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Abstract
Wird im Fall einer zu hoch angesetzten Abfindungszahlung zu viel Lohnsteuer einbehalten und erfolgt im Folgejahr eine Rückzahlung des irrtümlich zu viel erhaltenen Betrags, so führt die Rückzahlung zu Werbungskosten. Falls die Einkünfte im Folgejahr jedoch nicht in positiven Einkünften des Rückzahlungsjahres Deckung finden und ein Werbungskostenüberhang entsteht, stellt sich die Frage, ob der überhöhte Einkommensteueranfall gem § 236 BAO nachgesehen werden kann. Jedenfalls muss im jeweiligen Einzelfall eine sachliche Unbilligkeit vorliegen.
VwGH 17. 11. 2022, Ra 2020/15/0079
Sachverhalt
Der Rw, ein Geschäftsführer der A GmbH, erzielte im Jahr 2011 im Rahmen seines Dienstverhältnisses Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit iHv 1.045.000 €, in denen ein Betrag iHv 867.813,30 € als Teilabfindung seines Betriebspensionsanspruchs enthalten war. Von der A GmbH wurde Lohnsteuer iHv 515.017,03 € einbehalten. Diese Einkünfte wurden im Einkommensteuerbescheid 2011 erfasst. In der Folge stellte sich heraus, dass der zur Teilabfindung des Betriebspensionsanspruchs gewährte Betrag zu hoch ermittelt worden war, weshalb der Rw den irrtümlich zu viel erhaltenen Betrag iHv 354.621,73 € zurückzahlen musste. Daraufhin beantrage der Rw den Einkommensteuerbescheid 2011 dementsprechend zu ändern. Das FA wies den Antrag mit der Begründung ab, dass die Rückzahlung gem § 16 Abs 2 EStG im Rückzahlungsjahr 2012 zu Werbungskosten führe. Hiergegen erhobene Rechtsmittel blieben erfolglos. Der Rw machte den rückgezahlten Betrag sodann bei der Einkommensteuerveranlagung 2012 als Werbungskosten geltend. Im Einkommensteuerbescheid 2012 wurden diese Werbungskosten zwar anerkannt, weil aber die anderen Einkünfte dieses Jahres niedriger waren, konnte von den in Rede stehenden Werbungskosten ein Teilbetrag iHv 142.321,20 € keine steuerliche Wirkung entfalten. Das FA versagte eine Berücksichtigung des verbliebenen Werbungskostenüberhangs (als Verlustvortrag) sowohl bei der Einkommensteuerveranlagung für das Jahr 2013 als auch 2014. Hiergegen erhobene Rechtsmittel blieben ebenfalls erfolglos. Im Jahr 2017 stellte der Rw einen Antrag auf Nachsicht der Einkommensteuer 2011 betreffend den – aufgrund der nicht berücksichtigen Rückzahlung – überhöhten Einkommensteueranfall. Das FA verneinte das Vorliegen der Nachsichtsvoraussetzungen und wies den Antrag ab. Das BFG wies die hiergegen erhobene Beschwerde ab, weil der begehrte Nachsichtsbetrag als Teil der vom Arbeitgeber einbehaltenen Lohnsteuer keine nachsichtsfähige Abgabenschuldigkeit iSd § 236 BAO sei. Weiters sei die Nachsicht nicht dazu da, Unrichtigkeiten von Abgabenfestsetzungen zu beseitigen oder unterlassene Rechtsbehelfe – wie ein hier zweckentsprechendes Stellen eines Erstattungsantrages gem § 240 Abs 3 BAO – nachzuholen. Hiergegen richtete sich die gegenständliche Revision.
Entscheidung des VwGH
Aus § 46 Abs 1 Z 3 EStG ergibt sich, dass auf die Einkommensteuerschuld die durch Steuerabzug einbehaltenen Beträge, soweit sie auf veranlagte Einkünfte entfallen, angerechnet werden. Die vom Arbeitgeber einbehaltene und an das FA abgeführte Lohnsteuer stellt für den Arbeitnehmer als Steuerschuldner eine „bereits entrichtete Abgabenschuldigkeit“ iSd § 236 Abs 2 BAO dar, auf welche § 236 Abs 1 BAO sinngemäß Anwendung findet. Indem das BFG davon ausgegangen ist, dass die einbehaltene und abgeführte Lohnsteuer keine entrichtete Abgabenschuldigkeit iSd § 236 BAO ist, hat es die Rechtslage verkannt. Zutreffend ist, dass die Nachsicht nicht dazu dient, in einem Festsetzungsverfahren unterlassene Einwendungen nachzuholen (vgl VwGH 20. 9. 2007, 2002/14/0138). Eine sachliche Unbilligkeit als Voraussetzung für die Nachsicht liegt nicht vor, wenn ein Fehler in der Lohnsteuerberechnung in der vom Gesetz festgelegten Weise hätte beseitigt werden können und der für die zweckentsprechende Rechtsverfolgung dazu ausreichende Erstattungsantrag nach § 240 Abs 3 BAO unterlassen wurde (vgl VwGH 4. 3. 2009, 2008/15/0270). Zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zählen aber nicht nur das im Dienstvertrag vereinbarte Entgelt, sondern auch alle anderen Vorteile, unabhängig davon, ob sie zu Recht bezogen wurden (vgl VwGH 1. 9. 2015, Ra 2015/15/0035). Es ist daher nicht nachvollziehbar, dass das BFG die in Rede stehende Lohnsteuer als „zu Unrecht“ einbehalten beurteilt und folglich annimmt, dass ein Antrag nach § 240 Abs 3 BAO zur Rückzahlung der im Jahr 2011 zu viel einbehaltenen Lohnsteuer an den Rw geführt hätte. Dem Erfolg eines solchen Antrages nach § 240 Abs 3 BAO würde dabei ohnedies entgegenstehen, dass ein Ausgleich im Wege der Veranlagung zu erfolgen hat. Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Im fortzusetzenden Verfahren hat das BFG zu prüfen, ob die in § 236 Abs 1 BAO normierten Voraussetzungen für eine Nachsicht erfüllt sind. Eine sachliche Unbilligkeit iSd § 236 Abs 1 BAO liegt vor, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, sodass es zu einer anormalen Belastungswirkung kommt (vgl VwGH 19. 5. 2020, Ra 2018/13/0098). Der in der anormalen Belastungswirkung gelegene Widerspruch zu den vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der eine vom Steuerpflichtigen nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat, die zudem auch ihrer Höhe nach unproportional zum auslösenden Sachverhalt ist (vgl VwGH 21. 1. 2009, 2008/17/0138; VwGH 2. 7. 2002, 96/14/0074; Ritz/Koran, BAO7, § 236 Rz 11). In besonderen Ausnahmekonstellationen kann die Anwendung der Abgabenvorschriften im Einzelfall zu einem vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigten nachteiligen Ergebnis führen, das eine sachliche Unbilligkeit bewirkt. Fließt einem Dienstnehmer ohne dessen Verschulden ein – im Veranlassungszusammenhang mit dem Dienstverhältnis stehender – Vorteil zu, von dem sich nachträglich herausstellt, dass er unberechtigt bezogen wurde und daher erstattet werden muss, kann ein solcher Ausnahmefall vorliegen. Nämlich dann, wenn aus der Rückzahlung des Vorteils resultierende Werbungskosten nicht in positiven Einkünften des Rückzahlungsjahres Deckung finden – wodurch sie insoweit keine steuerlichen Auswirkungen entfalten – und dies zu einer gravierenden Belastung des Steuerpflichtigen führt (anormale Belastung). In einem solchen – eine sachliche Unbilligkeit bewirkenden – Ausnahmefall wird im Rahmen der Ermessensübung unter anderem auch zu berücksichtigen sein, ob (für den Rw) die Möglichkeit bestand, den lohnsteuerlichen Nachteil im Wege eines Schadenersatzanspruchs (teilweise) ersetzt zu erhalten.
Conclusio
Das BFG verkannte im angefochtenen Erkenntnis in zweifacher Hinsicht die Rechtslage. Auch eine vom Arbeitgeber einbehaltene Lohnsteuer ist – entgegen der Ansicht des BFG – nämlich der Nachsicht iSd § 236 BAO zugänglich. Da die gegenständliche Lohnsteuer nicht „zu Unrecht“ (vgl Ritz/Koran, BAO7, § 240 Rz 3) einbehalten wurde, scheidet weiters ein Rückzahlungsantrag iSd § 240 Abs 3 BAO aus. Es sind daher die jeweiligen Nachsichtsvoraussetzungen nunmehr im fortgesetzten Verfahren zu prüfen. Der VwGH zeigt im gegenständlichen Erkenntnis bereits auf, unter welchen Voraussetzungen eine Nachsicht möglich wäre. Die Unbilligkeit der Einhebung einer Abgabe kann nach Lage des Falles grundsätzlich eine persönliche oder sachliche sein (vgl VwGH 17. 11. 2010, 2007/13/0135), wobei erstere mangels entsprechender Hinweise im gegenständlichen Fall ausscheidet. Für den Fall, dass ein Verschulden des Rw (an der zu hohen Bemessung der Abfindung) verneint werden kann und damit der gegenständliche Geschehensablauf also tatsächlich außergewöhnlich und vom Rw unbeeinflusst war, kann das Vorliegen von sachlicher Unbilligkeit (und damit die Möglichkeit der Nachsicht) wohl bejaht werden.