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VwGH: Vertretung einer Verlassenschaft im Abgabenverfahren aufgrund einer Ermächtigung nach § 153 Abs 2 AußStrG

Bearbeiter: Vera Hellebrandt

EStG 1988: § 41 Abs 2

BAO: § 19, § 80

AußStrG: § 153 Abs 2

Abstract

Der VwGH entschied, dass ein vom Verlassenschaftsgericht gem § 153 Abs 2 AußStrG ermächtigter Sozialhilfeverband (SHV) weder Gesamtrechtsnachfolger noch gesetzlicher Vertreter oder Zustellbevollmächtigter der Verlassenschaft wird. Ein SHV ist daher nicht zur Stellung eines Antrags auf Arbeitnehmerveranlagung gem § 41 Abs 2 Z 1 EStG berechtigt.

VwGH vom 23. 11. 2022, Ro 2022/15/0026

Sachverhalt

Seit der Abschaffung des Pflegeregresses können SHV nur 80 % des laufenden Einkommens einer Person, die in einer stationären Pflegeeinrichtung aufgenommen wurde, zur Deckung der Pflegekosten heranziehen (§ 324 Abs 3 ASVG). Zum laufenden Einkommen werden auch Gutschriften aus einer Arbeitnehmerveranlagung gezählt. Nach dem Tod einer Person, die in einer solchen Einrichtung betreut worden war, ermächtigte ein Verlassenschaftsgericht mit Beschluss gem § 153 Abs 2 AußStrG einen SHV zur Durchführung einer Arbeitnehmerveranlagung und zum Empfang des sich daraus ergebenden Guthabens. Daraufhin stellte der SHV als Vertreter der Verlassenschaft einen entsprechenden Antrag auf Arbeitnehmerveranlagung für das Jahr 2020. Die Finanzverwaltung wies den Antrag mit der Begründung zurück, dass der SHV durch die Ermächtigung nach § 153 Abs 2 AußStrG lediglich Einzelrechtsnachfolger geworden wäre und ihm daher gem § 19 Abs 1 BAO iVm § 41 Abs 2 EStG keine Antragslegitimation zustehen würde. Im vorliegenden Fall wäre nur ein eigens bestellter Verlassenschaftskurator zur Stellung von Anträgen und Entgegennahme von Bescheiden legitimiert. Der Beschluss des Verlassenschaftsgerichts würde für die Finanzverwaltung keine Bindung entfalten. Diese Erledigung erging im Juli 2021 an die Verlassenschaft zu Handen des SHV. Das BFG gab der darauffolgenden Beschwerde des SHV statt und hob die Zurückweisung durch die Finanzverwaltung ersatzlos auf. Dazu führte das BFG aus, dass die ruhende Verlassenschaft Gesamtrechtsnachfolgerin des antragsberechtigten Abgabepflichtigen sei und die Finanzverwaltung deshalb die Durchführung der Arbeitnehmerveranlagung vorzunehmen habe. Das Verlassenschaftsgericht habe mittels Beschluss gem § 153 Abs 2 AußStrG den SHV im vereinfachten Verfahren zur Vertretung der ruhenden Verlassenschaft ermächtigt. Nach der Rsp des OGH habe der SHV einen Anspruch auf 80 % einer durch die Arbeitnehmerveranlagung erzielten Gutschrift, die auf Rentenzahlungen aus Pflegezeiträumen entfällt, und könne diesen Anspruch auch vor der Abgabenbehörde geltend machen. Die Finanzverwaltung erhob gegen dieses Erkenntnis des BFG eine ordentliche Amtsrevision.

Entscheidung des VwGH

Zunächst führt der VwGH aus, dass der Steuerpflichtige gem § 41 Abs 2 Z 1 EStG innerhalb von fünf Jahren einen Antrag auf Durchführung einer Arbeitnehmerveranlagung stellen kann. Berechtigt zur Antragstellung sind neben dem Steuerpflichtigen auch in der BAO angeführte Vertreter oder der Gesamtrechtsnachfolger. Wenn, wie im Revisionsfall, keine Verlassenschaftsaktiva vorhanden sind oder den Wert von 5.000 € nicht übersteigen, kann die Abhandlung gem § 153 Abs 1 AußStrG unterbleiben. Das Verlassenschaftsgericht kann gem § 153 Abs 2 AußStrG die Ermächtigung zur ganzen oder teilweisen Übernahme des Verlassenschaftsvermögens und zur Geltendmachung der dazugehörigen Rechte erteilen, wenn der Anspruch des zu Ermächtigenden nach der Aktenlage bescheinigt ist. Die Ermächtigung gem § 153 Abs 2 AußStrG führt zu keiner Gesamtrechtsnachfolge, weil es nicht zur Einantwortung eines Erben kommt. Nach der Rsp des OGH besteht die ruhende Verlassenschaft trotz des Ermächtigungsbeschlusses fort (vgl zB OGH 13. 10. 1992, 10 ObS 133/92).

Der SHV ist weder gesetzlicher Vertreter noch Zustellungsbevollmächtigter der Verlassenschaft. Auch die Ermächtigung nach § 153 Abs 2 AußStrG berechtigt den SHV nicht zur Vertretung und damit auch nicht zur Stellung eines Antrags auf Arbeitnehmerveranlagung. Die Finanzverwaltung verfügte dennoch im Juli 2021 eine Zustellung der als Bescheid intendierten Erledigung an die Verlassenschaft zu Handen des SHV. Ein Bescheid kann gem § 97 BAO erst wirksam werden, wenn er an die Partei, an die er ergehen soll, bekannt gegeben wird. Die Erledigung des FA vom Juli 2021 konnte keine Rechtswirkung entfalten, weil der SHV nicht zur Vertretung der Verlassenschaft berechtigt ist. Die Beschwerde des SHV richtete sich daher gegen einen Nichtbescheid. Das BFG hätte die Beschwerde als unzulässig zurückweisen müssen und war nicht zu einer Entscheidung in der Sache zuständig. Der VwGH hob daher das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit aufgrund von Unzuständigkeit auf.

Conclusio

Wenn eine in einer stationären Pflegeeinrichtung aufgenommene Person verstirbt und das Verlassenschaftsverfahren im Vorverfahren beendet wird, dann ermächtigte das Verlassenschaftsgericht in der bisherigen Praxis regelmäßig nach § 153 Abs 2 AußStrG einen SHV zur Durchführung der Arbeitnehmerveranlagung. Durch diese Ermächtigung kommt es allerdings nur zur Einzelrechtsnachfolge. Daher war bislang strittig, ob der Beschluss den Ermächtigten im Abgabenverfahren zur Vertretung der Verlassenschaft und damit auch zur Stellung eines Antrags auf Arbeitnehmerveranlagung berechtigt. In Teilen des Schrifttums wurde die Vertretungsbefugnis damit gerechtfertigt, dass sich die Ermächtigung ua auch auf die Geltendmachung von zur Verlassenschaft gehörigen Rechten beziehe. Neben der Führung von Zivilprozessen soll auch die Durchführung einer Arbeitnehmerveranlagung abgedeckt sein, weil es keine Rechtfertigung für eine unterschiedliche Behandlung gebe (Berger, Steuerguthaben und Arbeitnehmerveranlagung im Verlassenschaftsverfahren, iFamZ 2021, 173 [175]). Hingegen verwiesen kritische Stimmen darauf, dass ein Übergang der sich aus den Abgabenvorschriften ergebenden Rechte und Pflichten nach § 19 BAO nur im Fall der Gesamtrechtsnachfolge eintrete und das Verlassenschaftsgericht aufgrund von § 116 Abs 2 BAO keine gesetzliche Berechtigung habe, eine Ermächtigung zur Durchführung einer Arbeitnehmerveranlagung zu erteilen (Kuhalnek, Die Abgabengutschrift im Verfahren über die Überlassung an Zahlung statt, NZ 2020, 241 [248 f]; Steffl, Abgabenverfahren, Verlassenschaftsverfahren und Sozialhilfe, AVR 2020, 24 [26 f]). Das BFG hatte in der jüngeren Vergangenheit mehrere Fälle zur Vertretungsbefugnis eines SHV aufgrund eines Beschlusses nach § 153 Abs 2 AußStrG zu entscheiden und kam dabei zu unterschiedlichen Lösungen. Während das BFG im Ausgangsfall eine Antragstellung durch einen im Namen der Verlassenschaft handelnden und ermächtigten SHV bejahte, kam das BFG in einem ähnlich gelagerten Fall zum Ergebnis, dass die Abgabenbehörde nicht an einen Beschluss nach § 153 Abs 2 AußStrG gebunden ist (BFG 3. 5. 2022, RV/5100009/2022; Revision anhängig zu Ro 2022/15/0033). Der VwGH erkannte, dass ein Ermächtigungsbeschluss des Verlassenschaftsgerichts nicht zur Vertretung der Verlassenschaft im Abgabenverfahren legitimiert. Wenn in zukünftigen Fällen eine Antragstellung auf Durchführung einer Arbeitnehmerveranlagung durch einen nach § 153 Abs 2 AußStrG Ermächtigten nicht mehr möglich ist, wird zumeist ein Verlassenschaftskurator bestellt werden müssen, wenn kein Erbenmachthaber bestimmt wird oder kein über den Tod hinaus bevollmächtigter Parteienvertreter bestellt wurde. Diese Lösung ist allerdings mit einer Verkomplizierung des Verfahrens und Unsicherheiten bezüglich der Haftung und des Gebührenanspruchs des Kurators verbunden (siehe dazu im Detail Berger, iFamZ 2021, 173 [176 f]).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 33644 vom 08.02.2023