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VwGH: Rückstellung nur bei überwiegender Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Inanspruchnahme

Bearbeiter: Martin Klokar

EStG 1988: § 9 Abs 1 Z 3 idF BGBl I 2003/71

Abstract

Der VwGH hatte über einen Fall zu entscheiden, bei dem vom GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführer eine Rückstellung für Ersatzleistungsverpflichtungen gegenüber der GmbH dotiert wurde. Nach Ansicht des VwGH kommen solche Rückstellungen in Betracht, sofern der wesentlich beteiligte GmbH-Geschäftsführer den Gewinn aus der Geschäftsführertätigkeit durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt. Die überwiegende Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Inanspruchnahme gilt es dabei zu prüfen.

VwGH 30. 3. 2022, Ro 2020/15/0022

Sachverhalt

Der an der österreichischen X-GmbH zu 100 % beteiligte Geschäftsführer (Rw) ermittelte seine Einkünfte aus der selbständigen Geschäftsführertätigkeit gem § 4 Abs 1 EStG durch Betriebsvermögensvergleich. Die X-GmbH war aufgrund eines Handelsvertretervertrages im Vertrieb der Produkte der deutschen Z-KG (Solartechnik) tätig. Diese Tätigkeit der X-GmbH (durch ihren Gesellschafter-Geschäftsführer) war so erfolgreich, dass die Z-KG nach einigen Jahren den Vertrieb in Österreich durch eine neu zu gründende, ihr gehörende Vertriebsgesellschaft abwickeln und somit den Handelsvertretervertrag mit der X-GmbH beenden wollte; dabei warf die Z-KG der X-GmbH Pflichtverletzung vor, um den Ausgleichsanspruch nach dem Handelsvertretergesetz nicht zahlen zu müssen. Nach langen Verhandlungen einigte man sich im Jahr 2009 darauf, dass die X-GmbH auf ihren (strittigen) Anspruch nach dem Handelsvertretervertrag verzichtete, ihr Gesellschafter-Geschäftsführer aber mit 40 % an der von der Z-KG neu gegründeten österreichischen Vertriebsgesellschaft (Y-GmbH) beteiligt und auch bei dieser Y-GmbH zum Geschäftsführer bestellt wurde. IZm dem dargestellten Verhandlungsergebnis minderte der Rw den Gewinn aus seiner Geschäftsführertätigkeit, indem er – verteilt auf die Jahre 2010 bis 2012 – eine Rückstellung von 290.000 € aufbaute. Das Verhandlungsergebnis könnte sich nämlich auch zum Nachteil der X-GmbH ausgewirkt haben (Verzicht auf den umstrittenen Handelsvertreter-Ausgleichsanspruch); daher sagte der GmbH-Geschäftsführer mit Vertrag vom November 2009 seiner X-GmbH für den Fall, dass ihr Gewinn einbricht, einen Ausgleich von bis zu 300.000 € zu und bildete hierfür die Rückstellung.

Das BFG berücksichtigte keine Betriebsausgabe aus der Dotierung der Rückstellung, weil es in den durch den Gesellschafter-Geschäftsführer zugesagten Zahlungen nur einen „Vorteilsausgleich“ für den von der GmbH zugewendeten Vorteil ansah. Außerdem rechnete das BFG im konkreten Fall die Beteiligung an der X-GmbH nicht zum Betriebsvermögen des Geschäftsführungsbetriebes, weil der Geschäftsführer bereits vor der seinerzeitigen Einbringung des Betriebes in die X-GmbH für diesen Betrieb tätig gewesen war. Die Revision wurde zugelassen; der Geschäftsführer erhob Revision.

Entscheidung des VwGH

Der VwGH hob die Entscheidung des BFG als rechtswidrig infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften auf:

Was den vom BFG angenommenen Vorteilsausgleich anlangt, lässt laut VwGH das angefochtene Erkenntnis nachvollziehbare Feststellungen zur Frage vermissen, worin der dem Rw konkret zugeflossene Vorteil gelegen ist. Einerseits könnte in wirtschaftlicher Betrachtung angenommen werden, dass die X-GmbH den Anspruch nach dem Handelsvertretergesetz dem Rw abgetreten hat, damit dieser den Anspruch in den Verhandlungen mit der Z-KG einsetzen kann. Andererseits könnte Gegenstand der Übertragung der von der X-GmbH (mit Hilfe des Rw) geschaffene Kundenstock sein. In beiden Fällen wäre ein Wirtschaftsgut von der X-GmbH an den Rw übertragen worden und würde die allfällige Gegenleistung des Rw zu den Anschaffungskosten dieses Wirtschaftsgutes zählen. Für aktivierungspflichtige Aufwendungen kann aber eine Verbindlichkeitsrückstellung nicht gebildet werden (vgl Zorn in Doralt et al, EStG22, § 9 Tz 50). Nach Ansicht des VwGH hat das BFG somit Verfahrensvorschriften verletzt, indem es unterlässt darzulegen, worin es den dem Rw zugegangenen Vorteil erblickt.

Der VwGH betont, dass zu den Voraussetzungen für die Anerkennung einer Rückstellung die überwiegende Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Inanspruchnahme zählt (vgl Zorn in Doralt et al, EStG22 § 9 Tz 52). Mit der Frage nach der Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme (nach den Verhältnissen der jeweiligen Bilanzstichtage unter Berücksichtigung der besseren Einsicht bei der jeweiligen Bilanzerstellung) haben sich weder das FA noch das BFG auseinandergesetzt, obwohl der Rw beim Abschluss der in Rede stehenden Vereinbarung Alleingesellschafter der X-GmbH war und diese im Jahr 2013 auf den Rw umgewandelt worden ist (§ 2 UmwG). Tatsächlich wurde der Rw sohin nicht in Anspruch genommen. Überdies sollte der Vereinbarung zufolge die Berechnung, ob überhaupt eine Zahlungsverpflichtung des Rw entsteht, erst nach Vorliegen des Jahresabschlusses der X-GmbH zum 31. Dezember 2014 (und auf Basis dieses Jahresabschlusses) erfolgen; zum 31. Dezember 2014 hat die X-GmbH aber wegen der bereits zuvor erfolgten Umwandlung gar nicht mehr existiert.

Conclusio

Nach § 9 Abs 1 Z 3 EStG können Rückstellungen für sonstige ungewisse Verbindlichkeiten gebildet werden, wenn ein die Vergangenheit betreffender Aufwand bestimmter Art, dessen wirtschaftliche Veranlassung im Abschlussjahr gelegen ist, ernsthaft droht (vgl zB VwGH 18. 10. 2018, Ra 2017/15/0085; 20. 12. 2016, Ro 2014/15/0012; 25. 4. 2013, 2010/15/0157 mwN; ebenso Mayr, Rückstellungen in der Handels- und Steuerbilanz [2004] 165 ff; Mühlehner in Hofstätter/Reichel, EStG58 § 9 Tz 44). Der VwGH betont in dieser Entscheidung die überwiegende Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme für die (ungewisse) Verbindlichkeit als Voraussetzung steuerlicher Rückstellungen. Diese Voraussetzung ist insbesondere bei Rückstellungen für Schadenersatzverpflichtungen, wenn der Schädiger sich beim Geschädigten nicht meldet, oder öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen strittig (vgl Zorn in Doralt et al, EStG22 § 9 Tz 52/1, 53). Bei einer Konstellation mit einem Vertrag zwischen einer GmbH und ihrem Gesellschafter-Geschäftsführer erscheint das Unterbleiben der Geltendmachung einer Forderung wegen des Fehlens eines Interessengegensatzes denkbar (siehe Zorn, VwGH: Rückstellungen beim Gewinn des GmbH-Geschäftsführers, RdW 2022, 348 [349]). Daher ist der Frage nach der Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme in solchen Fällen besondere Beachtung zu schenken.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 32905 vom 09.08.2022