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VwGH bestätigt Gruppenbildung mit einer ausländischen Gruppenträgerin ohne Zweigniederlassung in Österreich

Bearbeiter: Dominic Krenn

KStG 1988: § 9 Abs 3

AEUV: Art 49 Art 54

Abstract

Strittig war vor dem VwGH, ob eine ausländische EU-Muttergesellschaft ohne eingetragene Zweigniederlassung in Österreich, die zwei österreichische Tochtergesellschaften hält, als Gruppenträgerin fungieren kann. Während das FA die Gruppenbildung unter Berücksichtigung des Wortlauts des § 9 Abs 3 TS 4 KStG, der eine eingetragene Zweigniederlassung erfordert, verneinte, ließ das BFG eine horizontale Schwestergruppe zu, bei der die ausländische Muttergesellschaft ein bloßes „Referenzobjekt“ war. Der VwGH hat nun die BFG-Entscheidung wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben. Zwar hat der VwGH die Unionsrechtswidrigkeit des Erfordernisses der im Firmenbuch eingetragenen Zweigniederlassung bestätigt, die Ergebniszurechnung jedoch technisch anders gelöst. Nach Ansicht des VwGH kann nur die ausländische Muttergesellschaft trotz fehlender Zweigniederlassung als Gruppenträgerin fungieren. Für die Zwecke der Ergebniszusammenrechnung werden die inländischen Tochtergesellschaften wie Betriebsstätten behandelt. Die Ergebnisse der inländischen Tochtergesellschaften werden daher bei der Muttergesellschaft konsolidiert, jedoch als Betriebsstättenergebnisse der österreichischen Besteuerung unterworfen.

VwGH 27. 3. 2024, Ro 2023/13/0018

Sachverhalt

Die in Deutschland ansässige BB GmbH hält Beteiligungen an zwei in Österreich unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaften. Einerseits hält sie 99,8 % des Stammkapitals und der Stimmrechte an der B GmbH; andererseits 100 % des Stammkapitals und der Stimmrechte an der BE GmbH. Die BB GmbH beantragte die Feststellung einer Unternehmensgruppe gem § 9 Abs 8 KStG ab Veranlagung 2017, wobei sie selbst als Gruppenträgerin und die die B GmbH und BE GmbH als Gruppenmitgliederinnen fungieren sollten. Im Juni 2019 wies das FA den Antrag ab, weil die BB GmbH über keine inländische Zweigniederlassung iSd § 9 Abs 3 TS 4 KStG verfüge und daher nicht als Gruppenträgerin in Betracht komme.

Im Jahr 2022 gab das BFG der Beschwerde der BB GmbH aufgrund der unionsrechtlichen Bedenken gegen die geltende Rechtslage des § 9 Abs 3 TS 4 KStG Folge. Dabei ließ das BFG den horizontalen Ergebnisausgleich der inländischen B GmbH und BE GmbH zu, wobei der B GmbH antragsgemäß die steuerliche Funktion der Gruppenträgerin zukam. Die deutschen BB GmbH, die ursprünglich als Gruppenträgerin fungieren sollte, diente nur als Referenzobjekt für die inländische horizontale Ergebniszurechnung (BFG 31. 3. 2022, RV/7104573/2020; s dazu Knotzer/Lawson, Die horizontale Unternehmensgruppe im Spannungsverhältnis zwischen nationaler Rechtsgrundlage und Niederlassungsfreiheit, ecolex 2022, 650 [650 ff]).

Da das BFG das betreffende Erk nur der der deutschen BB GmbH, nicht jedoch den inländischen Tochtergesellschaften zustellte, hob der VwGH das Erk des BFG wegen eines Zustellungsfehlers auf (VwGH 1. 3. 2023, Ro 2022/13/0015). Im fortgesetzten Verfahren fasste das BFG ein nahezu wortgleiches Erk und stellte es auch allen betroffenen Gesellschaften zu (BFG 31. 3. 2023, RV/7100758/2023; s dazu Knotzer, LN Rechtsnews 34160). Gegen diese Entscheidung wurde Amtsrevision erhoben.

Entscheidung des VwGH

Beschränkt steuerpflichtige Körperschaften können gem § 9 Abs 3 TS 4 KStG nur als Gruppenträgerinnen fungieren, wenn sie über eine im Firmenbuch eingetragene Zweigniederlassung verfügen und die Beteiligung an den Gruppenmitgliedern der Zweigniederlassung zuzurechnen ist. Unstrittig verfügt die BB GmbH nicht über eine eingetragene Zweigniederlassung, weshalb die Voraussetzung des § 9 Abs 3 TS 4 KStG nicht erfüllt ist.

Art 49 Abs 1 Satz 2 AEUV räumt Wirtschaftsteilnehmern jedoch ausdrücklich die Möglichkeit ein, die geeignete Rechtsform für die Ausübung ihrer Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat frei zu wählen. Die freie Wahl darf nicht durch diskriminierende Steuerbestimmungen eingeschränkt werden. Die zentrale Rechtsfolge der Gruppenbildung ist das Zusammenfassen der steuerlichen Ergebnisse finanziell verbundener Körperschaften bei einem Gruppenträger. Eine solche Ergebniskonsolidierung verschafft den Gruppengesellschaften einen Liquiditätsvorteil und begründet eine Steuervergünstigung. Durch das Abstellen auf eine eingetragene Zweigniederlassung führt § 9 Abs 3 TS 4 KStG zu einer Ungleichbehandlung zwischen inländischen Muttergesellschaften und ausländischen Muttergesellschaften ohne eingetragene Zweigniederlassung mit Tochtergesellschaften in Österreich. Letztere können die positiven Ergebnisse ihrer gewinnbringenden Tochtergesellschaften nicht durch die Verluste ihrer defizitären Tochtergesellschaften ausgleichen. Daher werden – unter Berücksichtigung der EuGH Rsp zu Gruppenbesteuerungssystemen in anderen Mitgliedstaaten (EuGH 12. 6. 2014, SCA Group Holding u.a., C-39/13 u.a.; EuGH 14. 5. 2020, B u.a., C-749/18) – grenzüberschreitende Sachverhalte gegenüber rein innerstaatlichen Sachverhalten steuerlich benachteiligt, weshalb eine verbotene Beschränkung der Niederlassungsfreiheit vorliegt. Mangels Rechtfertigungsgründen entspricht das Erfordernis der eingetragenen Zweigniederlassung daher nicht dem Unionsrecht.

Die Lösung des BFG, wonach einer der beiden österreichischen Tochtergesellschaften die Gruppenträgerfunktion zuzuweisen sei, ist jedoch deshalb nicht statthaft, weil die Ergebnisermittlung bei Gruppenträgerin und Gruppenmitglied insbesondere bei Vorgruppen- und Außergruppenverlusten unterschiedlich geregelt ist. Außerdem sieht das österreichische Recht eine Ergebniszurechnung an einer Schwestergesellschaft nicht vor. Eine Vermischung der Gruppenmitglieds- und Gruppenträgerfunktion hat daher zu unterbleiben. Vielmehr kann nur die ausländische BB GmbH Gruppenträgerin sein. Für Zwecke der Ermittlung des Gruppenergebnisses werden die Gruppenmitglieder, also die B GmbH und BE GmbH, im Sinne der geltungserhaltenden Reduktion ähnlich wie Betriebsstätten der Gruppenträgerin behandelt. Die Besteuerung des Gruppenergebnisses erfolgt daher auf Ebene der Gruppenträgerin, wobei das Besteuerrecht der zusammengefassten Ergebnisse der inländischen Tochtergesellschaften in Österreich verbleibt, weil sie – für Zwecke der Gruppenbesteuerung – als inländische Betriebsstätten der ausländischen Gruppenträgerin anzusehen sind.

Conclusio

Entgegen der Entscheidung des BFG, die einen horizontalen Ergebnisausgleich der inländischen Schwestergesellschaften zuließ, hält der VwGH am Bestehen der vertikalen Unternehmensgruppe fest. Der VwGH bestätigt zwar einerseits, dass das Erfordernis der eingetragenen Zweigniederlassung iSd § 9 Abs 3 TS 4 KStG gegen die Niederlassungsfreiheit verstößt, löst die Ergebniszurechnung aber technisch anders. Dem VwGH zufolge kann dem Primärrecht mit „dem materiell geringsten Eingriff nur dadurch entsprochen werden, dass die ausländische Muttergesellschaft als Gruppenträgerin festgestellt wird und für Zwecke der Zusammenrechnung der Ergebnisse der Gruppenmitglieder […] die österreichischen Tochtergesellschaften wie österreichische Betriebsstätten der Gruppenträgerin behandelt werden“. Technisch werden dadurch die Ergebnisse der Tochtergesellschaften bei der ausländischen Muttergesellschaft als Gruppenträgerin zusammengerechnet, unterliegen jedoch als Betriebsstättengewinne weiterhin der österreichischen Besteuerungshoheit (s auch dazu Lachmayer, VwGH zur „Schwestergruppe“ mit ausländischem Gruppenträger, SWK 2024, 838 ff).

Für den Rechtsanwender ergeben sich anlässlich der Gruppenbildung mit einer ausländischen Muttergesellschaft ohne eingetragene Zweigniederlassung weiterhin spannende Rechtsfragen. So wird wohl zu klären sein, wie mit Vor- oder Außergruppenverluste von inländischen Tochtergesellschaften umzugehen ist und ob derartige Verluste gegebenenfalls mit dem gesamten Gruppenergebnis (unter Berücksichtigung der 75 %-Grenze) verrechnet werden können. Ebenfalls stellen sich verfahrensrechtliche Fragen wie etwa zur steuerlichen Registrierung der ausländischen Muttergesellschaft. Vor diesem Hintergrund scheint es jetzt die Aufgabe des Gesetzgebers zu sein, eine unionsrechtskonforme Lösung zu schaffen, die die Funktionsweise der Gruppenbesteuerung aufrechterhält und die noch offenen Fragen beseitigt.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 35798 vom 29.08.2024