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VwGH: Covid-19 ist keine Naturkatastrophe

Bearbeiter: Michael Hubmann

BAO: § 135

Hochwasseropferentschädigungs- und Wiederaufbau-Gesetz 2005 – HWG 2005 sowie Änderung des Katastrophenfondsgesetzes 1996, des Bundesfinanzgesetzes 2005, des Bundesfinanzgesetzes 2006, des Umweltförderungsgesetzes, des Einkommensteuergesetzes 1988 ... idF BGBl I 2005/112: Art 9

IO: § 69 Abs 2a

Abstract

Mit BGBl I 2005/112 wurde vor dem Hintergrund der österreichweit außergewöhnlichen Hochwassersituation im Jahr 2005 ein Gesetzespaket beschlossen, in dem ua abgabenrechtliche Sondermaßnahmen für Fristversäumnisse aufgrund von Naturkatastrophen geschaffen wurden. Der VwGH hatte nun zu entscheiden, ob die Verhängung eines Verspätungszuschlags ausgeschlossen ist, weil das Vorliegen von Covid-19 als Naturkatastrophe iSd Art 9 BGBl I 2005/112 verstanden werden könnte. In Übereinstimmung mit dem BFG stellte der VwGH fest, dass der Anwendungsbereich dieser Sonderregelung – im Gegensatz zu § 69 Abs 2 IO – gerade nicht auch auf Pandemien erweitert wurde und daher auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar ist.

VwGH 19. 12. 2023, Ro 2022/15/0042

Sachverhalt

Die Rw wurde im Jahr 2021 zur vierteljährlichen Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen (UVA) verpflichtet und durch das FA mit Schreiben vom 1. 3. 2022 hieran erinnert. Dabei wies die Abgabenbehörde auch auf die abgabenrechtlichen Konsequenzen einer Nichteinreichung (ua auf den Verspätungszuschlag nach § 135 BAO) hin. Da die Rw die UVA auch weiterhin nicht einreichte, setzte das FA die Umsatzsteuer mit Bescheid vom 24. 3. 2022 fest und verhängte einen Verspätungszuschlag iHv 4 % der festgesetzten Umsatzsteuer. Die vorgeschriebene Umsatzsteuer wurde am 29. 3. 2022 zur Gänze entrichtet. Gegen den Verspätungszuschlagsbescheid erhob die Rw Beschwerde. Sie begründete diese damit, dass die Verspätung entschuldbar sei, denn nach Art 9 BGBl I 2005/112 (betreffend abgabenrechtliche Sondermaßnahmen für Opfer von Naturkatastrophen) sei von der Festsetzung von Verspätungszuschlägen abzusehen, wenn die Verspätung als Folge einer Naturkatastrophe eintritt und die versäumte Handlung innerhalb von zwei Monaten nach Eintritt der Naturkatastrophe nachgeholt wird. Durch die Zahlung der festgesetzten Abgabe sei die versäumte Handlung rechtzeitig nachgeholt worden. Die Verspätung sei eine Folge massiver Mitarbeiterausfälle sowohl bei der Rw als auch bei deren steuerlichen Vertreter infolge der Covid-19-Pandemie, die – wie in § 69 Abs 2a IO – als Naturkatastrophe einzuordnen sei. Nach Ansicht des FA sei die Covid-19-Pandemie jedoch keine Naturkatastrophe, sondern lediglich ein – den Verspätungszuschlag nicht ausschließender – durch höhere Gewalt ausgelöster Notstand. Auch das BFG verneinte die Anwendbarkeit von Art 9 BGBl I 2005/112, weil eine Pandemie nicht unter dessen Naturkatastrophenbegriff fallen würde. Zudem stellte das BFG fest, dass es geboten gewesen wäre, geeignete organisatorische Maßnahmen zu treffen, um trotz pandemiebedingter Mitarbeiterausfälle den abgabenrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen. Aufgrund der Unterlassung der zumutbaren Sorgfalt durch die Rw und deren steuerlichen Vertreter liege daher keine entschuldbare Fehlleistung vor, weshalb der Verspätungszuschlag berechtigt sei. Gegen diese Entscheidung erhob die Rw ordentliche Revision.

Entscheidung des VwGH

Bereits die Überschrift von Art 9 BGBl I 2005/112 legt unmissverständlich dar, dass die darin vorgesehenen abgabenrechtlichen Sondermaßnahmen für die Opfer von „Naturkatastrophen“ bestimmt sind. Die Gesetzesmaterialien sprechen dabei ausdrücklich von „Erleichterungen bei Steuer(nach)zahlungen, wie die Nichtfestsetzung von Säumniszusch[l]ägen bei naturkatastrophenbedingtem Zahlungsverzug“ (ErläutRV 1065 BlgNR 22. GP 6). Der Anwendungsbereich wird in § 1 Art 9 BGBl I 2005/112 durch eine demonstrative Aufzählung näher umschrieben und nennt als erfasste (Natur-)Katastrophen „insbesondere Hochwasser, Erdrutsch, Vermurung und Lawinen“. Den genannten Naturkatastrophen ist gemein, dass unmittelbar durch ein Naturereignis Schäden mit verheerenden Folgen eintreten. Bei der Verbreitung einer Krankheit treten Schäden demgegenüber erst durch die Interaktion von Menschen zunehmend auf. Überdies führen Krankheitswellen im Allgemeinen nicht dazu, dass die Infrastruktur eines Landes an sich physisch unwiederbringlich zerstört wird. Es wird lediglich deren Nutzung erschwert. Auf eine pandemische Lage kann auch organisatorisch anders reagiert werden, womit auch die Einhaltung von Zahlungsfristen nicht zwingend gefährdet sein muss (zB durch Online-Banking, Home-Office). Eine Erweiterung des Anwendungsbereichs von Art 9 BGBl I 2005/112 ist – anders als bei § 69 Abs 2a IO – durch das 2. Covid-19-Gesetz (BGBl I 2020/16) gerade nicht erfolgt. Das BFG ist sohin zu Recht davon ausgegangen, dass die „Abgabenrechtlichen Sondermaßnahmen für Opfer von Naturkatastrophen“ des Art 9 BGBl I 2005/112 im gegenständlichen Fall nicht anwendbar sind.

Das BFG hat aber keine ausreichenden Feststellungen getroffen, um beurteilen zu können, ob die verspätete Einreichung der Abgabenerklärung tatsächlich – wie von der Rw vorgebracht – durch massive Ausfälle von Mitarbeitern aufgrund von Infektionen mit Covid-19 sowohl bei ihr selbst als auch beim steuerlichen Vertreter bedingt waren. Diesfalls könnte die Verspätung nämlich bereits unmittelbar in Anwendung des § 135 BAO „entschuldbar“ gewesen sein. Solche Feststellungen kann ein pauschaler Hinweis auf die allgemeine Vorsorgepflicht von berufsmäßigen Parteienvertretern nicht ersetzen. Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen (prävalierender) Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Conclusio

Der VwGH bestätigt die Ansicht des BFG, wonach Art 9 BGBl I 2005/112 bei Fristversäumnissen als Folge einer Pandemie nicht anwendbar ist und der insolvenzrechtliche Begriff der „Naturkatastrophe“ vergleichsweise deutlich weiter gefasst ist. Der Gesetzgeber hatte pandemische Ereignisse – wie auch der VwGH hier hervorhebt – bei der Einführung von Art 9 BGBl I 2005/112 schlichtweg nicht vor Augen. Als er diese dann vor Augen hatte, erfolgte – anders als bei vergleichbaren Regelungen wie jener in § 69 Abs 2a IO – dennoch keine Erweiterung des Anwendungsbereichs, was gegen eine idente Auslegung des Begriffs „Naturkatastrophe“ spricht (so bereits Schragl, BFG zur abgabenrechtlichen Einstufung von Covid-19 als Naturkatastrophe, LexisNexis Rechtsnews 33489 vom 4. 1. 2023). Fraglich ist aber, ob nicht ohnehin eine „entschuldbare“ Verspätung iSd § 135 BAO vorliegen könnte. Es ist hierbei zwar bereits leichte Fahrlässigkeit schädlich, daneben stellt sich aber auch die Frage nach dem sachgerechten Gebrauch des Handlungsermessens bei der Vorschreibung eines Verspätungszuschlags. Laut Tanzer dürfte demnach die Geltendmachung eines Verspätungszuschlags bei erwiesener leichter Fahrlässigkeit in der Art eines normalen menschlichen Fehlverhaltens hinsichtlich der Fristversäumung nur im Wiederholungsfall rechtens sein, da es erst dann individuell-präventiver Maßnahmen bedarf (Tanzer in Althuber/Tanzer/Unger [Hrsg], BAO Handbuch [2016] 414 f). Es sprechen gute Gründe dafür, aufgrund der außergewöhnlichen Pandemiesituation im vorliegenden Fall von einer entschuldbaren Verspätung auszugehen oder zumindest im Rahmen der Ermessensübung von der Vorschreibung des Verspätungszugschlags abzusehen. Eine abschließende Klärung im fortgesetzten Verfahren ist leider nicht zu erwarten, weil die Beschwerde zurückgezogen und als gegenstandslos erklärt wurde (BFG 22. 1. 2024, RV/2100006/2024).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 35305 vom 12.04.2024