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VwGH: „Bedingter“ Antrag gem § 274 Abs 1 Z 1 BAO

Bearbeiter: Bence Péter Komár

BAO: §§ 9, 85, 274 Abs 1 Z 1

Abstract

Der ehemalige Geschäftsführer einer insolventen GmbH bekämpfte (ua) einen gegen ihn erlassenen Haftungsbescheid mit Beschwerde. In der Beschwerde beantragte der Geschäftsführer die Durchführung einer mündlichen Verhandlung „für den Fall, dass nicht im Rahmen einer Beschwerdevorentscheidung die Aufhebung der Haftung ausgesprochen werde“. Das BFG hat diesen Antrag wegen seiner bedingten Natur als unzulässig und unwirksam angesehen. Entgegen der vom BFG vertretenen Ansicht entschied der VwGH, dass der gestellte Antrag trotz seiner Bedingtheit zulässig war.

VwGH 23. 3. 2023, Ra 2022/13/0113

Sachverhalt

Der Revisionswerber (Rw) war von September 2013 bis Juni 2017 Geschäftsführer einer GmbH. Mit Gerichtsbeschluss vom März 2019 wurde die Zahlungsunfähigkeit dieser GmbH festgestellt. Ein Insolvenzverfahren wurde mangels kostendeckenden Vermögens nicht eröffnet. Als ehemaliger Geschäftsführer wurde der Rw im November 2020 vom Fa für aushaftende Abgabenschulden der GmbH zur Haftung herangezogen (§§ 9, 80 BAO). Gegen den Haftungsbescheid erhob er fristgerecht Beschwerde. Dabei beantragte der Rw in der Beschwerde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gem § 274 Abs 1 Z 1 BAO: „Für den Fall, dass nicht im Rahmen einer Beschwerdevorentscheidung die Aufhebung der Haftung ausgesprochen wird, wird die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung beantragt.“ Mit Beschwerdevorentscheidung vom März 2021 wies das FA die Beschwerde gegen den Haftungsbescheid als unbegründet ab. Daraufhin stellte der Rw einen Vorlageantrag mit dem oben zitierten Inhalt. Mit Verweis auf die Rsp des VwGH, wonach bedingte Prozesshandlungen nur zulässig seien, wenn dies im Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist (VwGH 24. 4. 2003, 2002/07/0157), erachtete das BFG den Antrag auf Abhaltung einer mündlichen Verhandlung für unwirksam und führte keine mündliche Verhandlung durch, zumal bedingte Prozesshandlungen in der BAO nicht vorgesehen sind (mit Verweis auf VwGH 29. 8. 2013, 2011/16/0245). Im Übrigen wies das BFG die Beschwerde mit Erkenntnis gem § 279 BAO als unbegründet ab und ließ die ordentliche Revision nicht zu.

Entscheidung des VwGH

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision, die in ihrer Zulässigkeitsbegründung vorbringt, das BFG hätte eine mündliche Verhandlung durchführen müssen. Die Nichtdurchführung einer beantragten mündlichen Verhandlung durch das BFG stelle einen besonders gravierenden Verfahrensmangel dar, der im hier vorliegenden Anwendungsbereich der GRC jedenfalls (dh ohne „Relevanz“ des Mangels) zur Aufhebung der Entscheidung führe (mit Verweis auf VwGH 23. 1. 2013, 2010/15/0196 ua). Zur Frage der Wirksamkeit des Antrags auf Abhaltung einer mündlichen Verhandlung führt der VwGH zunächst aus, dass Parteierklärungen im Verwaltungsverfahren nach ihrem „objektiven Erklärungswert“ auszulegen sind. Es kommt darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszwecks und der der Behörde vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss (vgl VwGH 13. 10. 2020, Ra 2020/15/0032). Bedingte Prozesshandlungen seien grds unzulässig. Wenn jedoch eine Prozesshandlung von einem bestimmten im Verfahrensverlauf eintretenden Ereignis abhängig gemacht wird, ohne dass dadurch ein dem Verfahren abträglicher Schwebezustand herbeigeführt wird, darf die Unzulässigkeit dieser Prozesshandlung nicht angenommen werden (VwGH 10. 3. 2016, Ra 2015/15/0041). Ein solcher Zustand trete jedenfalls dann nicht ein, wenn eine mündliche Verhandlung für den Fall beantragt wird, dass nicht im Rahmen einer Beschwerdevorentscheidung die Aufhebung des Bescheides ausgesprochen wird. Zu einer Entscheidung des BFG komme es erst nach abweisender Beschwerdevorentscheidung (hier: keine Aufhebung der Haftung mittels Beschwerdevorentscheidung). Diesem Antrag sei zweifelsohne die Absicht der Partei zu entnehmen, dass einer Entscheidung des BFG eine mündliche Verhandlung vorangehen möge. Zudem war im Zeitpunkt des Vorlageantrags die Bedingung bereits eingetreten. Der Rw hatte somit wirksam einen Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt. Der VwGH hob das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gem § 42 Abs 2 Z 3 VwGG auf.

Conclusio

Die vorliegende Entscheidung steht im Einklang mit der gefestigten Rsp des VwGH zu bedingten Anträgen. Zum einen sind Eventualanträge – dh Anträge, die unter der aufschiebenden Bedingung gestellt werden, dass der Primärantrag erfolglos bleibt – nach stRsp zulässig (vgl VwGH 6. 2. 1990, 89/14/0256; 28. 11. 2008, 2005/15/0134; 26. 3. 2015, 2013/11/0103; vgl auch Ritz/Koran, BAO7 [2021] § 85 Rz 3). Andere bedingte Anträge sind grds unzulässig und gelten als nicht gestellt (vgl VwGH 7. 6. 2001, 2001/16/0016; Zorn, SWK 2001, 570; Ritz/Koran, BAO7 [2021] § 85 Rz 3). Selbst solche grds unzulässigen Anträge sind jedoch dann wirksam, wenn sie von einem bestimmten im Verfahrensverlauf eintretenden Ereignis abhängig gemacht werden, ohne dass ein dem Verfahren abträglicher Schwebezustand herbeigeführt wird (so bereits VwGH 17. 8. 1998, 97/17/0401; 10. 3. 2016, Ra 2015/15/0041). Durch die Beantragung einer mündlichen Verhandlung unter der Bedingung, dass das BFG über die Beschwerde (überhaupt) entscheidet, tritt ein solcher Zustand nicht ein, weil dem Anbringen ohne Zweifel entnommen werden kann, dass (nur) der Entscheidung des BFG eine mündliche Verhandlung vorangehen möge. Gem § 274 Abs 1 Z 1 lit b BAO kann eine mündliche Verhandlung auch im Vorlageantrag beantragt werden. Im vorliegenden Fall war die Bedingung im Zeitpunkt des Vorlageantrags bereits eingetreten. Es stellt sich somit die Frage, ob der Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung überhaupt bedingter Natur war.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 34410 vom 23.08.2023