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DBA Ö-TUR: Art 15, Art 22
OECD-MA 1977: Art 23A Abs 1 und Abs 3
EStG 1988: § 1 Abs 2, § 3 und § 33
Abstract
In einer kürzlich ergangenen Entscheidung hatte sich der VwGH erstmals mit der Frage auseinanderzusetzen, ob Österreich als abkommensrechtlicher Quellenstaat ausländische Einkünfte zur Berechnung des Durchschnittssteuersatzes heranziehen darf. Die Revisionswerberin (Rw) war in Ö unbeschränkt steuerpflichtig, galt aber abkommensrechtlich als in der Türkei ansässig. Das Doppelbesteuerungsabkommen mit der Türkei enthält – wie das OECD-Musterabkommen – keine expliziten Regelungen zu einem Progressionsvorbehalt für den Quellenstaat, sodass der VwGH das Zusammenspiel von innerstaatlichem Recht und Abkommensrecht beleuchtete.
VwGH 7. 9. 2022, Ra 2021/13/0067
Sachverhalt
Die Rw ist zwar aufgrund ihres Wohnsitzes in Ö unbeschränkt steuerpflichtig, hat aber ihren Lebensmittelpunkt in der Türkei und ist daher nach dem Doppelbesteuerungsabkommen mit der Türkei nicht in Ö ansässig. Sie bezog im Streitjahr Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit, welche tw in Ö ausgeübt wurde. Ö als abkommensrechtlicher Quellenstaat besteuerte nur die Einkünfte aus der in Ö ausgeübten Arbeit, setzte aber den Durchschnittssteuersatz anhand des Welteinkommens fest (Progressionsvorbehalt). Das BFG bestätigte die Ansicht der Abgabenbehörde, dass ein Progressionsvorbehalt für den Quellenstaat abkommensrechtlich zwar nicht explizit vorgesehen, aber auch nicht ausgeschlossen sei, wies die Beschwerde ab und ließ die ordentliche Revision nicht zu (BFG 18. 3. 2021, RV/7100347/2021, Entscheidung nicht veröffentlicht). Gegen das Erk des BFG wurde eine ao Revision eingebracht, in der ua vorgebracht wurde, dass die vom BFG zitierte Literatur nicht einschlägig sei, da sie sich auf Fälle bezog in denen Ö Ansässigkeits- und nicht abkommensrechtlicher Quellenstaat sei.
Entscheidung des VwGH
Der VwGH lässt die Revision zu, da es noch keine hgRsp zur Anwendung des Progressionsvorbehalts für den Quellenstaat gibt. Gem Art 15 DBA Ö-TUR dürfen Einkünfte, die nicht auf in Ö ausgeübte Tätigkeiten entfallen, nur in der Türkei besteuert werden. Inwiefern die restlichen Einkommensteile in Ö besteuert werden dürfen, richtet sich zunächst nach innerstaatlichem Recht, da ein Doppelbesteuerungsabkommen keinen innerstaatlichen Steuertatbestand schaffen, sondern nur begrenzen kann.
Gem § 1 Abs 2 iVm § 33 EStG 1988 bemisst sich der Steuersatz bei unbeschränkt Steuerpflichtigen nach dem Welteinkommen, woraus der VwGH schon zuvor abgeleitet hat, dass darin die innerstaatliche Rechtsgrundlage für den Progressionsvorbehalt liegt (VwGH 24. 5. 2007, 2004/15/0051 und 29. 7. 2010, 2010/15/0021). Entgegen den Ausführungen der Rw, darf laut VwGH nicht die Systematik der sonstigen befreiten Einkünfte nach § 3 EStG 1988 herangezogen werden. Die befreiten Einkünfte nach § 3 EStG 1988 fließen zwar – mit Ausnahme der explizit in § 3 Abs 3 aufgezählten Einkünfte – nicht in die Progression ein. Abkommensrechtlich befreite Einkünfte werden aber zuerst innerstaatlich ermittelt und erst in einem zweiten Schritt befreit, sodass sie systematisch anders zu beurteilen sind als nach § 3 EStG steuerbefreite Einkünfte.
Auch das DBA mit der Türkei steht der Anwendung des Progressionsvorbehaltes für den Quellenstaat nicht entgegen, da sich der Methodenartikel immer nur auf den Ansässigkeitsstaat bezieht und einen Progressionsvorbehalt für den Quellenstaat offenlässt. Auch der Kommentar zum OECD-MA 1977 (Art 23A Rz 56), sowie das Schrifttum (Wassermeyer in Wassermeyer, DBA129 OECD-MA Art 23A Rz 122) bestätigen nach Ansicht des VwGH, dass die Anwendung des Progressionsvorbehalts durch den Quellenstaat nach dem OECD-MA nicht ausgeschlossen ist. Das DBA mit der Türkei entfaltet somit keine Schrankenwirkung hinsichtlich des Progressionsvorbehaltes. Die Besteuerung war daher rechtmäßig und die Revision abzuweisen.
Conclusio
Der VwGH bereitet mit seiner Entscheidung wohl der bisher für den Steuerpflichtigen zumeist günstigen Praxis ein Ende, wonach Ö als Zweitwohnsitzstaat ausländische Einkünfte nicht unter den Progressionsvorbehalt stellt (siehe EStR 2000 Rz 7595) und bestätigt damit eine erst kürzlich ergangene BFG-Entscheidung (BFG 14. 5. 2020, keine Revision eingebracht, siehe Auer/Petutschnig/Resenig, Befreiungsmethode mit Progressionsvorbehalt auch im Quellenstaat? SWI 2021, 116). Das Ergebnis ist eine konsequente Fortführung der VwGH Rsp, wonach ein DBA keine Schrankenwirkung auf die Progression entfaltet und der Progressionsvorbehalt daher auch ohne explizite Erwähnung im Abkommen anzuwenden ist (VwGH 29. 7. 2010, 2010/15/0021; kritisch Loukota/Jirousek/Schmidjell-Dommes, Internationales Steuerrecht I/1, Art 23 Rz 37 ff). Es ist im Sinne einer gleichmäßigen Besteuerung und Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit begrüßenswert (in diesem Sinn schon damals Widhalm, Rechtsgrundlagen und Anwendungsbereich des Progressionsvorbehalts, in Gassner/Lang/Lechner [Hrsg] Die Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung [1995]).
Die dogmatische Begründung vermag aus meiner Sicht dennoch nicht gänzlich zu überzeugen. Dem VwGH ist zwar zuzustimmen, dass das Doppelbesteuerungsabkommen mit der Türkei einen Progressionsvorbehalt nicht verbietet, es fehlt aber – wie für Fälle als Ansässigkeitsstaat ohne Progressionsvorbehalt im DBA – an einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage für den Miteinbezug der abkommensrechtlich befreiten Einkünfte in die Progression. Aus § 1 Abs 2 EStG iVm § 33 EStG iVm dem DBA lässt sich mE nach nicht zwingend ableiten, dass der Durchschnittssteuersatz auch von jenen Teilen des Welteinkommens zu berechnen ist, für die Ö kein Besteuerungsrecht hat. Bemerkenswert ist abschließend auch, dass sich der VwGH in der Entscheidung nicht mit § 33 Abs 11 EStG auseinandergesetzt hat, obwohl diese Bestimmung den „Progressionsvorbehalt aus der Anwendung eines Doppelbesteuerungsabkommens“ ausdrücklich erwähnt.