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VwGH: Verlegung des Familienwohnsitzes an den Beschäftigungsort auch mit minderjährigem Kind zumutbar

Bearbeiter: Kilian Posch

EStG 1988: § 20 Abs 1 Z 1 und Z 2 lit a

Abstract

In einer früheren Entscheidung (VwGH 20. 12. 2018, Ra 2016/13/0016) hatte der VwGH ausgesprochen, dass die Folgen für Minderjährige bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der Verlegung des Familienwohnsitzes an den Arbeitsort nicht von vornherein unberücksichtigt bleiben dürfen. Mit dem vorliegenden Erkenntnis stellte der VwGH nun klar, dass eine solche Berücksichtigung des Kindeswohls nicht allgemein zur Unzumutbarkeit des Wohnortwechsels führt, sondern nur dann, wenn dies aus fallbezogenen Umständen hervorgeht.

VwGH 21. 4. 2023, Ro 2021/15/0037

Sachverhalt

Der Revisionswerber (Rw) bezog in den Streitjahren 2016–2018 Einkünfte aus unselbstständiger Arbeit als Vertragsbediensteter in einem Bundesministerium in Wien. Dafür unterhielt er einen Nebenwohnsitz in einer Wiener Mietwohnung, während er seinen Hauptwohnsitz bei seinem Eigenheim in Innsbruck beließ, wo auch seine Ehegattin mit der gemeinsamen achtjährigen Tochter lebte. Die Tochter besuchte ebendort die Volksschule und pflegte den Darstellungen des Rw zufolge enge Kontakte zu Verwandtschaft und Freunden. Ihre Mutter war in den Streitjahren als selbstständige Künstlerin und im letzten Jahr auch unselbstständig tätig, wobei die Einnahmen die Ausgaben 2018 nur geringfügig überstiegen. Der Rw machte für alle genannten Jahre die Kosten für die doppelte Haushaltsführung und die Kosten für Familienheimfahrten in den jeweiligen Einkommensteuererklärungen geltend. Das zuständige Finanzamt versagte deren steuerliche Anerkennung in den Streitjahren. Der Rw brachte dagegen in der Bescheidbeschwerde vor, dass eine Verlegung des Familienwohnsitzes an seinen Beschäftigungsort ua aus dem Grund unzumutbar sei, dass seine Tochter hierdurch aus ihrem sozialen Umfeld gerissen würde. Auch das BFG sah die Kosten für die doppelte Haushaltsführung und die Familienheimfahrten als nicht abzugsfähige Kosten der Lebensführung an und begründete eingehend, dass der Umzug des Kindes von Innsbruck nach Wien im vorliegenden Fall trotz wechselndem sozialen Umfeld noch keine Unzumutbarkeit bewirke. Die Revision wurde jedoch zugelassen, da die Rechtsfrage, ob die Betreuung des minderjährigen Kindes vom Partner mit sozialer Bindung am Familienwohnsitz zur Unzumutbarkeit der Familienwohnsitzverlegung führt, noch nicht vom VwGH beantwortet wurde.

Entscheidung des VwGH

Haushaltsaufwendungen sind gem § 20 Abs 1 Z 1 EStG grundsätzlich nicht als Werbungskosten oder Betriebsausgaben verwertbar. Ebenso wenig können nach Abs 1 Z 2 lit a EStG Aufwendungen und Ausgaben für die Lebensführung abgezogen werden, auch wenn die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen sie mit sich bringen oder sie zum beruflichen Fortkommen förderlich sind. Kosten der doppelten Haushaltsführung gelten ausnahmsweise als betrieblich bedingt, wenn sie unvermeidbare Mehraufwendungen darstellen, die daraus entstehen, dass Steuerpflichtige am Arbeitsort wohnen müssen, ihnen jedoch weder eine Verlegung des Familienwohnsitzes noch eine tägliche Heimfahrt dorthin zugemutet werden kann (vgl VwGH 14. 9. 2017, Ra 2016/15/0080). Die Unzumutbarkeit kann sich dabei aus unterschiedlichen Umständen ergeben, die von erheblichem objektiven Gewicht sind. Die Umstände sind dabei jedes Jahr neu zu prüfen, sodass die Finanzverwaltung nicht an die Behandlung der Vorjahre gebunden ist. Nach stRsp des VwGH sind die Umstände in einer Einzelfallbetrachtung zu erwägen, wobei auch Ursachen in der privaten Lebensführung für die Begründung der Unzumutbarkeit als zulässig erachtet werden (vgl VwGH 22. 11. 2018, Ra 2018/15/0075 mwN).

Aus diesen Grundsätzen hatte der VwGH in einem früheren Erkenntnis abgeleitet, dass sich das BFG zur Beurteilung der Unzumutbarkeit der Familienwohnsitzverlegung damit auseinandersetzen muss, dass die Betreuung von minderjährigen Kindern durch den Partner am Familienwohnsitz stattfindet. Diesem Umstand darf nicht von vornherein keine Beachtung geschenkt werden (vgl VwGH 20. 12. 2018, Ra 2016/13/0016). Der VwGH führte nun aber aus, dass aus diesem Erkenntnis nicht notwendigerweise die Beachtlichkeit dieses Umstandes folgt, sondern das BFG lediglich dazu verpflichtet, vor dem Hintergrund des Kindeswohls eine fallbezogene Abwägung durchzuführen. Dies ist hier laut VwGH durch schlüssige Beweiswürdigung des BFG geschehen, weshalb die Revision wegen Unbegründetheit abzuweisen war.

Conclusio

Im Zentrum des vorliegenden Falls steht die Frage, ob die doppelte Haushaltsführung und die Familienheimfahrten der Einkommenserzielung oder der steuerlich nicht verwertbaren Einkommensverwendung zuzurechnen sind. § 20 Abs 1 Z 1 und Z 2 lit a EStG subsumieren die Kosten der Haushaltsführung unter die nicht abziehbare Einkommensverwendung. Auch wenn nach der dargelegten Rsp des VwGH durch die Unzumutbarkeit der Verlegung des Familienwohnsitzes Ausnahmen vom Grundsatz der steuerlichen Unbeachtlichkeit vorgesehen sind, so hätte die Begründetheit dieser Revision eine gänzliche Abkehr vom Prinzip der steuerlichen Unverwertbarkeit der doppelten Haushaltsführung bedeutet, wann immer das soziale Gefüge der unterhaltsberechtigten Minderjährigen vom Umzug des Familienwohnsitzes betroffen wäre. Mit der Entscheidung des VwGH, das Finanzamt und das BFG nur dazu zu verpflichten, die Umstände der Betreuung im Lichte des Kinderwohls zu berücksichtigen, ohne jedoch in jedem Fall eine Unzumutbarkeit stets bejahen zu müssen, wird ein systematisch befriedigendes Ergebnis erzielt.

Im Hinblick auf die Praxis sei noch erwähnt, dass die LStR mit Verweis auf das Erk des VwGH vom 20. 12. 2018 (Ra 2016/13/0016) den gemeinsamen Haushalt am Familienwohnsitz mit minderjährigen, unterhaltsberechtigten Kindern als eigene Fallkategorie anführen, weshalb die Unzumutbarkeit des Familienwohnsitzwechsels gegeben sein kann (LStR 2002 Rz 345) – obwohl die zitierte E an die Rsp zur Unzumutbarkeit wegen Betreuungspflichten anschloss. Trotz der mangelnden Rechtsqualität der LStR 2002 erscheint der „Auslegungsbehelf der Finanzverwaltung“ (vgl VwGH 22. 6. 2022, Ro 2021/13/0022, mwN) gerade im Lichte der hier behandelten Entscheidung irreführend.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 34359 vom 08.08.2023