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Abstract
Der VwGH hatte über einen Fall zu entscheiden, in welchem die Abgabenbehörde einem Steuerpflichtigen nachträglich den Familienbonus Plus versagt hatte, weil die Hälfte des Familienbonus Plus für dasselbe Kind bei einer anderen Person berücksichtigt worden war. Fraglich war, ob diese nachträgliche bescheidmäßige Berücksichtigung des Familienbonus Plus bei einem geldunterhaltspflichtigen Elternteil ein rückwirkendes Ereignis iSd § 295a BAO ist. Der VwGH stellte in seinem Erkenntnis klar, dass der Antrag des leiblichen Vaters auf den Familienbonus Plus kein rückwirkendes Ereignis in Bezug auf die Einkommensbesteuerung des Mitbeteiligten sein kann.
VwGH 26. 4. 2023, Ra 2022/15/0057
Sachverhalt
Ein Ehemann (Mitbeteiligter) lebte mit seiner Ehegattin sowie vier leiblichen und zwei Pflegekindern in einem gemeinsamen Haushalt. Die Ehefrau bezog für alle Kinder die Familienbeihilfe. Sie verzichtete aber auf die Geltendmachung des Familienbonus Plus, weshalb dieser für alle sechs Kinder in vollem Umfang dem Ehemann gewährt wurde (Einkommensteuerbescheid 2019 vom 22. 5. 2020, Einkommensteuerbescheid 2020 vom 23. 3. 2021). Für eines der Pflegekinder wurde jedoch bereits davor vom leiblichen Vater, der im Jahr 2019 (12 Monate) und im Jahr 2020 (10 Monate) den gesetzlichen Unterhalt für dieses Pflegekind leistete, der Familienbonus Plus beantragt. In den Erklärungen zur Durchführung der Arbeitnehmerveranlagung 2019 (eingereicht am 8. 3. 2020) und 2020 (eingereicht am 4. 3. 2021) beantragte der leibliche Vater nämlich die Hälfte des Familienbonus Plus. Diesen Anträgen trug das FA vollinhaltlich Rechnung.
Das FA bemerkte im Jahr 2021 die mehrfache Gewährung des Familienbonus Plus. Die Behörde erließ gegenüber dem Ehemann gem § 295a BAO geänderte Einkommensteuerbescheide 2019 und 2020 (mit dem Ausfertigungsdatum 14. 10. 2021), in welchen der Familienbonus Plus für das betreffende Pflegekind zur Gänze nicht (mehr) berücksichtigt wurde. Das FA führte aus, der Mitbeteiligte sei nicht anspruchsberechtigt, weil für das Pflegekind der gesetzliche Unterhalt geleistet worden sei und gem § 33 Abs 3a Z 3 lit b EStG neben dem Unterhaltszahler nur die Familienbeihilfebezieherin selbst (also die Ehefrau des Mitbeteiligten) anspruchsberechtigt sein könne. Der Ehemann erhob Beschwerde. Das BFG gab der Beschwerde statt. Zur Begründung führte es aus, dass § 295a BAO nur anwendbar sei, wenn ein Ereignis, dem das materielle Steuerrecht rückwirkende Kraft einräumt, erst nach der Erlassung des Bescheides eintrete. Im Zeitpunkt der Erlassung der Einkommensteuerbescheide 2019 und 2020 an den Ehemann waren aber die Anträge des leiblichen Vaters bereits längst eingebracht (siehe dazu kritisch Pacher, BFG: Rückwirkende Ereignisse iSd § 295a BAO iZm dem Familienbonus Plus, LexisNexis Rechtsnews 32719 [28. 6. 2022]). Das FA erhob ordentliche Revision.
Entscheidung des VwGH
Der VwGH wies die Revision des FA mit folgender Begründung als unbegründet ab:
Ein rückwirkendes Ereignis iSd § 295a BAO könnte – wie dies die Erläuterungen durch den Verweis auf einen Antrag nach einem „vorangegangenen Bescheid“ ausführen (vgl 190 BlgNR 26. GP 10) – vorliegen, indem nach dem Ergehen des Einkommensteuerbescheides gegenüber dem einen Anspruchsberechtigten der zweite Anspruchsberechtigte ebenfalls einen Antrag auf Familienbonus Plus stellt. Dieser Fall liegt im vorliegenden Sachverhalt nicht vor.
Laut VwGH kommt im gegenständlichen Fall – der das Jahr 2019 betrifft – hinzu, dass die Gewährung des Familienbonus Plus in Bezug auf ein Kind, für das dem unterhaltspflichtigen Vater für alle Monate der Unterhaltsabsetzbetrag nach § 33 Abs 4 Z 3 EStG zusteht, strittig ist. Die Anspruchsberechtigung für ein Kind, für das der Unterhaltsabsetzbetrag zusteht, ergebe sich aus der lit b des § 33 Abs 3a Z 3 EStG. Demnach kommen als Anspruchsberechtigte für den Familienbonus Plus nur die Familienbeihilfeberechtigte (im gegenständlichen Fall: die Pflegemutter) und der Unterhaltsverpflichtete (im gegenständlichen Fall: der leibliche Vater) in Betracht.
Dem VwGH zufolge räumt § 33 Abs 3a Z 3 lit b EStG dem Ehemann für jene Monate, für die ein Unterhaltsabsetzbetrag zusteht, keinen Anspruch auf Familienbonus Plus ein, unabhängig davon, ob der leibliche Vater (als Unterhaltspflichtiger) den Familienbonus Plus in Anspruch nimmt oder nicht. Bei dieser Rechtslage habe es auf den (von vornherein nicht bestehenden) Anspruch des Mitbeteiligten auf Familienbonus Plus keine wie immer geartete Auswirkung, ob der leibliche Vater, dem der Unterhaltsabsetzbetrag zukommt, einen Familienbonus Plus beantragt oder nicht. Ein Antrag des leiblichen Vaters auf den Familienbonus Plus könne daher auch kein rückwirkendes Ereignis in Bezug auf die Einkommensbesteuerung des Mitbeteiligten sein. Das angefochtene Erkenntnis erweist sich dem VwGH zufolge auch aus diesem Grund als nicht gesetzwidrig.
Conclusio
Dem Ehemann der Kindesmutter kam im gegenständlichen Fall von vornherein kein Anspruch auf Familienbonus Plus für das Pflegekind zu, unabhängig davon, ob der leibliche Vater des Pflegekindes diesen Absetzbetrag ebenfalls beantragt oder nicht. Die familienbeihilfeberechtigte (allenfalls einkommenslose) Mutter kann ihrem Ehemann nur dann den Anspruch auf Familienbonus Plus übertragen, indem sie gem § 2a Abs 2 FLAG zu seinen Gunsten auch auf die Familienbeihilfe verzichtet (vgl dazu Zorn, VwGH: Korrektur des Familienbonus Plus wegen des Antrags einer zweiten Person, RdW 2023, 448 [448 f]).
Der VwGH macht in diesem Erkenntnis deutlich, dass § 295a BAO nur der Verfahrenstitel zur Durchbrechung der materiellen Rechtskraft von vor Eintritt des Ereignisses erlassenen Bescheiden ist. Weiters stellt er fest, dass es eine Frage des Inhalts bzw der Auslegung der materiell-rechtlichen Abgabenvorschriften ist, welchen Ereignissen Rückwirkung (bezogen auf den Zeitpunkt des Entstehens des Abgabenanspruchs) zukommt (vgl auch VwGH 22. 7. 2020, Ra 2017/16/0174). § 295a BAO kann aber keinesfalls angewendet werden, falls das relevante Ereignis bereits eingetreten war, bevor der zu korrigierende Bescheid erlassen wurde. In einer solchen Situation geht es vielmehr nur darum, ob die Voraussetzungen einer Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 303 BAO gegeben sind oder nicht, was wohl im vorliegenden Fall ebenfalls zu verneinen ist (vgl dazu im Detail Zorn, RdW 2023, 448 [448 f]).