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VwGH: Aufrechnung einer Insolvenzgutschrift mit Insolvenzforderungen nach rechtskräftiger Sanierungsplanbestätigung

Bearbeiter: Michael Hubmann

EStG: § 108c

IO: §§ 19 Abs 1, 46 Abs 1 Z 2, 156 Abs 4

Abstract

Die Forschungsprämie gem § 108c EStG ist für Zwecke der Einordnung als Insolvenz- oder Massegutschrift nach dem Zeitpunkt der Tätigung der anspruchsbegründenden Aufwendungen aufzuteilen. Liegt eine Insolvenzgutschrift vor, so kann diese nach § 19 IO mit Insolvenzforderungen verrechnet werden. Die Aufrechnungsbefugnis ist nach rechtskräftiger Bestätigung des Sanierungsplans jedoch auf die Quote beschränkt. Diese Beschränkung gilt nur dann nicht, wenn der Gläubiger unverschuldet aufgrund eines Verschuldens des Insolvenzschuldners an einer Aufrechnungserklärung vor rechtskräftiger Sanierungsplanbestätigung gehindert worden ist.

VwGH 29. 6. 2022, Ra 2020/15/0015

Sachverhalt

Der Rw ist Masseverwalter der X GmbH, über deren Vermögen am 2. November 2017 über Eigenantrag ein Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung eröffnet wurde. Das Sanierungsverfahren wurde am 22. Mai 2018 nach Abschluss eines Sanierungsplans rechtskräftig beendet. Die X GmbH tätigte im gesamten Jahr 2017 – also sowohl vor, als auch nach Insolvenzeröffnung – Aufwendungen, die für eine Forschungsprämie iSd § 108c EStG anspruchsbegründend waren. Die X GmbH beantragte am 6. August 2018 die Zuerkennung der Forschungsprämie für das Jahr 2017 iHv 1,028.757,72 €, welche in der Folge auch gewährt und dem Abgabenkonto gutgeschrieben wurde. Das FA verbuchte hierauf am 30. August 2018 die zuvor im Insolvenzverfahren angemeldete Forderung auf Umsatzsteuer für 2017 iHv 1,028.757,72 € auf dem Abgabenkonto der X GmbH und rechnete die Umsatzsteuerschuld mit der Gutschrift aus der Forschungsprämie auf. Infolge der hiergegen durch den Rw erhobenen Beschwerde entschied das BFG, dass eine Aufteilung auf die Zeit vor und auf die Zeit nach der Insolvenzeröffnung zu erfolgen habe. Dem auf den Zeitraum vor Insolvenzeröffnung entfallenden Teil der Forschungsprämie (857.298,10 €) liege ein Sachverhalt zugrunde, der vor Eröffnung des Sanierungsverfahrens verwirklicht worden sei, und der daher zu einer Insolvenzgutschrift führe, welcher die Insolvenzforderung des Finanzamts aus der Umsatzsteuervorauszahlung gegenüberstehe. Weiters hätte das FA während des Sanierungsverfahrens keine Kenntnis vom Prämienanspruch haben und daher auch nicht früher aufrechnen können. Die Aufrechnung mit dem vorinsolvenzlichen Teil der Forschungsprämie sei daher vollumfänglich zulässig. Der Rw vertrat demgegenüber die Ansicht, dass die Aufrechnung der Forschungsprämie nur in Höhe der Quote zulässig sei und erhob ao Revision.

Entscheidung des VwGH

Gem § 46 Abs 1 Z 2 IO gehören zu den Masseforderungen öffentliche Abgaben, wenn und soweit der die Abgabepflicht auslösende Sachverhalt während des Konkursverfahrens verwirklicht wird. Entsprechendes muss spiegelbildlich für die zeitliche Abgrenzung der Forderungen der Schuldnerin auf Prämien nach § 108c EStG gelten (vgl VwGH 21. 11. 2013, 2011/15/0188). Ausschlaggebend ist in diesem Zusammenhang daher der Zeitpunkt, an dem der die Forschungsprämie auslösende Sachverhalt verwirklicht wurde. Aus § 108c EStG ergibt sich, dass der die Prämie auslösende Sachverhalt in der Tätigung der anspruchsbegründenden Aufwendungen liegt. Bei jenem Teil der Forschungsprämie, der auf nach der Insolvenzeröffnung getätigte Aufwendungen entfällt, handelt es sich daher um einen Anspruch der Masse. Demgegenüber bildet jener Teil der Forschungsprämie, der durch Aufwendungen vor der Insolvenzeröffnung begründet wurde, eine Insolvenzgutschrift.

Im gegenständlichen Fall standen sich zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung ein – durch Aufwendungen vor Insolvenzeröffnung begründeter – aufrechenbarer Prämienbetrag iHv 857.298,10 € und eine angemeldete Forderung auf Umsatzsteuer in zumindest gleicher Höhe gegenüber. Die Aufrechnung selbst ist unstrittig nach der rechtskräftigen Bestätigung des Sanierungsplans erfolgt, weshalb sich die Frage des Umfangs der Aufrechnungsbefugnis nach rechtskräftig bestätigtem Sanierungsplan stellt. Schon vor Ergehen der Entscheidung OGH 1. 12. 2015, 6 Ob 179/14p sprachen sich weite Teile der Lehre für eine Beschränkung der Aufrechnung auf die Quote aus (vgl Buchegger, Ausgleichserfüllung [1988] 79 f; Rummel in Rummel, ABGB² § 1439 Rz 11; Lovrek in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 156 KO Rz 59 uvm). Der VwGH schließt sich dieser Auffassung an, zumal sich aus § 19 IO eine volle Aufrechnungsbefugnis nicht ableiten lässt, die Sicherungsfunktion der Aufrechnung keine andere Beurteilung zulässt und eine analoge Anwendung des § 149 Abs 1 IO auf den aufrechnungsberechtigten Insolvenzgläubiger nicht in Betracht kommt (vgl die jeweils ausführliche Begründung in OGH 1. 12. 2015, 6 Ob 179/14p). Eine über die Quote hinausgehende Aufrechnung kommt nur in Betracht, wenn der Gläubiger unverschuldet aufgrund eines Verschuldens des Insolvenzschuldners – wobei leichte Fahrlässigkeit genügt – an einer Aufrechnungserklärung vor rechtskräftiger Sanierungsplanbestätigung gehindert worden ist, zumal für diesen Fall § 156 Abs 4 IO (analog) zur Anwendung kommt (vgl Fichtinger, Insolvenzaufrechnung [2015] 402). Das BFG ging von der Anwendbarkeit des § 156 Abs 4 IO aus, weil die X GmbH dem FA ihren Prämienanspruch bis zum rechtskräftigen Abschluss des Sanierungsverfahrens schuldhaft verschwiegen habe. Konkrete Feststellungen wurden hierzu im angefochtenen Erkenntnis aber nicht getroffen. Weiters indiziert das Vorbringen des Rw im Beschwerdeverfahren, wonach die Forschungsprämie im Sanierungsverfahren der X GmbH in die Unternehmensplanung eingebunden worden sei, eine Kenntnis des FA, womit kein Fall des § 156 Abs 4 IO vorliegt. Das angefochtene Erkenntnis war daher aufzuheben.

Conclusio

Die Aufteilung der Forschungsprämie nach Maßgabe des Zeitpunkts der Aufwandstätigung in Insolvenz- oder Massegutschriften entspricht der Rsp des VwGH (vgl VwGH 21. 11. 2013, 2011/15/0188). Dem VwGH stellt sich im Revisionsfall erstmalig die Frage des Umfangs der Aufrechnungsbefugnis nach rechtskräftiger Bestätigung des Sanierungsplans. Er schließt sich hierbei der Ansicht des OGH (vgl OGH 1. 12. 2015, 6 Ob 179/14p) an, der eine Beschränkung der Aufrechnung auf die Quote bejaht. Eine über die Quote hinausgehende Aufrechnung kommt nur dann in Betracht, wenn der Gläubiger (in diesem Fall das FA) unverschuldet aufgrund eines Verschuldens des Insolvenzschuldners an einer Aufrechnungserklärung vor rechtskräftiger Sanierungsplanbestätigung gehindert worden ist. Hierbei gilt § 156 Abs 4 IO analog (vgl Fichtinger, Insolvenzaufrechnung 402). Der bloße Umstand, dass die Forschungsprämie erst nach der Sanierungsplanbestätigung beantragt wurde, vermag für sich alleine im gegenständlichen Fall noch nicht als verschuldete Hinderung zu gelten.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 32994 vom 02.09.2022