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VwGH zur absoluten Verjährungsfrist einer endgültigen Abgabenfestsetzung

Bearbeiter: Nicholas Pacher

BAO: § 209 Abs 4

Abstract

Der VwGH hatte zu beurteilen, ob für die Ersetzung einer vorläufigen durch eine endgültige Abgabenfestsetzung nur dann die verlängerte absolute Verjährungsfrist maßgeblich ist, wenn der Verfahrenstitel des § 200 Abs 2 BAO zur Anwendung gelangt. Der Gerichtshof kam zum Schluss, dass die fünfzehnjährige Verjährungsfrist auch dann greift, wenn die endgültige Abgabenfestsetzung mittels anderer Verfahrenstitel, wie etwa einer Wiederaufnahme, erfolgt.

VwGH 21. 10. 2020, Ra 2019/15/0153-6 (vormals BFG 3. 10. 2019, RV/5101047/2018)

Sachverhalt und Verfahrensgang

Der Steuerpflichtige hatte im streitgegenständlichen Jahr 2007 betriebliche Einkünfte aus Anteilen an mehreren Mitunternehmerschaften bezogen. Die Feststellungsbescheide für zwei Mitunternehmerschaften waren per 6. 5. 2009 und 23. 6. 2009 vorläufig erlassen worden. Per 2. 2. 2018 und 9. 1. 2018 nahmen die jeweils für das Feststellungsverfahren zuständigen Finanzämter die Verfahren gemäß § 303 BAO wieder auf und erließen endgültige Feststellungsbescheide. Daraufhin erfolgte per 13. 3. 2018 eine Änderung des Einkommensteuerbescheids 2007 gem § 295 BAO. Dagegen erhob der Steuerpflichtige Beschwerde, in der er geltend machte, dass die Einkommensteuer 2007 bereits verjährt sei.

Nach einer abweisenden Beschwerdevorentscheidung und einem Vorlageantrag des Mitunternehmers gab das BFG der Beschwerde Folge. Dabei verzichtete es auf die Prüfung des Eintritts der relativen Verjährung nach § 207 BAO. Begründend führte das Gericht aus, dass die Bescheidänderung gem § 295 BAO jedenfalls nach Ablauf der absoluten Festsetzungsverjährungsfrist betreffend die Einkommensteuer 2007 erfolgt sei. Zwar schlage die Vorläufigkeit der Feststellungsbescheide grundsätzlich auf das Einkommensteuerverfahren durch. Die verlängerte absolute Verjährungsfrist nach § 209 Abs 4 BAO würde aber nur dann zur Anwendung gelangen, wenn die vorläufigen Feststellungsbescheide nach § 200 Abs 2 BAO durch endgültige Feststellungsbescheide ersetzt worden wären. Da die vorläufigen Bescheide im gegebenen Fall nicht nach § 200 Abs 2, sondern nach § 303 BAO abgeändert worden sind, sei für das Einkommensteuerverfahren 2007 die absolute Verjährungsfrist nach § 209 Abs 3 BAO maßgeblich. Das Recht zur Festsetzung der Einkommensteuer 2007 sei somit mit 31. 12. 2017 absolut verjährt und die Erlassung des Abänderungsbescheides nach § 295 BAO per 13. 3. 2018 zu Unrecht erfolgt.

Entscheidung des VwGH

Der VwGH erachtete die eingebrachte außerordentliche Amtsrevision als zulässig und hob das Erkenntnis des BFG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts auf. Begründend führt der Gerichtshof aus, dass § 209 Abs 4 BAO keinen bestimmten Verfahrenstitel bestimme, mithilfe dessen der vorläufige Bescheid durch einen endgültigen ersetzt werden müsse, damit die verlängerte absolute Verjährungsfrist greifen kann. Vielmehr könne die endgültige Feststellung wie im gegebenen Sachverhalt auch mittels einer Wiederaufnahme nach § 303 BAO erfolgen. Einzige Voraussetzung für die Fristerstreckung des § 209 Abs 4 BAO sei das Vorliegen eines vorläufigen Bescheides iSd § 200 BAO. Ist dieser rechtskräftig ergangen, würde sogar der Mangel einer tatsächlichen Ungewissheit iSd § 200 Abs 1 BAO der Verlängerung der absoluten Verjährungsfrist nicht im Weg stehen.

Da im gegebenen Fall beide vorläufigen Feststellungsbescheide rechtskräftig geworden waren, hatte sich die absolute Verjährungsfrist für die Einkommensteuer 2007 bis zum 31. 12. 2022 verlängert. Dementsprechend war der Abänderungsbescheid nach § 295 BAO innerhalb der absoluten Verjährungsfrist erlassen worden und das BFG hätte sich auch mit dem Beginn und Ende der relativen Verjährungsfrist nach § 207 BAO auseinandersetzen müssen. Für die Beurteilung des Eintritts der Verjährung wären daher im Hinblick auf § 208 Abs 1 lit d BAO Feststellungen zur Existenz und zum Zeitpunkt der Beseitigung der Ungewissheiten iSd § 200 BAO sowie im Hinblick auf § 209 Abs 1 BAO zum Vorliegen allfälliger Verlängerungshandlungen erforderlich gewesen. Da das Gericht derartige Erwägungen in Verkennung der Rechtslage unterlassen hatte, war sein Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit behaftet.

Conclusio

Bei vorläufigen Bescheiden sollte kritisch hinterfragt werden, ob eine Ungewissheit iSd § 200 Abs 1 BAO tatsächlich vorliegt. Denn wird der Bescheid rechtskräftig, beginnt die Verjährungsfrist des § 207 BAO ungeachtet der Existenz einer Ungewissheit frühestens mit dem Ablauf des Jahres, in dem der vorläufige Bescheid erlassen wurde (vgl VwGH 27. 2. 2014, 2010/15/0073). Außerdem kann der Eintritt der Verjährung aufgrund der längeren absoluten Verjährungsfrist um bis zu fünf Jahre mehr als im Falle einer endgültigen Festsetzung hinausgezögert werden. Im gegebenen Fall ist allerdings mangels tatsächlicher Ungewissheiten und Verlängerungshandlungen anzunehmen, dass die relative Verjährung (trotz offener absoluter) zum Zeitpunkt der Bescheidänderung nach § 295 BAO bereits eingetreten ist.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 30196 vom 05.01.2021