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MwStSystRL: Art 132 Abs 1 lit g
Abstract
In Art 132 MwStSystRL werden zahlreiche Steuerbefreiungen für bestimmte, dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten geregelt. Eine davon ist Art 132 Abs 1 lit g: Demnach sind jene Dienstleistungen steuerbefreit, die eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbunden sind. Allerdings kann die Befreiung von einigen innerstaatlichen Aspekten abhängig gemacht werden. In Österreich wird hierbei ua verlangt, dass die „Entschädigung“ von öffentlichen Stellen stammt und anderen vergleichbaren Steuerpflichtigen die Anerkennung nicht bereits zugestanden worden ist. In Ermangelung dieser beiden Kriterien hat der VwGH entschieden, dass auf einen Anwalt, der überwiegend Sachwalterleistungen erbringt, diese unechte Steuerbefreiung keine Anwendung findet.
VwGH 26. 9. 2024, Ra 2024/13/0080
Sachverhalt
Beim Revisionswerber (Rw) handelt es sich um einen Rechtsanwalt, der überwiegend Umsätze aus der Tätigkeit als gerichtlich bestellter Sachwalter erzielt. Als Gegenleistung erhielt er Entschädigungen iSd § 276 Abs 1 ABGB. Der Rw erachtete seine Tätigkeit aufgrund Art 132 Abs 1 lit g MwStSystRL als steuerbefreit an. Das Finanzamt (FA) hingegen differenzierte: Im Streitjahr 2014 sind nach allgemein geübter Verwaltungspraxis weder Sachwaltervereine noch andere Steuerpflichtige, die derartige Leistungen erbringen, Einrichtungen mit sozialem Charakter iSd Art 132 Abs 1 lit g MwStSystRL und deswegen auch nicht von der USt befreit. Von vier Sachwaltervereinen erfüllen drei aufgrund von Gemeinnützigkeit iSd §§ 34 ff BAO nicht das Kriterium der Unternehmereigenschaft und sind damit nicht steuerbar, einer hingegen kann als unternehmerisch qualifiziert werden und unterliegt mit seinen Leistungen entsprechend der Umsatzsteuerpflicht. Das BFG wies die Beschwerde als unbegründet ab.
Entscheidung des VwGH
Art 132 Abs 1 lit g MwStSystRL befreit eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen, die durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden (vgl EuGH 15. 4. 2021, Administration de l’Enregistrement, des Domaines et de la TVA, C-846/19, Rn 58). Die Kriterien für das Vorliegen einer Einrichtung mit sozialem Charakter wird allerdings in der Richtlinie nicht näher beschrieben, weswegen hierbei den MS ein gewisser Ermessensspielraum beim Festlegen der Kriterien zusteht (vgl EuGH 15. 4. 2021, C-846/19, Rn 69).
Dem VwGH zufolge gibt es hierbei in Einklang mit dem Unionsrecht und unter der Kontrolle der nationalen Gerichte Kriterien, die zu berücksichtigen sind. Dazu kann zählen, dass spezifische Vorschriften bestehen, dass die Tätigkeit mit dem Gemeinwohlinteresse verbunden ist, dass andere Steuerpflichtige in vergleichbaren Tätigkeiten in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen und dass die Kosten großteils von Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen werden (vgl EuGH, 15. 4. 2021, EQ gegen Administration de l'Enregistrement, des Domaines et de la TVA, C-846/19, Rn 70; 11. 5. 2023, MOMTRADE RUSE LTD, C-620/21, Rn 91). Nur für den Fall, dass eine nationalstaatliche Regelung der Befreiung in der MwStSystRL widerspricht, kann sich ein Steuerpflichtiger direkt auf die RL selbst berufen (vgl EuGH, 15. 4. 2021, C-846/19, Rn 71). Dabei ist insb der Grundsatz der Gleichbehandlung, der durch den Neutralitätsgrundsatz zum Ausdruck kommt, zu berücksichtigen (vgl EuGH 11. 5. 2023, C-620/21, Rn 93 f).
Im vorliegenden Fall sind die Gesichtspunkte der spezifischen Vorschriften und des Gemeinwohlinteresses unbestritten erfüllt. Ebenso unbestritten ist, dass die „Entschädigung“ nicht von öffentlichen Stellen, sondern von den betroffenen Personen selbst zu tragen ist. Der Anspruch des Sachwalters besteht allerdings insoweit nicht, als dadurch die Befriedigung der Lebensbedürfnisse der betroffenen Person gefährdet wäre. Der Rw argumentiert, dass in solchen Fällen die Kosten vom Sachwalter selbst getragen werden, was bei Anerkennung des Rw als soziale Einrichtung, einer Tragung durch eine öffentliche Einrichtung gleichkommt. Der EuGH hat hierzu festgehalten, dass bei einer großteiligen Kostenübernahme durch die soziale Einrichtung selbst, dies einen Gesichtspunkt für das Vorliegen einer Einrichtung iSd Art 132 Abs 1 lit g darstellen kann (vgl EuGH 15. 11. 2012, Zimmermann, C-174/11, Rn 34 ff). Da dieser Umstand im vorliegenden Fall nicht behauptet wird, kann er auch nicht maßgeblich ins Gewicht fallen.
Dass anderen Steuerpflichtigen eine vergleichbare Anerkennung gewährt worden ist, bestreiten das FA und das BFG. Sachwaltervereine, deren Leistungen nicht der Umsatzsteuer unterworfen würden, seien nicht unternehmerisch tätig, sondern fallen unter die Liebhabereivermutung (VereinsR 2001 Rz 463). Die Ansicht des Rw, dass VereinsR 2001 Rz 463 nur auf Art 132 Abs 1 lit g MwStSystRL gestützt werden kann, teilt das Höchstgericht nicht. Zunächst hält es fest, dass unbestritten eine Anerkennung von Einrichtungen als solche mit sozialem Charakter durch den nationalen Gesetzgeber nicht erfolgt ist. Nach der Rsp des EuGH muss hierbei aber die Verwaltungspraxis Berücksichtigung finden (vgl EuGH 10. 9. 2002, Kügler, C-141/00, Rn 57). Die genannte Stelle in den VereinsR verweist auf § 6 LiebhabereiVO und beinhaltet lediglich eine allgemeine, für sämtliche gemeinnützige Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen angenommene Abgrenzung von unternehmerischen zu nichtunternehmerischen Tätigkeiten. Die Anerkennung einer Einrichtung mit sozialem Charakter und die damit verbundene Umsatzsteuerbefreiung sollte durch die Bestimmung hingegen nicht bewirkt werden.
Damit war die Revision als unbegründet abzuweisen.
Conclusio
Die vorliegende Entscheidung hat bereits einen komplexen Verfahrensgang hinter sich. Eine Entscheidung des BFG (26. 11. 2018, RV/7101028/2017) wurde bereits durch VwGH (15. 12. 2021, Ra 2019/13/0025) wegen mangelnder Feststellungen aufgrund inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufgehoben und an das BFG zurückverwiesen. Im zweiten Verfahrensgang wurde nun inhaltlich durch das BFG geklärt – und durch den VwGH bestätigt – dass die Einstufung durch das FA im Einklang mit dem Unionsrecht steht.
Die Rechtslage des Falles beschreibt jedenfalls ein „dogmatisch interessantes Wechselspiel“ (Sutter, Umsatzsteuerpflicht für nicht-anwaltstypische Dienstleistungen eines Rechtsanwalts als Sachwalter? AnwBl 2020, 456 [460]). Der Umstand, dass aufgrund des Anwendungsvorrangs auf Unionsrecht abgestellt werden muss, im Zuge dessen allerdings wiederum innerstaatliches Recht analysiert werden muss, stellt ein Musterbeispiel für die Verzahnung von nationalem und supranationalem Recht dar.
In Deutschland wird die Rechtslage übrigens anders gesehen: Der BFH hat in einem vergleichbaren Fall (25. 4. 2013, V R 7/11) die Anwendbarkeit des Art 132 Abs 1 lit g MwStSystRL insb mit dem Argument bestätigt, dass spezifische Vorschriften bestehen. Im Zuge dessen wurde auch die deutsche Rechtslage durch eine explizite Befreiung für derartige Fälle ergänzt (§ 4 Z 16 lit k d UStG; siehe Sutter, AnwBl 2020, 456 [460]).
Trotz der unterschiedlichen Regelungen in den Mitgliedstaaten wird hier nicht von einem Verstoß gegen Unionsrecht auszugehen sein. Zwar ist die Rechtslage in MS trotz Harmonisierung im Zuge der MwStSystRL verschieden, durch den Ermessensspielraum, der den einzelnen MS in diesem Bereich gewährt wird, ist eine unterschiedliche Behandlung desselben Sachverhalts aber wohl zulässig.