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Abstract
Strittig war vor dem VwGH, ob Kosten für eine frühere Operation in einer Privatklinik – statt eines späteren Termins in einem öffentlichen Krankenhaus – aus Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind. Während das BFG die für die Qualifikation als außergewöhnliche Belastung maßgebliche Zwangsläufigkeit iSd § 34 Abs 3 EStG bejahte, verneinte der VwGH diese. Nach Ansicht des VwGH ist die Zwangsläufigkeit von Krankheitskosten anhand der medizinischen Notwendigkeit zu beurteilen. Kann das Vorliegen eines triftigen medizinischen Grundes mangels ärztlicher Bestätigung nicht beurteilt werden, ist das Kriterium der Zwangsläufigkeit nicht erfüllt. Der VwGH versagte folglich die Berücksichtigung der Kosten für die Operation in der Privatklinik als außergewöhnliche Belastungen.
VwGH 18. 12. 2024, Ro 2021/13/0011
Sachverhalt
Die Mitbeteiligte, die seit mehr als 35 Jahren an Diabetes Typ 1 leidet, machte im Rahmen ihrer Arbeitnehmerveranlagung für 2015 Kosten für eine Schulteroperation in einer Privatklinik iHv 2.005 € geltend. Da sie im Zeitpunkt der Operation bereits mehrere Monate im Krankenstand gewesen war, hatte sie sich aus Angst vor einem Verlust ihres Arbeitsplatzes für eine Operation in einer Privatklinik – anstelle eines späteren Termins in einem öffentlichen Krankenhaus – entschieden. Im Einkommensteuerbescheid 2015 erkannte das Finanzamt (FA) die Kosten der Operation in der Privatklinik nicht als außergewöhnliche Belastung an, weil der Entschluss, sich im Falle einer Operation in einer Privatklinik behandeln zu lassen, eine freiwillige Entscheidung sei, die nach der Rechtslage keine Zwangsläufigkeit der Aufwendungen begründe. Gegen den ESt-Bescheid 2015 erhob die Mitbeteiligte Beschwerde.
Das BFG gab der Beschwerde statt und änderte den angefochtenen Bescheid dahin gehend ab, dass es die Einkommensteuer für 2015 unter Berücksichtigung der von der Mitbeteiligten geltend gemachten Aufwendungen für die Operation festsetzte. Nach Ansicht des BFG sei die Angst der Mitbeteiligten vor einem Verlust ihres Arbeitsplatzes objektiv nachvollziehbar. Dieser Grund sei zwingend gewesen, weil der Verlust des Arbeitsplatzes eine unbedingt zu vermeidende Situation sei. Ob triftige medizinische Gründe für den früheren Operationstermin in der Privatklinik vorgelegen haben, könne nach Ansicht des BFG mangels ärztlicher Bestätigungen nicht beurteilt werden, und sei letztendlich für die vorliegende Entscheidung auch nicht relevant. Die Revision ließ das BFG zu, weil höchstgerichtlich noch nicht entschieden wurde, ob auch die Abwendung einer Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz ein geeignetes Kriterium zur Beurteilung der Zwangsläufigkeit der Behandlungskosten im Privatspital ist.
Entscheidung des VwGH
Nach § 34 Abs 1 EStG können bei der Einkommensermittlung unbeschränkt Steuerpflichtiger nach Abzug der Sonderausgaben iSd § 18 EStG außergewöhnliche Belastungen nur berücksichtigt werden, soweit diese (Z 1) außergewöhnlich sind, (Z 2) zwangsläufig erwachsen und (Z 3) die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen wesentlich beeinträchtigen. Die im vorliegenden Fall strittige Voraussetzung der Zwangsläufigkeit ist gem § 34 Abs 3 EStG erfüllt, wenn sich der Steuerpflichtige der Belastung aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann.
Zu den als außergewöhnliche Belastungen abzugsfähigen Krankheitskosten zählen nur Aufwendungen für solche Maßnahmen, die zur Heilung oder Linderung einer Krankheit nachweislich notwendig sind. Zum Nachweis der medizinischen Notwendigkeit (dem Grunde nach) ist nach der Rsp des VwGH ein ärztliches Zeugnis oder ein Gutachten erforderlich. Einem ärztlichen Gutachten kann es gleich gehalten werden, wenn ein Teil der angefallenen Aufwendungen von einem Träger der gesetzlichen Sozialversicherung übernommen wird (vgl etwa VwGH 13. 3. 2023, Ra 2020/13/0057 mwN).
Zwar können auch Aufwendungen, die nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung getragen werden, als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden, soweit sie dem Steuerpflichtigen (der Höhe nach) zwangsläufig erwachsen und sie aus triftigen Gründen medizinisch geboten sind (vgl VwGH 20. 9. 2023, Ro 2021/13/0025; 11. 2. 2022, Ra 2020/13/0062 mwN). Die Beweislast dafür trägt der Steuerpflichtige, der selbst alle Umstände darzulegen hat, auf welche die Berücksichtigung bestimmter Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen gestützt werden kann (vgl VwGH 20. 9. 2023, Ro 2021/13/0025; 13. 3. 2023, Ra 2020/13/0057 mwN).
Die Beurteilung der Zwangläufigkeit von Krankheitskosten ist daher anhand der medizinischen Notwendigkeit zu beurteilen. Nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung getragene Kosten sind nur bei Vorliegen triftiger medizinischer Gründe, für die der Steuerpflichtige die Beweislast trägt, als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen. Da das BFG im angefochtenen Erkenntnis ausführt, dass mangels ärztlicher Bestätigung nicht beurteilt werden könne, ob triftige medizinische Gründe für den früheren Operationstermin in der Privatklinik vorgelegen haben, ist das Kriterium der Zwangsläufigkeit nicht gegeben. Das Erk des BFG war daher aufzuheben.
Conclusio
Der VwGH entschied auf Basis seiner bisherigen Rsp, dass die für außergewöhnliche Belastungen maßgebliche Zwangsläufigkeit von Krankheitskosten anhand der medizinischen Notwendigkeit zu beurteilen ist. Nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung getragene Krankheitskosten können daher nur bei Vorliegen triftiger medizinischer Gründe, für die der Steuerpflichtige die Beweislast trägt, als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden. Für die Mitbeteiligte stellte sich jedoch faktisch wie in der Tageszeitung „Die Presse“ vorgebracht wohl die Frage: „Wie ‚freiwillig‘ ist es, wenn man sich aus Angst um die eigene wirtschaftliche Existenz möglichst schnell operieren lassen will und deshalb eine Privatklinik aufsucht?“ (vgl Kommenda, Aus Existenzangst OP in Privatklinik: Nicht absetzbar, Die Presse Rechtspanorama vom 10. 2. 2025). Für die Mitbeteiligte war eine subjektive Zwangsläufigkeit wohl gegeben, zumal sie laut Sachverhalt der Entscheidung aufgrund ihrer Krankenakte wohl einem Druck der Personalchefin ausgesetzt war. Aus Angst vor einem drohenden Verlust ihres Arbeitsplatzes entschied sie sich daher für die kostenaufwendige Operation in der Privatklinik – anstelle einer späteren Operation im öffentlichen Krankenhaus. Der VwGH beurteilt das Kriterium der Zwangsläufigkeit jedoch rein objektiv und verlangt bei Krankheitskosten triftige medizinische Gründe.
Während die Entscheidung des VwGH keine Überraschung ist, verdient die zugrundeliegende Entscheidung des BFG durchaus einen näheren Blick. Das BFG prüfte die medizinische Notwendigkeit der Operation nicht näher, weil sich die Zwangsläufigkeit ohnehin aus dem drohenden Verlust des Arbeitsplatzes ergibt („Ob triftige medizinische Gründe für den früheren Operationstermin im Privatspital statt des späteren Termines im öffentlichen Krankenhaus vorlagen, kann mangels ärztlicher Bestätigungen nicht beurteilt werden, wird aber letztendlich für die vorliegende Entscheidung nicht relevant sein“ vgl BFG 1. 4. 2021, RV/7104192/2020). Da die „Zwangsläufigkeit“ einer Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz in einem solchen Fall vom VwGH noch nicht beurteilt worden war, ließ das BFG die Revision zu. Aus Perspektive der Mitbeteiligten kann man sich somit wohl die Frage stellen, wie der Fall ausgegangen wäre, wenn das BFG die medizinische Notwendigkeit näher geprüft und uU um die Erbringung einer ärztlichen Bestätigung ersucht hätte.