Dieser Inhalt ist frei verfügbar. Mit einem Abonnement der ÖStZ erhalten Sie die Zeitschrift in Print und vollen digitalen Zugriff im Web, am Smartphone und Tablet. Mehr erfahren…
Testen Sie
ALLE 13 Zeitschriftenportale
30 Tage lang kostenlos.
Der Zugriff endet nach 30 Tagen automatisch.
Abstract
Strittig war vor dem VwGH, ob die vom Finanzamt erlassenen Wiederaufnahmebescheide den gesetzlichen Wiederaufnahmegrund ausreichend bezeichnen oder mangels Begründung rechtwidrig erlassen wurden. Die Wiederaufnahmebescheide stützten sich bloß auf § 303 Abs 1 BAO, ohne den konkreten Wiederaufnahmegrund nach § 303 Abs 1 lit a bis c BAO zu nennen. Außerdem verwiesen die Wiederaufnahmebescheide auf den Prüfungsbericht, der lediglich auf § 303 Abs 1 lit a bis c BAO Bezug nahm und in Textziffer 1 Prüfungsfeststellungen enthielt, wonach die nicht-betrieblichen Nutzung von Kraftfahrzeugen festgestellt wurde. Das BFG erachtete den pauschalen Verweis auf eine Textziffer des Prüfungsberichts und die darin enthaltenen Feststellungen als nicht ausreichend und hob die Wiederaufnahmebescheide mangels Bezeichnung des Wiederaufnahmegrundes ersatzlos auf. Demgegenüber sprach der VwGH aus, dass durch den Verweis auf einzelne Textziffern des Prüfungsberichts idR der Schluss gezogen werden kann, dass sich das Finanzamt auf den Neuerungstatbestand des § 303 Abs 1 lit b BAO stützt und die in den Textziffern getroffenen Prüfungsfeststellungen jenen Tatsachenkomplex bilden, der im Zuge der Außenprüfung neu hervorgekommen ist. Die BFG-Entscheidung war daher wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhalts aufzuheben.
VwGH 9. 7. 2024, Ra 2023/13/0142
Sachverhalt
Die Mitbeteiligte, eine GmbH, betreibt zwei Tankstellen. Mit Bescheiden vom 30. 8. 2017 für das Jahr 2016, 30. 9. 2018 für das Jahr 2017 und 5. 11. 2019 für das Jahr 2018 wurde die KöSt festgesetzt. Im Rahmen einer Außenprüfung im Oktober 2021 wurde festgestellt, dass auf die Mitbeteiligte vier Fahrzeuge angemeldet gewesen seien. Während für zwei Fahrzeuge keine betriebliche Veranlassung nachgewiesen werden konnte, konnten bei einem weiteren Fahrzeug die behaupteten betrieblichen und privaten Fahrten nicht verifiziert werden. Insgesamt seien daher drei Viertel der Kfz-Betriebskosten als verdeckte Gewinnausschüttungen auszuscheiden. Mit Wiederaufnahmebescheiden vom 16. 11. 2021 wurden die Verfahren für die Zeiträume 2016 bis 2018 wieder aufgenommen. In der Begründung der Wiederaufnahmebescheide wurde jeweils bloß § 303 Abs 1 BAO angeführt. Der konkrete Wiederaufnahmetatbestand (lit a bis c) wurde nicht genannt. Außerdem wurde in der Begründung auf den Prüfungsbericht verwiesen, der lediglich auf § 303 Abs 1 lit a bis c BAO Bezug nahm und in Textziffer 1 Feststellungen zur nicht-betrieblichen Nutzung von mehreren Kraftfahrzeugen enthielt. Mit weiteren Bescheiden vom 16. 11. 2021 wurde die KöSt für die Jahre 2016 bis 2018 neu festgesetzt. Die Mitbeteiligte erhob gegen diese Bescheide Beschwerde. Dabei machte sie geltend, dass die Bescheide keine eindeutige Begründung enthalten und daher von Nichtbescheiden auszugehen sei.
Das BFG gab der Beschwerde Folge und hob die Wiederaufnahmebescheide ersatzlos auf, weil weder in den Wiederaufnahmebescheiden noch im Betriebsprüfungsbericht explizit ein Wiederaufnahmegrund genannt wurde. Insbesondere könne die Abgabenbehörde ihre Begründungspflicht nicht durch einen pauschalen Verweis umgehen und sich somit offenhalten, welcher Wiederaufnahmetatbestand vorliegt. Gegen dieses Erkenntnis wurde ao Amtsrevision erhoben.
Entscheidung des VwGH
Nach § 303 Abs 1 BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, soweit ein Wiederaufnahmetatbestand iSd § 303 Abs 1 lit a („der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist“), lit b („Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind“) oder lit c („der Bescheid von Vorfragen [§ 116] abhängig war und nachträglich über die Vorfrage von der Verwaltungsbehörde bzw. dem Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden ist“) BAO vorliegt. Welcher gesetzliche Wiederaufnahmegrund als verwirklicht angesehen und daher für eine Wiederaufnahme herangezogen werden kann, bestimmt bei der Wiederaufnahme von Amts wegen gem § 305 BAO die zuständige Behörde.
Liegt der vom Finanzamt angenommene Wiederaufnahmegrund nicht vor oder hat das Finanzamt die Wiederaufnahme tatsächlich auf keinen Wiederaufnahmegrund gestützt, hat das BFG derartige angefochtene Wiederaufnahmebescheide ersatzlos aufzuheben (s dazu auch VwGH 26. 11. 2015, Ro 2014/15/0035; VWGH 19. 10. 2016, Ra 2014/15/0058 mwN). Für die Begründung des Wiederaufnahmebescheides kann das Finanzamt auch auf den Betriebsprüfungsbericht oder die Niederschrift verweisen (vgl VwGH 10. 3. 2016, 2013/15/0280; VwGH 11. 6. 2021, Ro 2020/13/0005; VwGH 22. 4. 2022, Ra 2020/13/0022 mwN). Ein in einem Betriebsprüfungsbericht gegebener Hinweis auf einzelne Textziffern lässt idR den Schluss zu, dass das Finanzamt die Wiederaufnahme auf den Neuerungstatbestand (nunmehr § 303 Abs 1 lit b BAO) stützt und die in diesen Textziffern getroffenen Prüfungsfeststellungen jenen Tatsachenkomplex bilden, der im Zuge der Betriebsprüfung neu hervorgekommen ist (vgl VwGH 4. 3. 2009, 2008/15/0327; VwGH 28. 2. 2012, 2008/15/0005).
Zwar verweisen die Wiederaufnahmebescheide im vorliegenden Fall nur pauschal auf § 303 Abs 1 BAO und auch der Prüfungsbericht nennt nur allgemein Wiederaufnahmetatbestände gem § 303 Abs 1 lit a bis c BAO. Zudem enthält der Prüfungsbericht in Textziffer 1 aber Prüfungsfeststellungen, wonach die nicht-betriebliche Nutzung von mehreren Kraftfahrzeugen festgestellt wurde. Es ist daher im vorliegenden Fall erkennbar, dass sich das Finanzamt durch die im Betriebsprüfungsbericht enthaltene Textziffer 1 auf den Neuerungstatbestand (§ 303 Abs 1 lit b BAO) stützt. Das BFG-Erkenntnis ist daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Conclusio
Der VwGH stützt sich im Wesentlichen auf seine bisherige Rsp, wonach "der in einem Betriebsprüfungsbericht gegebene Hinweis auf einzelne Textziffern im Zusammenhang mit der Wiederaufnahme der Verfahren gemäß § 303 Abs. 4 BAO [nunmehr § 303 Abs 1 BAO] im Regelfall den Schluss zulässt, dass das Finanzamt die Wiederaufnahme auf den Neuerungstatbestand gestützt hat und die in den einzelnen Textziffern getroffenen Prüfungsfeststellungen jenen Tatsachenkomplex bilden, der nach Ansicht des Finanzamtes im Zuge der Prüfung neu hervorgekommen ist" (vgl VwGH 4. 3. 2009, 2008/15/0327). Interessanterweise hatte auch das BFG in seiner Entscheidung diese Ausführungen des VwGH und die VwGH-Entscheidung vom 4. 3. 2009, 2008/15/0327 zitiert. Letztlich kam das BFG aber zum Ergebnis, dass Textziffer 1 des Prüfungsberichts, worin die nicht-betriebliche Nutzung von mehreren Kraftfahrzeugen festgestellt wurde, nicht zu entnehmen sei, welchen Tatsachenkomplex die Abgabenbehörde konkret als Wiederaufnahmegrund heranziehen wollte und welche Tatsachen hierbei „neu hervorgekommen“ und somit für eine Wiederaufnahme des Verfahrens geeignet sind. Für den VwGH ist durch diese Textziffer hingegen erkennbar, dass das Finanzamt den Neuerungstatbestand iSd § 303 Abs 1 lit b BAO heranzieht und wohl die nicht-betriebliche Nutzung von mehreren Kraftfahrzeugen als neu hervorgekommene Tatsache dient.
Im vorliegenden Fall sieht der VwGH die Begründungspflicht von Wiederaufnahmebescheiden „lockerer“ als das BFG. Es ist daher davon auszugehen, dass das Finanzamt seine Begründungspflicht von Wiederaufnahmebescheiden idR erfüllt, soweit im Wiederaufnahmebescheid auf den Prüfungsbericht verwiesen wird, in dem in den einzelnen Textziffern Prüfungsfeststellungen getroffen werden. Diesfalls ist wohl erkennbar, dass sich das Finanzamt auf den Neuerungstatbestand des § 303 Abs 1 lit b BAO stützt, soweit keine sonstigen Hinweise auf eine gerichtliche strafbare Tat, auf eine Erschleichungshandlung (§ 303 Abs 1 lit a BAO) oder auf das Vorliegen einer abweichenden Entscheidung über eine Vorfrage (§ 303 Abs 1 lit c BAO) im Prüfungsbericht enthalten sind.