News

VwGH zum Verhältnis von Beschwerdeverfahren und Antrag nach § 295a BAO

Bearbeiter: Nicholas Pacher

BAO: § 295a Abs 1

ALSAG: § 3 Abs 1a Z 6

Abstract

Der VwGH hatte zu beurteilen, ob die nachträgliche Einholung einer Baubewilligung iSd § 3 Abs 1a Z 6 ALSAG anstatt im laufenden Beschwerdeverfahren per Antrag auf Abänderung der Beschwerdeerledigung nach § 295a BAO geltend gemacht werden kann. Dies sei bereits deshalb nicht zulässig, weil § 295a BAO erfordert, dass das zu berücksichtigende Ereignis nach Erlassung der abzuändernden Entscheidung eingetreten ist.

VwGH 1. 3. 2022, Ra 2021/13/0134 (vormals: BFG 5. 7. 2021, RV/2200027/2019)

Sachverhalt

Mit Bescheid vom 15. 4. 2016 setzte das Zollamt für eine im zweiten Kalendervierteljahr 2015 auf einem Grundstück der Revisionswerberin (Rw) vorgenommene Geländeanpassung einen Altlastenbeitrag fest, weil die Befreiung nach § 3 Abs 1a Z 6 ALSAG ua wegen Fehlens einer Baubewilligung für die Geländeanpassung nicht anwendbar sei. Dagegen erhob die Rw per 18. 5. 2016 Beschwerde und beantragte am 14. 3. 2017 eine entsprechende baurechtliche Bewilligung, die ihr per 20. 4. 2017 gewährt wurde. Ohne hiervon in Kenntnis gesetzt worden zu sein, wies das BFG die Beschwerde vom 18. 5. 2016 mit Erkenntnis vom 19. 10. 2017 als unbegründet ab. Anstatt im Beschwerdeverfahren auf die Baubewilligung hinzuweisen, beantragte die Rw mit Eingabe vom 17. 4. 2018 die Abänderung des Bescheids des Zollamts vom 15. 4. 2016, was vom Zollamt, dem BFG und dem VwGH scheinbar als Antrag auf Abänderung des diesen Bescheid ersetzenden BFG-Erkenntnisses vom 19. 10. 2017 verstanden und behandelt wurde (für Zwecke der folgenden Ausführungen sei daher unterstellt, dass sich der Antrag auf das BFG-Erkenntnis bezog, vgl jedoch zur fragwürdigen Zulässigkeit des Antrags Drolle/Gleiss/Lutz, VwGH zum zeitlichen Anwendungsbereich von § 295a BAO iZm dem ALSAG, ecolex 2022, in Druck).

Nach Abweisung des Antrags auf Abänderung der Gerichtsentscheidung durch das Zollamt und das BFG erhob der Beschwerdeführer eine außerordentliche Revision. Zur Zulässigkeit führte der Rw insb aus, dass das angefochtene Erkenntnis in Widerspruch zur Rsp des VwGH stünde. Den drei Judikaten des Gerichtshofs zu § 3 Abs 1 Z 2 ALSAG idF BGBl I 2003/71 (der Vorgängerbestimmung von § 3 Abs 1a Z 6 ALSAG) zufolge seien während des Rechtsmittelverfahrens über die Beitragspflicht ergangene Bewilligungen allenfalls über Antrag nach § 295a BAO zu berücksichtigen.

Entscheidung des VwGH

Der Gerichtshof lies die Revision zur Klarstellung der Rechtslage zu, wies sie aber letztlich als unbegründet ab. Die von der Rw im Verfahren gem § 295a BAO auf Abänderung des BFG-Erkenntnisses vom 19. 10. 2017 ins Treffen geführte Baubewilligung vom 20. 4. 2017 war bereits vor der Erlassung der Entscheidung erteilt worden. Deshalb scheide eine Anwendung des § 295a BAO im vorliegenden Fall von vornherein aus, ohne dass auf die materiellrechtliche Frage einzugehen wäre, ob eine nachträgliche Baubewilligung rückwirkend die Altlastenbeitragspflicht entfallen lassen könnte.

Zur von der Rw zitierten Judikatur nahm der VwGH wie folgt Stellung: „Soweit der Verwaltungsgerichtshof in seinen Erkenntnissen (jeweils) vom 23. Mai 2012, 2009/17/0086, 2009/17/0089 und 2010/17/0057, obiter ausgeführt hat, dass während des Rechtsmittelverfahrens über die Beitragspflicht nach dem ALSAG ergangene Bewilligungen allenfalls über Antrag nach § 295a BAO zu berücksichtigen seien, ist diese - zu § 3 Abs. 1 Z 2 ALSAG vertretene - Ansicht als überholt anzusehen“.

Conclusio

Das Ergebnis des VwGH überzeugt: Eine Abänderung nach § 295a BAO setzt voraus, dass ein rückwirkendes Ereignis nach Erlassung der abzuändernden Entscheidung eingetreten ist. Tritt es davor ein, ist es unmittelbar im Rahmen der Entscheidung zu berücksichtigen (vgl auch Ritz/Koran, BAO7 zu § 295a Rz 5). Das gilt sowohl für Erstbescheide als auch für meritorische Rechtsmittelentscheidungen, da es im Rechtsmittelverfahren gem § 270 BAO kein Neuerungsverbot gibt und folglich während des Verfahrens eintretende und offengelegte rückwirkende Ereignisse in der Beschwerdeerledigung Niederschlag zu finden haben (vgl Ritz/Koran, BAO7 zu § 295a Rz 31). Augenscheinlich hat der VwGH diese Ansicht nicht immer konsequent vertreten, wie sich aus den von der Rw zitierten Judikaten vom 23. 5. 2012 — 2009/17/0086, 2009/17/0089 und 2010/17/0057 — ergibt. Denn während der VwGH in diesen Fällen im Wege eines obiter dictum die Eignung einer im Zuge des Rechtsmittelverfahrens erlangten Baubewilligung für Zwecke des § 3 Abs 1 Z 2 ALSAG als rückwirkendes Ereignis bejahte, erachtete er die Berücksichtigung dieses vermeintlichen rückwirkenden Ereignisses in der Beschwerdeerledigung nicht als zulässig. Stattdessen schien eine nachträgliche Geltendmachung der Befreiung gem § 3 Abs 1 Z 2 ALSAG nur über ein gesondert vom Beschwerdeverfahren zu führendes Abänderungsverfahren nach § 295a BAO möglich zu sein. Mit dieser wenig überzeugenden Rechtsansicht hat der VwGH im vorliegenden Erkenntnis offensichtlich endgültig gebrochen. Für den gegebenen Fall bedeutet das, dass die Rw das vermeintliche rückwirkende Ereignis im offenen Beschwerdeverfahren — und nicht in einem gesonderten Verfahren nach § 295a BAO — geltend machen hätte sollen. Wenn sie ihrer Verständigungspflicht nach § 265 Abs 6 BAO nachgekommen wäre (vgl dazu bereits Fiala, AVR 2022, 81), hätte sich das BFG mit der materiellrechtlichen Beachtlichkeit der nachträglichen Baubewilligung auseinandersetzen müssen. Ab Erlassung der Entscheidung des BFG konnte das vorher eingetretene, vermeintlich rückwirkende Ereignis im Hinblick auf das Erkenntnis schon deshalb kein rückwirkendes Ereignis iSd § 295a BAO sein, weil es nicht nach der Erlassung der Entscheidung eingetreten war.

Da die Anwendung des § 295a BAO also bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht in Betracht kam, konnte der VwGH es unterlassen, zur materiellrechtlichen Eignung der nachträglichen Baubewilligung als rückwirkendes Ereignis iSd § 295a BAO Stellung zu beziehen. Dazu hätte der Gerichtshof prüfen müssen, ob eine nach Entstehen der Beitragsschuld erlassene Baubewilligung den Tatbestand des § 3 Abs 1a Z 6 ALSAG rückwirkend erfüllen kann. Die Rsp des VwGH zu deren Vorgängerbestimmung § 3 Abs 1 Z 2 ALSAG liefert in dieser Hinsicht ein widersprüchliches Bild. In wohl als überholt anzusehenden obiter dicta vertrat der VwGH nämlich einerseits, „dass die nachfolgende Baubewilligung die nach der Abgabenschuldentstehung gesetzten Baumaßnahmen konstitutiv bewilligt und damit die entstandene Abgabenschuld an ihrer Wurzel berührt. Da der Ausnahmetatbestand des § 3 Abs. 1 Z 2 zweiter Halbsatz ALSAG keine zeitlichen Beschränkungen hinsichtlich der Bedeutsamkeit rechtskonformer übergeordneter Baumaßnahmen enthält und von seiner Regelungszielsetzung erkennbar baurechtlich zulässige Baumaßnahmen abgabenrechtlich privilegieren möchte, ermöglicht er auch die Geltendmachung nachfolgender Baubewilligungen im Wege des § 295a BAO“ (VwGH 23. 5. 2012, 2009/17/0086). Andererseits urteilte der Gerichtshof, dass „nach der hg. Judikatur […] die Verwirklichung des in § 3 Abs. 1 Z. 2 ALSAG normierten Ausnahmetatbestandes (u.a.) zur Voraussetzung [hat], dass alle erforderlichen Bewilligungen (nach dem WRG 1959, dem AWG oder anderen Materiengesetzen) sowohl für die Vornahme der Verfüllung oder Geländeanpassung als auch für die übergeordnete Baumaßnahme im Sinn dieser Bestimmung in dem für das Entstehen der Beitragsschuld maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt (vgl. § 7 Abs. 1 ALSAG) vorgelegen sind“ (VwGH 25. 6. 2009, 2006/07/0105). Da sich die in den Judikaten maßgeblichen Fassungen des § 3 Abs 1 Z 2 ALSAG nicht unterscheiden, widersprechen sich die Aussagen des Gerichtshofs: Die Befreiungsbestimmung kann nicht zum einen voraussetzen, dass sämtliche tatbestandlich erforderlichen Baubewilligungen bereits im Zeitpunkt des Entstehens des Abgabenanspruchs vorliegen, und zum anderen zulassen, dass sie erst danach eingeholt werden. Welche der beiden Rechtsansichten letztlich maßgebend ist, soll an dieser Stelle dahingestellt bleiben (siehe für einen möglichen Lösungsansatz BFG 5. 7. 2021, RV/2200027/2019). Jedenfalls käme eine nachträglich erlassene Baubewilligung nur in letzterem Fall als rückwirkendes Ereignis in Betracht, weil sie ansonsten gerade keine „abgabenrechtliche Wirkung für die Vergangenheit auf den Bestand oder Umfang eines Abgabenanspruches“ hätte.

Im Hinblick auf § 3 Abs 1a Z 6 ALSAG existiert keine ähnlich widersprüchliche Judikatur. So vertritt der VwGH nur, dass „nach der hg. Judikatur […] die Verwirklichung der in § 3 Abs. 1a Z. 4 bis 6 iVm Abs. 1 Z. 1 lit. c AlSAG normierten Ausnahmetatbestände (u.a.) zur Voraussetzung [hat], dass alle erforderlichen Bewilligungen (nach dem WRG 1959, dem AWG 2002 oder anderen Materiengesetzen) für die Vornahme der Verfüllung oder der Geländeanpassung im Sinn dieser Bestimmung in dem für das Entstehen der Beitragsschuld maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt (vgl. § 7 Abs. 1 AlSAG) vorgelegen sind (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 25. Juni 2009, Zl. 2006/07/0105, mwN, zum damals in Geltung stehenden § 3 Abs. 1 Z. 2 AlSAG)“ (VwGH 20. 2. 2014, 2013/07/0117). Daraus lässt sich schließen, dass eine nach Entstehen der Beitragsschuld erlassene Baubewilligung den Tatbestand des § 3 Abs 1a Z 6 ALSAG nicht rückwirkend erfüllen und insoweit kein rückwirkendes Ereignis iSd § 295a BAO sein kann. Konsequenterweise wäre im gegebenen Fall eine Abänderung der Entscheidung des BFG nach § 295a BAO selbst dann unzulässig gewesen, wenn die Bewilligung nach der Erlassung des Erkenntnisses — und damit für Zwecke des § 3 Abs 1a Z 6 ALSAG zu spät — eingeholt worden wäre.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 32812 vom 19.07.2022