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Abstract
Der VwGH beschäftigte sich mit der Frage, ob es zur Erlassung eines Haftungsbescheides notwendig ist, dass zuvor der haftungsgegenständliche Abgabenbescheid gegenüber dem Primärschuldner ergangen ist. Dem VwGH zufolge ist dies nicht notwendig. Vielmehr ist, wenn dem Haftungsbescheid kein Abgabenbescheid vorangegangen ist, die Frage, ob ein Abgabenanspruch überhaupt gegeben ist, als Vorfrage im Haftungsverfahren zu beurteilen.
VwGH 5. 4. 2022, Ra 2020/13/0035
Sachverhalt
Die revisionswerbende R GmbH kaufte ein betrieblich tätiges Unternehmen. Die Umsatzsteuer aus diesem Kauf wurde von der Verkäuferin nicht entrichtet, auch eine Überrechnung der Umsatzsteuer erfolgte nicht. In der Folge erließ das Finanzamt einen Haftungsbescheid gegenüber der R GmbH, in dem diese gem § 14 BAO zur Haftung der von der Verkäuferin nicht entrichtenden Umsatzsteuerschuld herangezogen wurde, die aus dem Unternehmensverkauf resultierte.
Der gegen den Haftungsbescheid erhobenen Beschwerde gab das BFG Folge. In der Begründung wurde angeführt, der Haftungspflichtige habe gem § 248 BAO (unabhängig von einer Beschwerde gegen den Haftungsbescheid) grundsätzlich auch die Möglichkeit, eine Beschwerde gegen den Sachbescheid zu erheben. Im vorliegenden Fall war dies jedoch nicht möglich, da der haftungsgegenständliche Umsatzsteuerbescheid bei der Verkäuferin nicht bescheidmäßig festgesetzt und somit auch der R GmbH nicht zur Kenntnis gebracht worden sei. Das BFG teilte auch nicht die vom FA vertretene Ansicht, wonach eine Festsetzung und Zustellung an die Verkäuferin nicht erfolgversprechend gewesen wäre, da diese mittlerweile gelöscht und deren Geschäftsführer nicht auffindbar war und deshalb, so das FA, der Grund und die Höhe der Abgabenvorschreibung nicht im Abgabenverfahren, sondern (erst) im gegenständlichen Haftungsverfahren abzuklären wären. Vielmehr war das BFG der Ansicht, dass es nur in speziellen Fällen zulässig sei, Grund und Höhe eines Abgabenanspruchs erst im Haftungsverfahren zu klären. Eine Haftungsinanspruchnahme ohne zugrundeliegenden Abgabenbescheid sei nämlich nur die Ausnahme in Fällen, in denen ein Bescheid nicht ergehen könne. Wenn hingegen, wie vorliegend, zumindest die Möglichkeit einer rechtsgültigen Erlassung und Zustellung des Abgabenbescheides an den Abgabenschuldner besteht, so sei dies und die Bekanntgabe an den Haftungspflichtigen unabdingbar. Da die R GmbH keine Kenntnis vom Abgabenbescheid hatte (obwohl dies grundsätzlich möglich gewesen wäre) und sie daher nicht gegen diesen vorgehen konnte, erachtete das BFG den Haftungsbescheid als rechtswidrig. Die Revision wurde nicht zugelassen. In der außerordentlichen Amtsrevision brachte das FA vor, dass das BFG in seinem Erkenntnis von der näher bezeichneten Rsp des VwGH zur Geltendmachung einer Haftung vor Erlassung eines Abgabenbescheides abgegangen sei.
Entscheidung des VwGH
„Die Geltendmachung einer abgabenrechtlichen Haftung setzt zwar das Bestehen einer Abgabenschuld voraus, nicht jedoch, dass diese Schuld dem Abgabenschuldner gegenüber geltend gemacht wurde; abgabenrechtliche Haftungen haben nämlich keinen bescheidakzessorischen Charakter. Dies folgt ua aus § 224 Abs 3 BAO, der die erstmalige Geltendmachung eines Abgabenanspruches anlässlich der Erlassung eines Haftungsbescheides bis zur Verjährung des Rechtes zur Festsetzung der Abgabe zulässt (vgl VwGH 24.2.2004, 99/14/0242).
Wenn das Bundesfinanzgericht vermeint, dies könne nur in Ausnahmefällen gelten und es sei unabdingbar, dass vor Erlassung eines Haftungsbescheides ein Abgabenbescheid an den Abgabenschuldner erlassen werde, wenn die Möglichkeit der rechtsgültigen Erlassung und Zustellung desselben bestehe, so ist auf § 224 Abs 3 BAO zu verweisen, der die Zulässigkeit der erstmaligen Geltendmachung eines Abgabenanspruches im Haftungsverfahren nicht auf besondere Ausnahmefälle einschränkt; eine solche Einschränkung ist auch nicht der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu entnehmen (vgl erneut VwGH 24.2.2004, 99/14/0242; sowie aus der ständigen Rechtsprechung etwa 27.1.2010, 2009/16/0309; 9.11.2011, 2009/16/0260; 22.12.2011, 2009/16/0109; 29.4.2010, 2008/15/0085). Ob das Finanzamt die Abgaben gegenüber der Verkäuferin festgesetzt hat bzw ob dieser gegenüber ein Abgabenbescheid ergangen ist, ist für die Geltendmachung der Haftung bei der Mitbeteiligten daher unerheblich.
Soweit das Bundesfinanzgericht ausführt, ohne Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde gegen den Abgabenbescheid gemäß § 248 BAO sei eine Haftungsinanspruchnahme unzulässig, ist auf folgende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen: Ist dem Haftungsbescheid ein an den Abgabepflichtigen ergangener Abgabenbescheid vorangegangen, ist die Behörde daran gebunden und hat sich in der Entscheidung über die Heranziehung zur Haftung grundsätzlich an diesen Abgabenbescheid zu halten. Durch § 248 BAO ist dem Haftenden ein Rechtszug gegen den Abgabenbescheid eingeräumt. Ist der Entscheidung über die Heranziehung zur Haftung kein Abgabenbescheid vorangegangen, gibt es eine solche Bindung nicht. In einem solchen Fall ist die Frage, ob ein Abgabenanspruch gegeben ist, als Vorfrage im Haftungsverfahren von dem für die Entscheidung über die Haftung zuständigen Organ zu entscheiden (vgl VwGH 19.12.2002, 2000/15/0217; 26.5.2021, Ra 2020/13/0073; jeweils mwN). In derartigen Fällen sind die Einwendungen gegen den Abgabenanspruch im Haftungsverfahren zu behandeln (vgl VwGH 30.10.2001, 98/14/0142, mwN).
Das Finanzamt hat im […] Haftungsbescheid ausführlich begründet, worauf sich die Haftung gründet und welcher Abgabenanspruch dieser zugrunde liegt. Die mitbeteiligte Partei hatte daher Gelegenheit, entsprechende Einwendungen gegen den Abgabenanspruch im Haftungsverfahren geltend zu machen. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.“
Conclusio
Der VwGH bestätigt im vorliegenden Erkenntnis, dass die Behörde im Rahmen eines Haftungsverfahrens an den Abgabenbescheid gebunden ist, sofern ein solcher an den Primärschuldner ergangen ist. Liegt ein solcher Abgabenbescheid hingegen nicht vor, stellt die Frage, ob ein Abgabenanspruch (überhaupt) gegeben ist sowie dessen Höhe eine Vorfrage im Haftungsverfahren dar (vgl Ritz/Koran, BAO7, § 116 Tz 4 mwN). Ob die Behörde somit die zugrundeliegende Abgabe gegenüber dem Abgabepflichtigen festgesetzt hat, ist für die Möglichkeit der Geltendmachung einer Haftung unerheblich. Zwar kann dem Wortlaut des § 248 BAO zufolge der Haftungspflichtige nur „gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch“ Beschwerde erheben, welcher in solchen Fällen ja gerade nicht vorliegt; jedoch liegt in solchen Fällen kein problematisches Rechtsschutzdefizit für den Haftungspflichtigen vor, da dieser seine Einwendungen in einem solchen Fall der Rsp des VwGH zufolge im Beschwerdeverfahren gegen den Haftungsbescheid geltend machen kann (vgl VwGH 17. 12. 1996, 94/14/0148, oder VwGH 30. 10. 2001, 98/14/0142; vgl auch Ellinger/Sutter/Urtz, BAO3, § 248 E 43; Ritz/Koran, BAO7, § 248 Tz 5 f).