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Abstract
Der VwGH hatte über einen Fall zu entscheiden, bei dem die Auswirkungen der Ausübung der Option zur unbeschränkten Steuerpflicht gem § 1 Abs 4 EStG auf die Berechnungsbestimmungen der Negativsteuer nach § 33 Abs 8 EStG zu klären waren. Nach Ansicht des VwGH kann es auch für beschränkt Steuerpflichtige nach einer Optionsausübung nur insoweit zu einer Einkommensteuergutschrift iSd § 33 Abs 8 EStG kommen, als das Einkommen auch unter Berücksichtigung der nicht steuerbaren ausländischen Einkünfte unter der Besteuerungsgrenze bleibt.
VwGH 3. 2. 2022, Ro 2021/15/0009
Sachverhalt
Der Rw ist tschechischer Staatsbürger und war im Streitjahr 2019 wohnhaft in Tschechien, wo er Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit iHv rund € 7.850 erzielte. Diese Einkünfte unterlagen der Besteuerung in Tschechien (Ansässigkeitsstaat). In Österreich bezog er ebenfalls Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit iHv rund € 10.900; die Sozialversicherungsbeiträge für laufende Bezüge betrugen rund € 2.500. Der Rw übte die Option zur unbeschränkten Steuerpflicht gem § 1 Abs 4 EStG aus.
Das FA setzte im Einkommensteuerbescheid 2019 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit iHv rund € 10.750 an, was eine Einkommensteuer von € 0,- ergab. Die Gutschrift eines Teiles der Sozialversicherungsbeiträge nach der Regelung des § 33 Abs 8 EStG („negative Einkommensteuer“) nahm das FA nicht vor. In der Begründung wurde festgehalten, dass gem § 33 Abs 8 EStG die für die Ermittlung erstattungsfähiger Negativsteuer auf Grund zwischenstaatlicher oder anderer völkerrechtlicher Vereinbarungen steuerbefreiten Einkünfte iHv rund € 7.850 wie steuerpflichtige Einkünfte zu behandeln seien. Es habe daher keine Negativsteuer festgesetzt werden können. Der Rw erhob Beschwerde.
Das BFG wies die Beschwerde ab (BFG 25. 3. 2021, RV/6100425/2020; s Hubmann, LexisNexis Rechtsnews 31010 vom 9. 6. 2021). Nach dem Willen des Gesetzgebers seien bei der Berechnung der Negativsteuer steuerfrei gestellte Einkünfte mit einzubeziehen. Nur so könne sichergestellt werden, dass bloß Beziehende von niedrigen Einkommen von der Negativsteuer profitieren. Dies habe in gleicher Weise wie für unbeschränkt Steuerpflichtige auch für als unbeschränkt behandelte Steuerpflichtige (§ 1 Abs 4 EStG) zu gelten. Das bedeute, dass es nur insoweit zu einer Einkommensteuergutschrift komme, als das Einkommen auch unter Berücksichtigung der steuerbefreiten Beträge unter der Besteuerungsgrenze bleibe. Die vom Rw in Tschechien erwirtschafteten Einkünfte seien somit gem § 33 Abs 8 Z 4 EStG bei der Berechnung der Negativsteuer zu berücksichtigen, wodurch sich im Revisionsfall keine Negativsteuer ergebe. Sowohl der Steuerpflichtige (Rw) als auch das FA erhoben Revision.
Entscheidung des VwGH
Der VwGH wies die Revisionen als unbegründet ab: Durch § 1 Abs 4 EStG erhalten beschränkt Steuerpflichtige ein „Wahlrecht [...], bei beschränkt steuerpflichtigen Einkünften eingeschränkt auf diese Einkünfte wie ein unbeschränkt Steuerpflichtiger behandelt zu werden; damit sollen dem Steuerpflichtigen steuerliche Vorteile gewährt werden, die ansonsten nur unbeschränkt Steuerpflichtigen zustehen“ (Millauer in Doralt, EStG, 9. Lfg, Rz 58). Auch die ErlRV zum EU-Abgabenänderungsgesetz, BGBl Nr 798/1996, streichen dabei unter Hinweis auf diesbezügliche Rsp des EuGH hervor, dass mit dem Wahlrecht – bei Vorliegen der darin formulierten Voraussetzungen – den beschränkt Steuerpflichtigen „die Begünstigungen der unbeschränkten Steuerpflicht“ eröffnet werden sollen (498 BlgNR 20. GP, S 6).
Im Revisionsfall stellt sich laut VwGH nun erstmals die Frage, welche Auswirkungen die Ausübung der Option gem § 1 Abs 4 EStG auf die Berechnungsbestimmungen der Negativsteuer nach § 33 Abs 8 EStG hat: Die revisionswerbenden Parteien meinen, die tschechischen Einkünfte des Rw könnten nicht als „auf Grund zwischenstaatlicher oder anderer völkerrechtlicher Vereinbarungen steuerfreie Einkünfte“ iSd § 33 Abs 8 Z 4 EStG gelten, weil Österreich für sie ohnedies kein Besteuerungsanspruch zukomme. Mit dieser isolierten Betrachtung des § 33 Abs 8 Z 4 EStG verkennen sie allerdings laut VwGH das Zusammenspiel von § 1 Abs 4 und § 33 Abs 8 EStG. Die Ausübung des Antragsrechts nach § 1 Abs 4 EStG führt nämlich dazu, dass im Wege einer gesetzlichen Fiktion für die Inanspruchnahme von Begünstigungen von einer unbeschränkten Steuerpflicht in Österreich auszugehen ist („als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt“), unabhängig davon, dass in sachlicher Hinsicht nur die Einkünfte gem § 98 EStG der österreichischen Besteuerung unterliegen.
Wäre der die Option ausübende beschränkt Steuerpflichtige tatsächlich in Österreich unbeschränkt steuerpflichtig (als solcher hat er ja beantragt „behandelt zu werden“), so wären die tschechischen Einkünfte im Revisionsfall – so sie in Österreich aufgrund einer abkommensrechtlichen Steuerfreistellung nicht unmittelbar Eingang in die Bemessungsgrundlage fänden – aufgrund § 33 Abs 8 Z 4 EStG jedenfalls für die Berechnung der Negativsteuervoraussetzungen zu erfassen. Nichts anderes soll für beschränkt Steuerpflichtige iSd § 1 Abs 4 EStG gelten. Das bedeutet, es kann iS der Teleologie des § 33 Abs 8 EStG auch für beschränkt Steuerpflichtige nach einer Optionsausübung nur insoweit zu einer Einkommensteuergutschrift iSd § 33 Abs 8 EStG kommen, als das Einkommen auch unter Berücksichtigung der nicht steuerbaren ausländischen Einkünfte unter der Besteuerungsgrenze bleibt.
Wie das BFG laut VwGH zu Recht ausgeführt hat, werden die tschechischen Einkünfte durch ihre Berücksichtigung nach § 33 Abs 8 Z 4 EStG auch nicht der österreichischen Einkommensteuer unterworfen, sondern – ähnlich der Anwendung eines Progressionsvorbehalts – lediglich bei der Berechnung der negativen Einkommensteuer iSd § 33 Abs 8 EStG entsprechend mit einbezogen, womit beschränkt Steuerpflichtige iSd § 1 Abs 4 EStG bloß in gleicher Weise wie unbeschränkt Steuerpflichtige an den „Begünstigungen der unbeschränkten Steuerpflicht“ teilhaben (vgl zur Berücksichtigung der gesamten „Steuerkraft“ eines Steuerpflichtigen gem § 1 Abs 4 EStG auch VwGH 25. 9. 2012, 2008/13/0201, betreffend zulässiger steuerlicher Berücksichtigung ausländischer Verluste).
Conclusio
Die Optionsausübung gem § 1 Abs 4 EStG soll EU- oder EWR-Bürgern, die im Inland weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt haben, jene steuerlichen Vorteile gewähren, die ansonsten nur unbeschränkt Steuerpflichtigen zustehen (vgl ErlRV 498 BlgNR 20. GP, S 6). Derartige Vorteile wären ua die Gewährung der Absetzbeträge zur Berücksichtigung der Familienverhältnisse oder die Berücksichtigung von außergewöhnlichen Belastungen (s Jakom/Marschner, EStG14 [2021] § 1 Rz 61). Sofern die nach dem Tarif berechnete ESt nach Abzug allfälliger Absetzbeträge unter null ist, können bestimmte Absetzbeträge im Zuge der Einkommensteuerberechnung zu einer Gutschrift („Negativsteuer“ bzw „SV-Rückerstattung“) führen (dazu zB Jakom/Kanduth-Kristen, EStG14 [2021] § 33 Rz 110). Nach dem Sinn und Zweck des § 33 Abs 8 EStG kann es laut VwGH bei Ausübung der Option des § 1 Abs 4 EStG nur dann zu einer Negativsteuer kommen, sofern das Einkommen auch unter Berücksichtigung der nicht steuerbaren ausländischen Einkünfte unter der Besteuerungsgrenze bleibt. Diese Vorgehensweise ist mE konsequent, weil die Negativsteuer entsprechend dem Willen des Gesetzgebers nur jenen Steuerpflichtigen zukommen soll, die tatsächlich ein niedriges (Welt-)Einkommen beziehen.