verlängerungsoption geplant war, traf der Mitbeteiligte bereits nach 1,5 Jahren den Entschluss wieder nach Ö zu ziehen, damit seine Kinder wieder in das österreichische Schulsystem eingegliedert werden konnten. Die tatsächliche Rückkehr erfolgte nach 23 Monaten. Da somit der schulischen Laufbahn seiner Kinder ein höherer Stellenwert zukam als seiner eigenen Entsendung, und von Anfang an der Plan einer Rückkehr bestand, stellte der VwGH fest, dass während der gesamten Dauer des USA-Aufenthalts engere Bindungen zu Ö bestanden.

Das angefochtene Erk wird somit wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.

Conclusio

Während das angefochtene BFG-Erk einen Ansässigkeitswechsel unter Beibehaltung des inländischen Wohnsitzes auch bei einem relativ kurzen Auslandsaufenthalt vorsah, wurde diese Entscheidung nun vom VwGH wieder aufgehoben. Dies wurde vom VwGH ua damit begründet, dass bei der Ermittlung des Mittelpunkts der Lebensinteressen auf einen längeren Zeitraum als ein Jahr abzustellen ist (s VwGH 25. 9. 2013, 2011/15/0193). In der Lit wird dabei die Meinung vertreten, dass der Beobachtungszeitraum mind zwei Jahre sein sollte (s Tumpel/Luketina in Aigner/Kofler/Tumpel [Hrsg], DBA2 [2019] Art 4 Rz 40 mwN). Da der Mitbeteiligte bereits nach 23 Monaten wieder aus den USA nach Ö zurückkehrte, ist nachvollziehbar, warum eine Verlagerung des Lebensmittelpunkts vom VwGH abgelehnt wurde.

Weniger verständlich ist aber die Tatsache, dass in dieser Hinsicht auch mit der subjektiven Absicht des Mitbeteiligten argumentiert wurde. Dieser traf bereits nach 1,5 Jahren den Entschluss, wieder nach Ö zurückzukehren, um seinen Kindern die Wiedereingliederung ins Schulsystem zu ermöglichen. Dies steht im Widerspruch zur bisherigen VwGH-Rsp, wonach bei der Bestimmung des Mittelpunkts der Lebensinteressen allein objektive Kriterien von Bedeutung sind, subjektive Absichten allerdings unbeachtlich sind (s VwGH 22. 3. 1991, 90/13/0073).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 36293 vom 15.01.2025