Dieser Inhalt ist frei verfügbar. Mit einem Abonnement der ÖStZ erhalten Sie die Zeitschrift in Print und vollen digitalen Zugriff im Web, am Smartphone und Tablet. Mehr erfahren…
Testen Sie
ALLE 13 Zeitschriftenportale
30 Tage lang kostenlos.
Der Zugriff endet nach 30 Tagen automatisch.
COVID-19-Verlustberücksichtigungsverordnung: § 1 Abs 1
Abstract
Durch das im Zuge der COVID-19-Pandemie ergangene KonStG 2020 (BGBl I 2020/96) konnten im Jahr 2020 erlittene Verluste mit positiven Einkünften aus dem Jahr 2019 gegenverrechnet werden (sog Verlustrücktrag). Um Steuerpflichtigen einen möglichst raschen Liquiditätseffekt zu ermöglichen, wurde zusätzlich die Möglichkeit eröffnet, in der Veranlagung für das Jahr 2019 eine COVID-19-Rücklage in Höhe der voraussichtlich im Jahr 2020 erwirtschafteten und daher rücktragbaren Verluste geltend zu machen. Fraglich war, ob die rechtskräftig veranlagte COVID-19-Rücklage durch ein rückwirkendes Ereignis iSd § 295a BAO abgeändert werden kann, wenn sich herausstellt, dass der tatsächlich erlittene Verlust niedriger war, als in der COVID-19-Rücklage prognostiziert. Der VwGH entschied nun, dass in derartigen Fällen § 295a BAO nicht anzuwenden ist.
VwGH 20. 3. 2024, Ro 2023/15/0016
Sachverhalt
Der Revisionswerber (Rw) machte in seiner Einkommensteuererklärung für das Jahr 2019 eine COVID-19-Rücklage iHv 30 % der positiven betrieblichen Einkünfte des Jahres 2019 geltend (rd 35.000 €). Die Einkommensteuer für das Jahr 2019 wurde daraufhin erklärungsgemäß festgesetzt. In der Einkommensteuererklärung 2020 erklärte der Rw hingegen keinen Verlust, sondern positive betriebliche Einkünfte von rd 1.000 €, zzgl der COVID-19-Rücklage, die der Rw hinzurechnete. In der Folge änderte die Abgabenbehörde den rechtskräftigen Einkommensteuerbescheid 2019 gem § 295a BAO dahin gehend ab, dass die COVID-19-Rücklage nicht mehr berücksichtigt wurde.
Die dagegen erhobene Beschwerde wurde von der Abgabenbehörde mittels Beschwerdevorentscheidung abgewiesen. Auch das BFG (16. 5. 2023, RV/5100305/2023) gab der Beschwerde nicht Folge. Es führte aus, dass die Bildung einer COVID-19-Rücklage voraussetze, dass der Gesamtbetrag im Jahr 2020 voraussichtlich negativ sei. Durch die Ermittlung der betrieblichen Einkünfte des Jahres 2020 war diese Voraussetzung nicht mehr erfüllt, sodass dieser sachverhaltsändernde Vorgang als rückwirkendes Ereignis gem § 295a BAO zu qualifizieren sei. Es sei außerdem zu berücksichtigen, dass die Anwendung von § 295a BAO eine zu Unrecht in Anspruch genommene Progressionsermäßigung rückgängig mache. Mangels vorliegender höchstgerichtlicher Judikatur ließ das BFG die Revision zu, die auch erhoben wurde.
Entscheidung des VwGH
Der VwGH gibt zunächst die maßgebliche Rechtsgrundlage in § 124b Z 355 wieder, auf Basis derer die COVID-19-Verlustberücksichtigungsverordnung (BGBl II 2020/405) erlassen wurde. Gem § 1 Abs 1 Z 1 dieser VO kann eine COVID-19-Rücklage gebildet werden, wenn „der Gesamtbetrag der betrieblichen Einkünfte im Jahr 2019 positiv und im Jahr 2020 voraussichtlich negativ ist.“ Gem § 1 Abs 1 Z 3 lit a können ohne weiteren Nachweis bis zu 30 % des positiven Gesamtbetrags der betrieblichen Einkünfte angesetzt werden. Da aber nur der voraussichtliche Verlust anzusetzen ist, wird vom Antragsteller dennoch erwartet, dass er den voraussichtlichen Verlust ordnungsgemäß ermittelt und keine Rücklage ansetzt, die höher als der erwartete Verlust ist. Die Wortfolge „ohne weiteren Nachweis“ entbindet den Steuerpflichtigen bloß von der Pflicht einen gesonderten Nachweis bei Antragstellung zu erbringen.
§ 295a BAO kann allerdings nach stRsp nur dann die Rechtskraft eines Bescheides durchbrechen, wenn ein rückwirkendes Ereignis nach Erlassung des Bescheides eintritt (VwGH 26. 4. 2023, Ra 2022/15/0057 mwN). Die COVID-19-Rücklage ist aufgrund einer „ordnungsgemäßen Ermittlung des (voraussichtlichen) Verlustes 2020 im Einkommensteuerbescheid für 2019 zu berücksichtigten“. Eine exakte Übereinstimmung mit den tatsächlichen Verlusten im Jahr 2020 ist hingegen nicht notwendig, weil die Differenz ohnehin durch die Hinzurechnung im Jahr 2020 ausgeglichen wird. Deshalb bleibt kein Raum für das vom BFG angenommene rückwirkende Ereignis und eine Durchbrechung der Rechtskraft war nicht möglich. Der Revision war daher stattzugeben und das Erkenntnis des BFG aufgrund inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Conclusio
Das Erkenntnis bildet gemeinsam mit einer gleichzeitig ergangenen anderen Entscheidung (VwGH 20. 3. 2024, Ro 2023/15/0017) einen vorläufigen Schlusspunkt in der Diskussion um die nachträgliche Abänderbarkeit der COVID-19-Rücklage. Wurde die COVID-19-Rücklage zu hoch angesetzt, musste die Differenz zum tatsächlichen Verlust im Jahr 2020 zwar ausgeglichen werden. Allerdings führte der Ausgleich in einem anderen Kalenderjahr unter Umständen zu progressionsmindernden Effekten, sodass in manchen Fällen ein Anreiz bestand eine zu hohe COVID-19-Rücklage zu erklären (Klokar/Postlmayr, Zweifelsfragen zum Verlustrücktrag und zur COVID-19-Rücklage, SWK 2021, 394 [399]). Die Abgabenbehörde versuchte daher zu hohe COVID-19-Rücklagen unter Heranziehung von § 295a BAO zu neutralisieren, sobald die ESt im Jahr 2020 erklärt wurde.
Der VwGH sah aber zu Recht keinen Anwendungsfall des § 295a BAO: Die COVID-19-Rücklage konnte gem § 1 Abs 1 VO BGBl II 2020/405 in Höhe der 2020 voraussichtlich anfallenden Verluste gebildet werden. Die in der Folge tatsächlich erlittenen Verluste spielten dafür allerdings keine Rolle. Es war daher nicht nachvollziehbar, warum sowohl die Finanzverwaltung (EStR 2000 Rz 3920) als auch das BFG im vorliegenden und in anderen Fällen (4. 1. 2023, RV/7103717/2022; 24. 3. 2023, RV/7102950/2022 [mit Anm Gleiss, LexisNexis Rechtsnews 34290 v 19. 7. 2023, lexis360.at]; 26. 4. 2023, RV/5100379/2022; 28. 6. 2023, RV/7100506/2023) einem tatsächlich niedrigeren Verlust eine Bedeutung für § 295a BAO beigemessen haben (siehe aber gegenteilig: BFG 9. 5. 2023, RV/3100193/2023 [mit Anm Pacher, LexisNexis Rechtsnews 34234 v 5. 7. 2023, lexis360.at]).
Allenfalls denkbar wäre eine Abänderung der COVID-19-Rücklage gewesen, wenn diese von Anfang an zu hoch angesetzt worden wäre. Als Rechtsgrundlage könnte § 303 BAO herangezogen werden (siehe Klokar/Postlmayr, SWK 2021, 394 [399]; Pacher, Rechtsnews 34234), sofern die Wiederaufnahmevoraussetzungen vorliegen. Eine Wiederaufnahme nach § 303 BAO kommt nach Ansicht des VwGH selbst dann in Betracht, wenn nur 30 % des positiven Gesamtbetrags der betrieblichen Einkünfte angesetzt wurden. Diese konnten zwar nach dem Wortlaut von § 1 Abs 1 Z 3 lit a VO BGBl II 2020/405 ohne weiteren Nachweis angesetzt werden. Der VwGH entschied aber nun aus teleologischen Gesichtspunkten, dass eine ordnungsgemäße Prognose auch bei Ansetzen von nur 30 % der positiven Einkünfte zu erfolgen hatte.