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UStG 1994: § 3 Abs 9, Art 3 Abs 3 (idF BGBl I 2012/112)
Abstract
Der VwGH hatte im vorliegenden Fall zu entscheiden, ob die Versandhandelsregelung des Art 3 Abs 3 UStG auch dann anzuwenden ist, wenn der Lieferer der Ware aus einem Drittland über ein in einem anderen Mitgliedstaat ansässiges Unternehmen nach Österreich versandt hat und dabei vom Einfuhrmitgliedstaat weder als Einfuhrumsatzsteuer- noch als Zollschuldner anerkannt wurde. Die Rechtsansicht der Revisionswerberin (Rw) war, dass aufgrund zollrechtlicher Bestimmungen der Abnehmer umsatzsteuerpflichtig sei. Daher richte sich die Einfuhrumsatzsteuer (EUSt) nach dem Einfuhrmitgliedstaat. Nach Ansicht des VwGH geht Art 3 Abs 3 UStG der Regelung in § 3 Abs 9 UStG vor. Daran ändert sich nach dem Zweck der Bestimmung auch nichts, wenn das Unternehmen im anderen Mitgliedstaat nicht als Schuldner der EUSt und anderer zollrechtlicher Abgaben anerkannt wurde. Die EUSt richtet sich somit nach dem Land, in dem die Warenbewegung endet. Die Regelungen der EUSt stellt nicht auf den Schuldner ab, sondern auf den Importeur der Ware.
VwGH 26. 6. 2024, Ro 2022/15/0002
Sachverhalt
Die Revisionswerberin (Rw) ist eine Limited Liability Company (Ltd) mit Sitz auf Jersey. Diese Gesellschaft ist Teil eines Augenoptikkonzerns, die den Vertrieb von Kontaktlinsen und Pflegeprodukten in Deutschland (D) und Österreich (Ö) abwickelt. Sie beliefert Abnehmer ua auf Basis von Abo-Verträgen, die in den Filialen der österreichischen Schwestergesellschaft abgeschlossen werden. Die österreichische Gesellschaft dient dabei nur als Vermittlerin. In den allgemeinen Verkaufsbedingungen wird festgehalten, dass die Rw im Namen des Abnehmers die Ware einführt und bevollmächtigt wird, die erforderlichen Erklärungen abzugeben. Die Steuern und Abgaben werden wirtschaftlich von der Rw übernommen. Die Rw bezieht die Waren zunächst von Herstellern aus D und lagert diese in einem Logistikzentrum in Jersey. Aus Jersey werden die Produkte über die Jersey Post an ein niederländisches Logistikunternehmen versendet. In den Niederlanden übernimmt das Logistikunternehmen die Pakete und führt die Waren im Namen der Abnehmer in die EU zum freien Verkehr ein. Von dort werden die Waren an die Abnehmer in Ö weitergeliefert.
Auf Basis einer Außenprüfung bei der Rw wurde in den USt-Bescheiden 2010–2014 festgestellt, dass die Abo-Verkäufe in Ö zu versteuern sind. Es handle sich um Lieferungen, deren Lieferort gem Art 3 Abs 3 letzter Satz UStG (Versandhandelsregelung) in Ö ist. Nach abgewiesener Beschwerde vor dem BFG legte die Rw ordentliche Revision ein.
Entscheidung des VwGH
Im Revisionsfall ist strittig, wer der Umsatzsteuerschuldner ist und in welchem Land die Umsatzsteuer zu entrichten ist.
Im Anwendungsbereich der Versandhandelsregelung des Art 33 MwStSystRL, die mit Art 3 Abs 3 UStG umgesetzt wurde, gilt die Lieferung als dort ausgeführt, wo die Beförderung der Ware endet. Wenn die Ware aus einem Drittland eingeführt wird und die Ware in einen anderen Mitgliedstaat weitergeliefert wird, gilt die Lieferung als vom Einfuhrstaat aus gestartet (Art 33 Abs 2 MwStSystRL). Der Ort der Lieferung bestimmt sich für die darauffolgende Lieferung nach dem Bestimmungslandprinzip. Zweck dieser Bestimmung ist sicherzustellen, dass die Ware mit der MwSt des Bestimmungslandes besteuert wird, und somit einen unversteuerten Konsum zu verhindern.
Hingegen würde die allgemeine Regel des Art 32 MwStSystRL, die mit § 3 Abs 9 UStG umgesetzt wurde, bestimmen, dass der Ort der Lieferung dort ist, wo die Beförderung der Ware beginnt. Hingegen würde die Lieferung gem § 3 Abs 9 UStG als im Einfuhrmitgliedstaat ausgeführt gelten, wenn die Ware aus einem Drittstaat eingeführt wird (vgl Art 32 Satz 2 MwStSystRL). Steuerschuldner ist dabei der Importeur, der als Schuldner bestimmt oder anerkannt wurde (vgl Art 201 MwStSystRL).
Die Rw führte aus, dass die Einfuhr der Ware sich nach der allgemeinen Regel des Art 32 MwStSystRL richte und dem Abnehmer zuzurechnen sei, da die Zollanmeldung im Namen des Abnehmers erfolgt ist. Dies sei auch von der niederländischen Zollverwaltung anerkannt worden. Die Zollanmeldung sei ausschlaggebend, weil gem § 26 UStG die Rechtsvorschriften des Zollrechts sinngemäß auf das Einfuhrumsatzsteuerrecht anzuwenden sind, soweit nichts anderes bestimmt ist. Daher lägen die Voraussetzungen der Versandhandelsregelung nicht vor.
Der VwGH stellte zunächst klar, dass Art 33 Abs 2 MwStSystRL Art 32 Abs 2 MwStSystRL als lex specialis vorgeht. Zudem führte er aus, dass die Vorschriften des Zollrechts nicht – wie von der Rw behauptet – auf die Definition von „Einfuhr“ anwendbar sind. Der Begriff „Einfuhr“ ist im § 1 Abs 1 Z 3 UStG als Bewegung von Waren aus Drittländern in das Inland definiert (vgl Ruppe/Achatz Umsatzsteuergesetz6 § 1 Rz 442). Auch Art 30 MwStSystRL definiert „Einfuhr“ als Verbringung eines Gegenstandes mit Ursprung aus einem Drittgebiet, der sich nicht im freien Verkehr iSd Art 29 AEUV befindet. Bei der EUSt wird nicht auf den formalen Schuldner abgestellt, sondern wer die Waren einführt. Da die Einfuhr vollständig im Einflussbereich der Rw lag, ist von einem dem Lieferer zurechenbaren Sachverhalt iSd Art 3 Abs 3 letzter Satz UStG auszugehen. Eine Einfuhr in Vertretung des Abnehmers ist jedenfalls ausgeschlossen, weil sie nicht auf seine Rechnung erfolgt ist (mVa BFH 29. 1. 2015, V R 5/14).
Conclusio
Der österreichische Gesetzgeber hat den Art 33 Abs 2 MwStSystRL in Art 3 Abs 3 UStG und den Art 32 Abs 2 MwStSystRL in § 3 Abs 9 UStG umgesetzt. Lieferungen eines Importeurs waren nur dann im Bestimmungsland steuerpflichtig, wenn weitere Voraussetzungen vorlagen (zB umsatzsteuerpflichtiger Unternehmer, der die Steuern und Abgaben übernimmt, vgl Ruppe/Achatz, Umsatzsteuergesetz6 § 3 Rz 174) oder wenn die Ware in einem anderen EU-Land importiert und dann weitergeliefert wurde (vgl Art 3 Abs 3 UStG). Seit dem 1. 7. 2021 werden diese Einfuhr-Versandhandelsfälle ausdrücklich im § 3 Abs 8a UStG geregelt. Nun ist der Einfuhr-Versandhandel im Bestimmungsland zu versteuern, wenn die Lieferung an einen Abnehmer iSd Art 3 Abs 4 UStG geht (Ruppe/Achatz, Umsatzsteuergesetz6 § 3 Rz 174). Nach Ansicht der FinVw liegt der Lieferort am Ende der Warenbewegung (UStR 2000 Rz 451, Rz 3715 ff).
Der VwGH konnte von einer Vorlage nach Art 267 AEUV absehen, da ihm die Auslegung der beiden Richtlinienvorschriften eindeutig erschien (vgl EuGH 6. 10. 1982, 283/81, CILFIT, ECLI:EU:C:1982:335, Rz 5). Diesem Erkenntnis ist aber jedenfalls in materieller Hinsicht zu folgen, weil die Formulierung des Art 33 Abs 1 MwStSystRL („[a]bweichend von Artikel 32“) in Verbindung mit der zusätzlichen Voraussetzung des Abs 2 leg cit („in einem anderen Mitgliedsstaat als den der Beendigung“) nahelegt, dass es sich hier um eine lex specialis handelt. Daher handelt es sich um die Lösung einer offenkundigen Rechtsfrage, sohin bedurfte es keinem Vorabentscheidungsverfahren (vgl EuGH 6. 10. 2021, C-561/19, Consorzio Italian Management und Catania Multiservizi, ECLI:EU:C:2021:799).