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VwGH zur Aufhebung einer gewährten Nachsicht gem § 299 BAO

Bearbeiter: Michael Hubmann

BAO: §§ 236, 294, 299

Abstract

Der VwGH hatte zu entscheiden, ob ein Nachsichtsbescheid nach § 299 BAO auch ungeachtet der Voraussetzungen des § 294 BAO aufgehoben werden kann. Des Weiteren hatte er zu prüfen, ob es durch offene Kommunikation mit dem Finanzamt (FA) zu einer geschützten Vertrauenslage kommt, die das Vorliegen sachlicher Unbilligkeit bei späterer Meinungsänderung der Abgabenbehörde rechtfertigen könnte. Der VwGH schließt sich der Ansicht des BFG an und bestätigt die Möglichkeit zur Aufhebung nach § 299 BAO sowie das Fehlen von sachlicher Unbilligkeit.

VwGH 16. 4. 2024, Ro 2022/13/0017

Sachverhalt

Der Revisionswerber (Rw) wurde zunächst für die Jahre 2006 bis 2011 erklärungsgemäß veranlagt. Im Zuge einer Außenprüfung wurde festgestellt, dass die erklärten ausländischen Einkünfte falsch erfasst und veranlagt wurden. Daraufhin wurden die jeweiligen Einkommensteuerverfahren wiederaufgenommen und neue Sachbescheide erlassen, die in der Folge auch rechtskräftig wurden. Dabei wurden auch Anspruchszinsen festgesetzt. Der Rw stellte hierauf einen Nachsichtsantrag und behauptete das Vorliegen von sachlicher Unbilligkeit. Sein steuerlicher Vertreter habe in den betreffenden Jahren nämlich – aufgrund der Komplexität der Besteuerungssituation und weil die Anwendung internationalen Steuerrechts nicht zum Tagesgeschäft der steuerlichen Vertretung gehört habe – stets Rücksprache mit dem FA gehalten. Durch die offene Kommunikation über Jahre hinweg habe das FA eine Vertrauenslage geschaffen, weshalb sich kein Anlass ergeben habe, etwas an der Art und Weise der Deklaration der verfahrensgegenständlichen Einkünfte zu ändern. Es liege somit durch die Abänderung im Rahmen der Wiederaufnahme nach Ansicht des Rw ein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben vor, was sachliche Unbilligkeit iSd § 236 BAO begründet. Das FA gewährte zunächst die begehrte Nachsicht. Kurz vor Ablauf der Jahresfrist hob es den Nachsichtsbescheid aber gem § 299 BAO auf und erließ zugleich einen Abweisungsbescheid. Das BFG wies die hiergegen erhobene Beschwerde ab und führte aus, dass die behauptete Verletzung von Treu und Glauben (und damit auch eine sachliche Unbilligkeit) nicht vorliegt, weil das FA keine unrichtige Rechtsauskunft oder Handlungsanweisung erteilt hat. Nach Ansicht des BFG ist zudem eine Aufhebung des Nachsichtsbescheides nach § 299 BAO möglich, auch wenn die Voraussetzungen des § 294 BAO nicht erfüllt sind.

Entscheidung des VwGH

Zur Anwendung von § 299 BAO: Grundsätzlich ist gem § 294 Abs 1 BAO eine Änderung oder Zurücknahme eines Bescheides, der Begünstigungen, Berechtigungen oder die Befreiung von Pflichten betrifft, durch die Abgabenbehörde – soweit nicht Widerruf oder Bedingungen vorbehalten sind – nur zulässig, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse geändert haben, die für die Erlassung des Bescheides maßgebend gewesen sind, oder wenn das Vorhandensein dieser Verhältnisse aufgrund unrichtiger oder irreführender Angaben zu Unrecht angenommen worden ist. Gem § 294 Abs 2 BAO kann die Änderung oder Zurücknahme ohne Zustimmung der betroffenen Parteien mit rückwirkender Kraft nur ausgesprochen werden, wenn der Bescheid durch wissentlich unwahre Angaben oder durch eine strafbare Handlung herbeigeführt worden ist. Löschungs- oder Nachsichtsbescheide iSd §§ 235 und 236 BAO sind solche, die unter § 294 BAO fallen (vgl VwGH 28. 9. 2004, 2002/14/0035; 27. 6. 2001, 98/15/0165; 16. 2. 2000, 95/15/0054). Gem § 299 Abs 1 BAO kann die Abgabenbehörde auf Antrag der Partei oder von Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist. Für eine Aufhebung nach § 299 BAO ist somit – anders als bei § 294 BAO – nur die Unrichtigkeit des Spruchs entscheidend. Nach einhellig im Schrifttum vertretener Rechtsansicht können Begünstigungsbescheide, bei denen die Bestimmung des § 294 BAO grundsätzlich zur Anwendung gebracht werden kann, nicht nur aufgrund dieser Bestimmung geändert oder zurückgenommen werden, sondern – bei Vorliegen der jeweils gesondert geregelten Voraussetzungen – etwa auch nach §§ 293 bis 293b BAO berichtigt oder nach § 299 BAO aufgehoben werden. Ebenso kann das zugrunde liegende Verfahren nach § 303 BAO wiederaufgenommen werden (vgl Ritz/Koran, BAO7 § 294 Rz 5; Ellinger/Sutter/Urtz, BAO3 § 294 Anm 10; Stoll, BAO 2841). Dieser Rechtsansicht schließt sich der VwGH an (vgl auch VwGH 4. 12. 1967, 416/67). Die Auffassung des BFG, wonach auch unter § 294 BAO fallende Nachsichtsbescheide gem § 299 BAO aufgehoben werden können, erweist sich somit als zutreffend.

Zum Vorliegen sachlicher Unbilligkeit: Nach § 236 Abs 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falls unbillig wäre. Diese Bestimmung findet gem § 236 Abs 2 BAO auch auf bereits entrichtete Abgabenschuldigkeiten Anwendung. Sachliche Unbilligkeit liegt insbesondere vor, „soweit die Geltendmachung des Abgabenanspruches […] in Widerspruch zu nicht offensichtlich unrichtigen Rechtsauslegungen steht, die […] dem Abgabepflichtigen gegenüber von der für ihn zuständigen Abgabenbehörde geäußert […] wurden, wenn im Vertrauen auf die betreffende Äußerung […] für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhaltes bedeutsame Maßnahmen gesetzt wurden“(s § 3 der zu § 236 BAO ergangenen Verordnung, BGBl II 2005/435). Hierdurch wird aber nicht ganz allgemein das Vertrauen des Abgabepflichtigen auf die Rechtsbeständigkeit einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung in der Vergangenheit geschützt. Vielmehr müssten besondere Umstände vorliegen, die ein Abgehen von der bisherigen Auffassung durch die Abgabenbehörde unbillig erscheinen ließen, wie dies zB der Fall sein kann, wenn ein Abgabepflichtiger von der zuständigen Abgabenbehörde ausdrücklich zu einer bestimmten Vorgangsweise aufgefordert wurde und sich nachträglich die Unrichtigkeit dieser Vorgangsweise herausstellt. Der Rw hat aber keinen Nachweis darüber erbringen können, dass ihm die zuständige Abgabenbehörde ausgehend vom für eine derartige Beurteilung notwendigen, vollständig offengelegten Sachverhalt Auskünfte zur ertragsteuerlichen Behandlung der von ihm erzielten Einkünfte erteilt oder ihn ausdrücklich zu einer bestimmten Vorgangsweise aufgefordert hätte. Eine Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben liegt zudem schon deswegen nicht vor, weil der Rw keine für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhalts bedeutsamen Maßnahmen im Vertrauen auf (vorgeblich) getätigte Äußerungen der Abgabenbehörde gesetzt hat. Das BFG hat somit zu Recht das Vorliegen einer sachlichen Unbilligkeit verneint, die Unrichtigkeit des Spruchs des Nachsichtsbescheides angenommen und den Antrag auf Nachsicht (nach Aufhebung des Nachsichtsbescheides gem § 299 BAO) abgewiesen. Die Revision war daher als unbegründet abzuweisen.

Conclusio

Der VwGH bestätigt mit der vorliegenden Entscheidung, die – soweit ersichtlich – einhellig vertretene Literaturmeinung (s alle Nachweise in Rz 23 der E), wonach neben die Maßnahmen des § 294 BAO auch die anderen „sonstigen Maßnahmen“ der §§ 293 ff BAO hinzutreten (vgl auch VwGH 30. 10. 1964, 53/63). Dies wird auch vom Wortlaut des § 294 Abs 3 BAO gestützt, wonach die Bestimmungen der Abgabenvorschriften über die Änderung und den Widerruf von Begünstigungsbescheiden unberührt bleiben (vgl Tanzer/Unger in Rzeszut/Tanzer/Unger, Stoll-BAO² [2023] § 294 Rz 6). Könnten Begünstigungsbescheide ausschließlich nach § 294 BAO geändert oder zurückgenommen werden, wären bei zwar nicht wissentlich, aber zumindest fahrlässig gemachten unrichtigen Angaben der betroffenen Parteien Korrekturen nicht rückwirkend möglich. Schreib- oder Rechenfehler der Abgabenbehörde könnten mangels Anwendbarkeit des § 293 BAO überhaupt nicht (auch nicht pro futuro) berichtigt werden. Wie der VwGH hervorhebt, ist nicht anzunehmen, dass der (historische) Gesetzgeber ein derartiges Ergebnis beabsichtigt hat.

Auch in Bezug auf das Vorliegen von sachlicher Unbilligkeit ist der VwGH konsequent. Grundsätzlich wäre eine Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben bei enttäuschtem Vertrauen auf unrichtige Rechtsauskünfte der zuständigen Abgabenbehörde zwar denkbar (vgl VwGH 15. 9. 2016, Ra 2015/15/0076, mwN), jedoch handelt es sich im vorliegenden Fall nur um „Abstimmungen“ mit dem FA, deren genauer Inhalt nicht festgestellt ist.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 35992 vom 22.10.2024