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EMRK: Art 6
GRC: Art 47
Abstract
Im vorliegenden Erkenntnis hat der VwGH entschieden, dass der Rechtsanspruch auf eine mündliche Verhandlung unter Vorbehalt einer Relevanzdarlegung auch im fortgesetzten Verfahren gilt, wenn im ersten Rechtsgang bereits eine mündliche Verhandlung durchgeführt wurde. Mit der Entscheidung erklärt der VwGH seine Rsp zum Grundsatz der mündlichen Verhandlung in Verwaltungsstrafsachen nach dem VwGVG uneingeschränkt auch auf das Abgabenverfahren nach der BAO für anwendbar. Die Auflebung des Verhandlungsantrags und das Erfordernis einer Relevanzdarlegung im zweiten Verfahrensgang auch im Anwendungsbereich von Art 6 EMRK und Art 47 GRC stellen Neuerungen in der VwGH-Rsp zur mündlichen Verhandlung in der BAO dar.
VwGH 5. 9. 2024, Ra 2022/16/0083
Sachverhalt
Die Revisionswerberin (Rw) im nunmehr anhängigen Verfahren war bereits Beschwerdeführerin (Bf) im ersten Rechtsgang, der die Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer (EUSt) gem § 6 Abs 3 UStG zum Inhalt hatte. In diesem vorangegangenen Verfahren versagte das BFG nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Steuerbefreiung. Diese Entscheidung wurde jedoch vom VwGH mit Erkenntnis vom 26. 3. 2019, Ra 2016/16/0061, mangels ausreichender Begründung aufgehoben. Im fortgesetzten Verfahren wies das BFG am 22. 7. 2020 die Beschwerde erneut ab und stützte sich dabei auf die im Vergleich zum ersten Rechtsgang neue Feststellung, dass die Empfänger und gleichzeitig Verbringer der Waren bereits im Zeitpunkt der Einfuhr gewusst hätten, dass sie die Befreiung von der EUSt zu Unrecht in Anspruch nehmen würden. In der Revision bringt die Rw ua vor, dass das BFG diese Folgeentscheidung ohne zusätzliche Beweisaufnahme oder Gewährung des rechtlichen Gehörs, bspw durch die Abhaltung einer weiteren mündlichen Verhandlung, getroffen habe.
Entscheidung des VwGH
Zunächst legt der VwGH seine Rsp in Verwaltungsstrafsachen dar, wonach der Grundsatz der mündlichen Verhandlung auch im zweiten Rechtsgang nach Aufhebung eines Erkenntnisses durch das Verwaltungsgericht gilt. Selbst wenn im ersten Rechtsgang bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, darf das VwG im zweiten Rechtsgang nur dann auf eine solche verzichten, wenn die Voraussetzungen des § 44 VwGVG erfüllt sind (vgl VwGH 29. 3. 2023, Ra 2020/17/0087; 29. 9. 2020, Ra 2020/17/0074, mwN). Diese Rsp zum VwGVG ist auch auf das Rechtsschutzverfahren in Abgabensachen nach der BAO anzuwenden. Mit Ausnahme der in § 274 Abs 3 BAO genannten Fälle ist demnach bei rechtzeitigem Antrag der Partei eine mündliche Verhandlung durchzuführen (vgl zB VwGH 17. 1. 2023, Ra 2021/13/0014). Anders als das VwGVG mit § 24 Abs 4 und § 44 Abs 4 leg cit für Verwaltungsstrafsachen kennt die BAO keine Möglichkeit, von einer mündlichen Verhandlung trotz Parteiantrags abzusehen (vgl VwGH 9. 2. 2022, Ra 2021/13/0137, mwN). Der Rechtsanspruch auf eine mündliche Verhandlung bleibt demnach auch im zweiten Rechtsgang nach Aufhebung einer Entscheidung durch den VwGH bestehen.
Wurde im ersten Rechtsgang bereits eine mündliche Verhandlung durchgeführt, ist für die Geltendmachung eines Verstoßes gegen die Verpflichtung zur Abhaltung einer weiteren Verhandlung jedoch eine Darlegung der Relevanz erforderlich. Dies gilt auch im Anwendungsbereich von Art 6 EMRK sowie Art 47 GRC (vgl etwa VwGH 29. 8. 2024, Ra 2022/16/0072; 30. 6. 2023, Ra 2022/14/0330 bis 0333; 19. 12. 2022, Ra 2022/12/0171). Die Relevanzdarlegung kann im Einzelfall gerade dann gelingen, wenn das Erkenntnis des ersten Rechtsgangs wegen Feststellungsmängeln aufgehoben wurde und sich daher ein weiterer Ermittlungs- und Erörterungsbedarf ergibt (vgl VwGH 17. 3. 2021, Ra 2020/15/0113, unter Verweis auf Sutter, Die Kontrolldichte des Bundesfinanzgerichts, in Holoubek/Lang[Hrsg], Grundfragen der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit [2017] 225 [249 ff]. Da das BFG im fortgesetzten Verfahren Sachverhaltsfeststellungen getroffen hat, die im Vergleich zu den Feststellungen des ersten Rechtsgangs auf einer abweichenden Würdigung der bereits vorgelegten Beweise beruhen, hätte das Erkenntnis angesichts der im ersten Rechtsgang beantragten mündlichen Verhandlung erst nach Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung erfolgen dürfen. Das rechtliche Gehör wurde somit nicht gewahrt. Das angefochtene Erkenntnis war daher aufzuheben.
Conclusio
Durch das vorliegende Erkenntnis ergeben sich im Wesentlichen zweierlei Neuigkeiten in der Rsp des VwGH zum Grundsatz der mündlichen Verhandlung in der BAO.
Zum einen hält der VwGH diesbezüglich seine Rsp zum Verwaltungsstrafverfahren nach dem VwGVG auf das Abgabenverfahren für uneingeschränkt anwendbar. Zuvor war Rechtsprechungslinie des VwGH, dass das Verfahren nach Aufhebung der BFG-Entscheidung in die Lage zurücktritt, in der es sich vor Erlassung der aufgehobenen Entscheidung befunden hatte. Wenn im ersten Verfahren bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hatte, ist daher der Verhandlungsantrag nach § 274 Abs 1 BAO auch nach Aufhebung der Entscheidung erfüllt geblieben. Wenn das BFG im Folgeverfahren dem Parteigehör anders Rechnung getragen hat, hatte der VwGH dies bisher für ausreichend befunden, wobei im Einzelfall die Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung angezeigt sein konnte (vgl VwGH 17. 3. 2021, Ra 2020/15/0113). Eine uneingeschränkte, nur durch die Relevanzdarlegung eingehegte Pflicht zur mündlichen Verhandlung war in der bisherigen Rsp demnach nicht angelegt. Die mündliche Verhandlung im zweiten Rechtsgang sieht der VwGH wohl nur als weitere Tagsatzung – und somit als Fortsetzung – der ersten Verhandlung (vgl VwGH 5. 9. 2024, Ra 2022/16/0083 Rn 47 mwN). Der Antrag auf eine mündliche Verhandlung lebt daher im fortgesetzten Verfahren wieder auf (vgl Zorn, VwGH: Neue Rechtsprechung zur mündlichen Verhandlung vor dem BFG, RdW 2024, 862 [862]). Damit soll wohl dem Neuerungsverbot gem § 270 Abs 1 BAO entgegnet werden, demnach neue Tatsachen, Beweise und Anträge nur bis zur Schließung der mündlichen Verhandlung berücksichtigt werden dürfen.
Zweitens unterwirft der VwGH das Recht auf eine mündliche Verhandlung im zweiten Rechtsgang auch im Anwendungsbereich von Art 6 EMRK und Art 47 GRC (hier wegen der EUSt einschlägig) einer Relevanzdarlegung. Nach der bisherigen stRsp des VwGH galt ein Verstoß gegen den Grundsatz der mündlichen Verhandlung im Abgabenverfahren als absoluter Verfahrensfehler, wenn dadurch die Grundrechte der EMRK oder der GRC tangiert werden (vgl zuletzt VwGH 28. 3. 2024, Ra 2023/13/0145). Nunmehr ist das Unterlassen der mündlichen Verhandlung nach der BAO – sowie im Verwaltungsstrafverfahren – auch im Anwendungsbereich der EMRK und der GRC als schlichter Verfahrensfehler nicht schädlich, wenn die Unterlassung keine Relevanz für das Verfahren hatte (vgl dazu auch Zorn, RdW 2024, 862 [862 f]).