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VwGH: Gerichtliche Kontrolle der verbindlichen Zollrechtsauskunft unionsrechtswidrig?

Bearbeiter: Thomas Frenkenberger

VO (EU) 952/2013: Art 33, 34, 44, 45

ZollR-DG: §§ 1, 2, 42, 43, 44, 46

BAO: § 279

Abstract

Der VwGH hatte sich mit den Wirkungen der verbindlichen Zolltarifauskunft auseinanderzusetzen. Im vorliegenden Fall änderte das BFG die verbindliche Einordnung des Zollamts ab. Das Zollamt brachte in der dagegen erhobenen Amtsrevision vor, dass eine derartige Entscheidung zu einer rückwirkenden Änderung der verbindlichen Zollrechtsauskunft führe, die unionsrechtlich nicht vorgesehen ist. Der VwGH ging auf die Bedenken ein und legte dem EuGH zwei Fragen zur Vorabentscheidung vor.

VwGH 30. 1. 2025, Ro 2024/16/0013 (EU 2025/0001)

Sachverhalt

Die mitbeteiligte GmbH beantragte eine verbindliche Zolltarifauskunft gem Art 33 VO (EU) 952/2013 (Unionszollkodex, idF UZK) zur Einreihung von „Einwegvenenstauern“. Die Abgabenbehörde reihte die Ware unter die Position 4008 (Platten, Blätter, Streifen, Stäbe, Stangen und Profile, aus Weichkautschuk) ein. Die GmbH war mit der Einreihung nicht einverstanden und erhob Beschwerde an das BFG, das der Beschwerde Folge gab und die Venenstauer unter die Position 4014 (Waren zu hygienischen oder medizinischen Zwecken [einschließlich Sauger], aus Weichkautschuk, auch in Verbindung mit Hartkautschukteilen) einreihte.

Gegen das Erkenntnis des BFG wurde Amtsrevision erhoben, in der ua vorgebracht wurde, dass durch die Entscheidung des BFG die verbindliche Zolltarifauskunft rückwirkend zu ändern beabsichtigt wurde. Eine derartige rückwirkende Änderung einer rechtsverbindlich erteilten verbindlichen Zolltarifauskunft lasse der UZK jedoch nicht zu.

Entscheidung des VwGH

Gem Art 44 UZK müssen die Mitgliedstaaten ein zumindest zweistufiges Rechtsbehelfsverfahren gegen Entscheidungen von Zollbehörden vorsehen. Die Einzelheiten dieser Verfahren werden jedoch den Mitgliedstaaten überlassen. In Österreich ist gem § 46 ZollR-DG das Verfahren vor dem BFG als Rechtsbehelfsverfahren der zweiten Stufe anzusehen. § 279 BAO, der gem § 1 BAO nur so weit anwendbar ist, als in zollrechtlichen Vorschriften nichts anderes bestimmt ist, berechtigt das BFG, den Bescheid in jede Richtung abzuändern, aufzuheben, oder als unbegründet abzuweisen. In der Sache ergangene Erkenntnisse wirken nach hA ex tunc (Ellinger/Sutter/Urtz, BAO3 [2020] § 279 BAO Rz 21; Fischerlehner in Fischerlehner/Brennsteiner [Hrsg], Abgabenverfahren I3 [2021] § 279 BAO Rz 8; Ritz/Koran, BAO7 [2021] § 279 BAO Rz 18), weswegen auch die vorliegende Entscheidung des BFG auf den Zeitpunkt der Ausstellung der verbindlichen Zolltarifauskunft zurückwirkt. „Ein solches Verständnis steht im Einklang mit einem unionsrechtlich gebotenen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz“.

Allerdings können verbindliche Zolltarifauskünfte gem Art 34 Abs 3 UZK nicht rückwirkend ihre Geltung verlieren und gem Art 34 Abs 6 UZK auch nicht geändert werden. Es liegen auch nicht die Voraussetzungen für eine Zurücknahme oder einen Widerruf von Entscheidungen gem Art 34 Abs 4 und 5 UZK vor. Der VwGH hegt Zweifel darüber, welche Bedeutung die in Art 34 UZK vorgesehenen Bestimmungen über die Geltung von verbindlichen Zolltarifauskünften für die Rechtsbehelfe nach Art 44 UZK entfalten. Der VwGH legt daher folgende Fragen dem EuGH zur Vorabentscheidung gem Art 267 AEUV vor:

Sind [die Bestimmungen des Unionszollkodex] […] dahingehend auszulegen, dass die Entscheidung über einen gemäß [Art 44 Abs 2 Unionszollkodex] […] eingelegten Rechtsbehelf gegen eine […] verbindliche Zolltarifauskunft auf den Zeitpunkt der Ausstellung dieser verbindlichen Zolltarifauskunft durch das Zollamt zurückwirkt?

Für den Fall, dass die Frage 1 mit Nein beantwortet wird: Sind [die Bestimmungen des Unionszollkodex] […] dahingehend auszulegen, dass die Mitgliedstaaten in ihren nationalen Verfahrensregeln vorsehen können, dass die Entscheidung über einen […] Rechtsbehelf gegen eine […] verbindliche Zolltarifauskunft auf den Zeitpunkt der Ausstellung dieser verbindlichen Zolltarifauskunft durch das Zollamt zurückwirkt“.

Conclusio

Die verbindliche Zolltarifauskunft bindet gem Art 33 Abs 2 UZK sowohl den Inhaber der Entscheidung als auch die Zollbehörden und ist gem Abs 3 leg cit für drei Jahre gültig. Ist der Inhaber der Auskunft nicht einverstanden, muss er einen Rechtsbehelf einlegen. Wird die Auskunft durch den Rechtsbehelf aufgehoben oder abgeändert, besteht ein Erstattungsanspruch bzgl der im Vergleich zur objektiv richtigen Einreihung zu hoch mitgeteilten Abgaben (Schulte in Witte [Hrsg], Zollkodex Union8 [2022] Art 33 Rz 30).

Die Vorlage des VwGH berücksichtigt die durch die Abgabenbehörde vorgebrachten Bedenken, ist aber überraschend und könnte potenziell weitreichende Konsequenzen haben. Sollte der EuGH zum Ergebnis gelangen, dass die meritorische, rückwirkende Entscheidung des BFG dem Unionsrecht widerspricht, könnte sich ein Rechtsschutzdefizit gegen verbindliche Zolltarifauskünfte ergeben. Das BFG hielt in einer anderen – fast zeitgleich mit dem VwGH-Beschluss – ergangenen Entscheidung im Übrigen fest, dass sich die in Art 34 UZK vorgesehenen Wirkungen nur auf rechtskräftig ergangene Zolltarifauskünfte beziehen (BFG 28. 1. 2025, RV/7200064/2023; Amtsrevision anhängig unter Ra 2025/16/0020, Verfahren mit Beschluss vom 27. 3. 2025 bis zur Entscheidung durch den EuGH ausgesetzt).

Da es sich um eine Angelegenheit des Zollrechts handelt, wurde die Vorlage des VwGH gem Art 50b lit c der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union seit der Änderung durch VO (EU, Euratom) 2024/2019 an das EuG abgetreten (anhängig unter T-150/25). Es ist daher abzuwarten, wie das EuG die Rechtssache entscheiden wird. Aus Gründen des Rechtsschutzes wäre eine rückwirkende Änderung der verbindlichen Zolltarifauskünfte durch die Rechtsmittelinstanz jedenfalls zu begrüßen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 36691 vom 05.05.2025