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VwGH erneut zum Verbindungsgebot des § 299 Abs 2 BAO bei Bescheidaufhebung

Bearbeiter: Eric Coenen

BAO: § 299

Abstract

Der VwGH hatte im fortgesetzten Verfahren erneut zur Bescheidaufhebung und dem Verbindungsgebot nach § 299 Abs 2 BAO zu entscheiden. Im Ausgangsverfahren war fraglich, ob die Erlassung eines neuen Haftungsbescheids nach § 299 BAO mehr als zwei Monate nach der Aufhebung des rechtswidrigen Haftungsbescheids dem Verbindungsgebot des § 299 Abs 2 BAO widerspricht. Das BFG ließ die ordentliche Revision erneut zu, weil die Auswirkungen der Verletzung des Verbindungsgebots nach § 299 Abs 2 BAO nicht höchstgerichtlich geklärt sind. Nach Ansicht des VwGH ist diese Frage aber bereits im ersten Verfahrensgang entschieden worden: Aufgrund der völligen Unbestimmtheit des ersten Haftungsbescheids konnte keine Sperrwirkung für den später erlassenen neuen Haftungsbescheid eintreten. Daher hat er die Revision als unzulässig zurückgewiesen.

VwGH 21. 11. 2024, Ro 2023/15/0024

Sachverhalt und Verfahrensgang

Im Ausgangsverfahren hob das Finanzamt (FA) am 15. 9. 2010 gem § 299 BAO einen KESt-Haftungsbescheid auf, weil dieser weder die Nennung der Empfänger der Kapitalerträge, den Zeitpunkt des Zuflusses der Beteiligungserträge, die Tatbestandsnennung nach § 201 Abs 2 und 3 BAO noch die Angabe der Haftungsnorm enthielt und daher zu unbestimmt war. Am 30. 11. 2010 erließ das FA sodann einen neuen Haftungsbescheid. Darin erblickte das BFG im ersten Verfahrensgang (BFG 18. 6. 2021, RV/3100686/2012) eine Verletzung des Verbindungsgebots nach § 299 Abs 2 BAO, weil bereits durch die Aufhebung ohne zeitgleiche Erlassung eines neuen Haftungsbescheids eine Entscheidung in der Sache vorlag. Der VwGH hat in der dagegen erhobenen Revision (VwGH 15. 3. 2023, Ra 2021/15/0093) das Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit aufgehoben, weil aufgrund der völligen Unbestimmtheit des Haftungsbescheids durch dessen Aufhebung ohne zeitgleiche Erlassung eines neuen Haftungsbescheids keine Entscheidung in der Sache vorliegen konnte. Im fortgesetzten Verfahren ließ das BFG die Revision erneut zu, weil die verfahrensrechtlichen Auswirkungen der Verletzung des Verbindungsgebots nach § 299 Abs 2 BAO weiterhin nicht höchstgerichtlich geklärt sind. Die zeitliche Differenz zwischen Aufhebung und Erlassung des neuen Haftungsbescheids begründete das FA in der Revisionsbeantwortung damit, dass zum Zeitpunkt der Aufhebung der entscheidungsrelevante Sachverhalt noch nicht feststand. Zudem brachte es vor, dass möglicherweise sogar von einem Nichtbescheid auszugehen war, weil der Haftungsbescheid zu unbestimmt war und nicht sämtliche unverzichtbaren Bescheidelemente enthielt.

Entscheidung des VwGH

Nach Ansicht des VwGH hat das BFG die Revision zu Unrecht zugelassen und auch die revisionswerbende Partei konnte keine Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung aufzeigen. Nach Ansicht des VwGH hatte dieser bereits in seinem ersten Erkenntnis (VwGH 15. 3. 2023, Ra 2021/15/0093) die Frage nach den Rechtsfolgen einer Verletzung des § 299 Abs 2 BAO in einer solchen Fallkonstellation ausdrücklich beantwortet. Da der erste Haftungsbescheid weder die Nennung der Empfänger der Kapitalerträge, den Zeitpunkt des Zuflusses der Beteiligungserträge, die Tatbestandsnennung nach § 201 Abs 2 und 3 BAO noch die Angabe der Haftungsnorm enthielt, war er als völlig unbestimmt anzusehen. Aufgrund dieser völligen Unbestimmtheit des ersten Haftungsbescheids konnte durch dessen Aufhebung am 15. 9. 2010 keine Sperrwirkung für den später erlassenen Haftungsbescheid am 30. 11. 2010 eintreten. Damit hatte der VwGH über die Rechtsfrage der vorliegenden Revision in dieser Sache bereits im ersten Verfahrensgang entschieden, weshalb er gem § 63 VwGG an diese Entscheidung gebunden ist und nicht davon abweichen kann (VwGH 18. 12. 2019, Ro 2016/15/0041, Rz 31). Im Ergebnis war die Revision daher unzulässig, weshalb der VwGH sie mit Beschluss zurückgewiesen hat.

Conclusio

Da der erste Haftungsbescheid völlig unbestimmt war, konnte dessen Aufhebung gem § 299 BAO nach Ansicht des VwGH keine Sperrwirkung für spätere Haftungsbescheide auslösen. Daher lag keine abschließende Entscheidung in der Sache vor (VwGH 15. 3. 2023, Ra 2021/15/0093, Rz 20–22; VwGH 21. 11. 2024, Ro 2023/15/0024, Rz 12). Das führt aber zu folgendem Problem: Wenn der erste Haftungsbescheid völlig unbestimmt war und durch dessen Aufhebung keine Entscheidung in der Sache eintritt, lässt das den Schluss zu, dass diese „unbestimmte“ Sache niemals abschließend entschieden worden ist. Daher ist die Aussage des VwGH wohl so zu verstehen, dass durch die Aufhebung keine Entscheidung in der Sache der Haftungsvorschreibung zu erkennen ist, die den neuen Haftungsbescheid vom 30. 11. 2010 betrifft. Somit müsste in der ersten „unbestimmten“ Sache sehr wohl durch die Aufhebung eine ersatzlose Aufhebung erfolgt sein, wodurch auch eine Entscheidung in dieser „unbestimmten“ Sache vorliegt (ausf dazu Coenen, Das Verbindungsgebot des § 299 Abs 2 BAO – Zeitliche Differenz zwischen Aufhebungsbescheid und neuerlicher Bescheiderlassung, ecolex 2023, 1065 [1066 ff]). Sollte der erste Haftungsbescheid jedoch tatsächlich dieselbe „Sache“ betreffen wie der später erlassene Haftungsbescheid, so müsste konsequenterweise auch dem Verbindungsgebot des § 299 Abs 2 BAO Rechnung getragen werden: Das FA hätte gleichzeitig mit der Aufhebung auch den neuen Haftungsbescheid erlassen müssen. Davon ist jedoch im vorliegenden Fall eher nicht auszugehen, weil der erste Haftungsbescheid eben völlig unbestimmt war. Somit betraf im Ergebnis der erste Haftungsbescheid eine andere „unbestimmte“ Sache, die nichts mit der „Sache“ des am 30. 11. 2010 erlassenen Haftungsbescheids zu tun hatte, weshalb auch nicht dem Verbindungsgebot entsprochen werden musste.

An den Ausführungen des FA in der Revisionsbeantwortung ist darüber hinaus noch ein problematischer Aspekt hervorzuheben: Für das FA war eine gleichzeitige Erlassung des neuen Haftungsbescheids mit Aufhebung des rechtswidrigen Haftungsbescheids zum 15. 9. 2010 nicht möglich, weil der entscheidungsrelevante Sachverhalt zur Haftung der KESt zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollständig geklärt war. Daher musste noch ein weiteres Ergänzungsersuchen ergehen (siehe VwGH 21. 11. 2024, Ro 2023/15/0024, Rz 5). Allerdings setzt eine Aufhebung nach § 299 BAO voraus, dass zum Zeitpunkt der Aufhebung auch der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits von der Abgabenbehörde festgestellt wurde (Ritz/Koran, BAO7 [2021] § 299 Rz 10; siehe etwa auch VwGH 23. 11. 2016, Ra 2014/15/0056). Insofern erscheint es aus Gründen der Rechtssicherheit problematisch, eine Aufhebung nach § 299 BAO vorzunehmen, ohne den entscheidungsrelevanten Sachverhalt vorher festgestellt zu haben. Das konterkariert auch den Zweck des Verbindungsgebots, der insb darin besteht, einen bescheidlosen Zeitraum für den Steuerpflichtigen zu vermeiden (vgl zum Zweck des Verbindungsgebots des § 307 BAO Predota/Rzeszut in Rzeszut/Tanzer/Unger, BAO: Stoll Kommentar2.06 § 307 Rz 10). Die im Sinne der Rechtssicherheit sinnvollere Vorgehensweise wäre somit gewesen, zunächst den entscheidungsrelevanten Sachverhalt festzustellen und sodann die Aufhebung mit gleichzeitiger Erlassung des neuen Haftungsbescheids vorzunehmen. Damit würde auch dem Verbindungsgebot des § 299 Abs 2 BAO Rechnung getragen.

Sollte es sich im vorliegenden Fall – wie vom FA in der Revisionsbeantwortung vorgebracht – tatsächlich um einen Nichtbescheid handeln, so wäre eine Bescheidaufhebung nach § 299 BAO von vornherein nicht möglich. Ein Nichtbescheid hat den Verlust der Bescheideigenschaft zur Folge (vgl Ritz/Koran, BAO7 § 93 Rz 21). Das würde im Ergebnis bedeuten, dass – ebenfalls wie vom FA vorgebracht – eine Bescheidaufhebung gar nicht erst möglich war, weil überhaupt kein rechtswidriger Bescheid vorlag, sondern eben ein Nichtbescheid. Ob das aber tatsächlich der Fall war, lässt sich dem Verfahrensgang nicht entnehmen. Der VwGH hat diesen Punkt jedenfalls nicht aufgegriffen und ist wohl auch nicht davon ausgegangen. Sonst hätte er allfällige Fragen iZm einer Sperrwirkung nicht behandeln müssen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 36501 vom 13.03.2025