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KStG 1988: § 9 Abs 7; § 26c Z 47
Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabkommen der EWG mit der Türkei: Art 41 Abs 1
Abstract
Nach dem Wortlaut des § 9 Abs 7 KStG kann für Beteiligungen an „unbeschränkt steuerpflichtigen“ Gruppenmitgliedern eine Firmenwertabschreibung (FWA) vorgenommen werden, sofern die Beteiligung vor dem 1. 3. 2014 angeschafft wurde. Nach EuGH- und (anschließender) VwGH-Rsp wurde diese Möglichkeit – durch unionrechtskonforme Interpretation des § 9 Abs 7 KStG – auf Beteiligungen an EU-Auslandsgesellschaften ausgedehnt (EuGH 6. 10. 2015, C-66/14, Finanzamt Linz; VwGH 10. 2. 2016, 2015/15/0001). Im vorliegenden Fall war fraglich, ob die Möglichkeit der Vornahme einer FWA aufgrund einer Stillhalteklausel im Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabkommen EWG-Türkei (ZP) auch auf Beteiligungen an türkischen Gruppenmitgliedern erstreckt werden muss. Die Stillhalteklausel verpflichtet die Vertragsparteien „untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit […] ein[zu]führen“. Der VwGH erachtet die Stillhalteklausel jedoch als nicht anwendbar, da ein (isolierter) Vergleich der Situationen türkischer Staatsbürger vorzunehmen ist: Da weder zum Zeitpunkt des EU-Beitritts Österreichs noch später die Möglichkeit bestand, eine FWA für Beteiligungen an türkischen Gruppenmitgliedern vorzunehmen, liegt keine „neue Beschränkung der Niederlassungsfreiheit“ vor.
VwGH 1. 3. 2023, Ro 2022/13/0008
Sachverhalt
Die Revisionswerberin (Rw) war inländisches Gruppenmitglied der P-Gruppe (§ 9 KStG). Sie hielt eine Beteiligung an der D A.S., einer türkischen Gesellschaft. Die D A.S. wurde ab der Veranlagung für das Jahr 2014 als ausländisches Gruppenmitglied in die Unternehmensgruppe einbezogen. Für diese Beteiligung machte die Rw (erstmalig in der Steuererklärung 2014) ein Fünfzehntel aus der FWA gem § 9 Abs 7 iVm der Übergangsvorschrift des § 26c Z 47 KStG geltend. Sie stützte sich dabei auf ein VwGH-Erk aus dem Jahr 2016 (VwGH 10. 2. 2016, 2015/15/0001; Folgeentscheidung zur EuGH Rs Finanzamt Linz vom 6. 10. 2015, C-66/14), wonach eine FWA – abweichend vom Wortlaut des § 9 Abs 7 KStG – auch für Beteiligungen an EU-Auslandsgesellschaften zusteht. Aufgrund der Stillhalteklausel des Art 41 Abs 1 ZP, wonach „[d]ie Vertragsparteien […] untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit […] einführen“, müsse auch für Beteiligungen an türkischen Gruppenmitgliedern eine FWA zustehen, so die Rw.
Die Abgabenbehörde verneinte jedoch die Zulässigkeit der FWA. Das BFG teilte die Ansicht der Abgabenbehörde (s dazu bereits Knotzer, Keine Firmenwertabschreibung für Beteiligung an türkischem Gruppenmitglied, LexisNexis Rechtsnews 32114 vom 23. 2. 2022 und ausf Gleiss/Knotzer, Keine Firmenwertabschreibung für türkisches Gruppenmitglied, GES 2022, 150 ff): Bei der Frage, ob es sich um eine „neue Beschränkung der Niederlassungsfreiheit“ handelt, müsse die betrachtete nationale Regelung ungünstiger sein als jene, die in dem Zeitpunkt galt, als das ZP für den betreffenden Mitgliedstaat in Kraft trat. Da zum Zeitpunkt des EU-Beitritts Österreichs (1. 1. 1995) iRd damals geltenden Organschaft ebenfalls keine FWA auf Beteiligungen an türkischen Gesellschaften vorgenommen werden konnten, entfalte die Stillhalteklausel keine Wirkung. In der (ordentlichen) Revision brachte die Rw vor, dass der Türkeifall mit dem Inlandsfall zu vergleichen sei. Durch die Einführung der FWA für inländische Gruppenmitglieder liege eine „neue“ Beschränkung iSd Stillhalteklausel vor.
Entscheidung des VwGH
Zunächst prüft der VwGH, ob der vorliegende Fall unter die Vertrauensschutzklausel des § 26c Z 47 KStG fällt. Diese normiert die Voraussetzungen zur Fortführung noch offener FWA-Fünfzehntel gem § 9 Abs 7 KStG aus Beteiligungserwerben vor dem 1. 3. 2014. Entscheidend ist demnach, ob sich der steuerliche Vorteil aus der FWA beim Erwerb der Beteiligung auf die Bemessung des Kaufpreises auswirken konnte. Hinsichtlich dieses Punkts kommt der VwGH zum Ergebnis, dass die Rw – nach den Feststellungen des BFG – eine tatsächliche Beeinflussung des Kaufpreises der Beteiligung an der D A.S. schlüssig dargestellt hat.
Anschließend widmet sich das Höchstgericht der Frage, ob der Rw die Vornahme einer FWA für die D A.S. dem Grunde nach überhaupt zusteht. Eine Berufung auf die Niederlassungsfreiheit wäre idZ nur dann möglich, wenn Art 41 Abs 1 ZP auf den Revisionsfall anwendbar wäre. In weiterer Folge stellt der VwGH die EuGH-Rsp zu dieser Stillhalteklausel überblicksartig dar. Diese Klausel verpflichtet demnach die Mitgliedstaaten, die Einführung neuer Maßnahmen zu unterlassen, die bezwecken oder bewirken, dass die Ausübung der Niederlassungsfreiheit durch einen türkischen Staatsangehörigen strengeren Voraussetzungen als denjenigen unterworfen wird, die für ihn galten, als das ZP in Bezug auf den betreffenden Mitgliedstaat in Kraft trat (für Österreich also der 1. 1. 1995; Verweis zB auf EuGH 19. 2. 2009, C-228/06, Soysal und Savatli, Rn 4). Art 41 Abs 1 ZP ermöglicht es dabei türkischen Staatsangehörigen, sich vor den nationalen Gerichten auf die Rechte, die er ihnen verleiht, zu berufen (Verweis auf EuGH 20. 9. 2007, C-16/05, Tum und Dari, Rn 46). Die Stillhalteklausel hat jedoch nicht die Wirkung einer materiell-rechtlichen Vorschrift, sondern stellt eine verfahrensrechtliche Vorschrift dar. Sie legt in zeitlicher Hinsicht fest, nach welchen Bestimmungen der Regelung eines Mitgliedstaats die Situation eines türkischen Staatsangehörigen zu beurteilen ist, der in einem Mitgliedstaat von der Niederlassungsfreiheit Gebrauch machen will (mVa EuGH 20. 9. 2007, C-16/05, Tum und Dari, Rn 55). Eine Beschränkung ist also nur dann als „neu“ iSd ZP anzusehen, wenn sie die Situation türkischer Staatsangehöriger gegenüber derjenigen erschwert, die sich aus den Vorschriften ergab, die für sie in Österreich zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des ZP bestand (Verweis auf EuGH 21. 10. 2003, C-317/01, Abatay, Rn 116).
Aus all dem ergibt sich für den VwGH, bezogen auf den Revisionsfall, Folgendes: Im vorliegenden Fall wird nicht die Niederlassungsfreiheit der D A.S., sondern jene der österreichischen Muttergesellschaft beschränkt. Inwieweit sich diese überhaupt auf das ZP berufen kann, prüft der VwGH jedoch nicht, da die Stillhalteklausel des Art 41 Abs 1 ZP nicht verletzt wurde. Es ist nämlich vor dem Hintergrund der einschlägigen EuGH-Rsp ein Vergleich zwischen der derzeitigen Situation türkischer Tochtergesellschaften hinsichtlich der Möglichkeit zur Vornahme einer FWA und derjenigen zum 1. 1. 1995 vorzunehmen. Im Jahr 1995 bestand jedenfalls keine Möglichkeit zur Vornahme einer FWA. Bei Einführung der Gruppenbesteuerung wurde diese Möglichkeit zwar für inländische Gruppenmitglieder geschaffen. Für türkische Gruppenmitglieder konnte eine FWA jedoch (weiterhin) nicht vorgenommen werden. Es wurden also weder Bestimmungen für türkische Gruppenmitglieder verschärft, noch wurde eine nach 1995 eingeführte Begünstigung wieder zurückgenommen. Der VwGH weist auch ausdrücklich darauf hin, dass kein Vergleich zwischen der Situation türkischer Staatsangehöriger und Inlandsfällen vorzunehmen ist. Es ist nach der Rsp des EuGH (nur) zu prüfen, welche Regelungen für türkische Staatsbürger im Zeitraum seit dem EU-Beitritt Österreichs galten. Wie sich die Situation türkischer Staatsangehöriger im Vergleich zu Inländern im Zeitvergleich entwickelt hat, ist für Art 41 Abs 1 ZP hingegen irrelevant.
Das BFG hat die FWA somit zu Recht versagt, weshalb der VwGH die Revision als unbegründet abweist. Da der VwGH die Auslegung der Stillhalteklausel des Art 41 Abs 1 ZP durch die bisherige EuGH-Rsp ausreichend geklärt sieht, legt er den Fall auch nicht dem EuGH vor.
Conclusio
Der VwGH bestätigt die vom BFG vorgenommene Auslegung des Art 41 Abs 1 ZP, wonach der Türkei-Sachverhalt in zeitlicher Hinsicht isoliert zu betrachten ist. Demnach kann die Stillhalteklausel keine Ausdehnung der FWA auf Beteiligungen an türkischen Gruppenmitgliedern bewirken. Eine derartige FWA war nämlich weder zum Zeitpunkt des EU-Beitritts Österreichs (1. 1. 1995) möglich, noch wurde diese später (etwa bei Einführung der Gruppenbesteuerung im Jahr 2004) für türkische Gruppenmitglieder eingeführt. Diese isolierte Betrachtungsweise und die damit verbundene Ablehnung einer Vergleichspaarbildung mit dem reinen Inlandsfall könnte zu einer Einschränkung des steuerlichen Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers führen: Eine strikte Befolgung dieser Ansicht würde nämlich jede „Verböserung“ des Türkei-Sachverhalts (soweit vom Abkommen mit der Türkei samt ZP erfasst) verunmöglichen, selbst wenn der reine Inlandsfall gleichermaßen schlechter gestellt wird. Ob diese strenge Interpretation mit den Ausführungen des EuGH in der Rs Soysal und Savatli (C-228/06, Rn 61) zu vereinbaren ist, wonach „[d]er Erlass von Vorschriften, die in gleicher Weise auf türkische Staatsangehörige und auf Gemeinschaftsangehörige Anwendung finden [...] nicht im Widerspruch zu dieser Klausel“ [Art 41 Abs 1 ZP Anm des Autors] steht, ist jedoch zweifelhaft (s auch Gleiss/Knotzer, GES 2022, 150 [155]).