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VwGH zur einheitlichen Leistung und zur bewegten Lieferung bei Reihengeschäften in der Umsatzsteuer

Bearbeiter: Kilian Posch

UStG 1994: § 3 Abs 7, 8 und 15

Abstract

Ein Unternehmen mit österreichischer UID-Nummer bezog Waren von einem Produzenten und verfrachtete diese wiederum an konzerneigene Vertriebsunternehmen weiter. Dort wurden sie schließlich an Endkunden weiterverkauft. Das BFG sah darin ein Reihengeschäft, weil die Endkunden vom ersten Produktionsschritt an schon feststanden und die Geschäfte entlang der Unternehmenskette als einzige Bewegung zu sehen seien. Zudem stellte es bei der Bestimmung der bewegten Lieferung innerhalb der Kette im Wesentlichen auf den Gefahrenübergang ab. Der VwGH spricht nun aus, dass weder das Feststehen des Endkunden das Vorliegen eines Reihengeschäfts nach sich zieht noch dass der Zeitpunkt des Gefahrenübergangs zur Bestimmung der bewegten Lieferung maßgeblich ist. Stattdessen ist nach damaliger Rechtslage auf den Übergang der Verfügungsgewalt abzustellen.

VwGH 19. 12. 2023, Ro 2022/15/0035

Sachverhalt

Die im vorliegenden Fall umsatzsteuerpflichtige Person und mitbeteiligte Partei ist eine AG, die mit österreichischer UID-Nummer auftritt. Endkunden in anderen EU-Mitgliedstaaten bestellten bei dort ansässigen, konzernzugehörigen Vertriebsgesellschaften Produkte, die über die AG besorgt wurden. Die AG ließ sich die bestellten Produkte sodann wiederum selbst von Produzenten aus anderen Mitgliedstaaten liefern. Dabei wurden die Waren von einer Spedition aus dem Mitgliedstaat, aus dem die AG die Waren bezogen hatte, nach Österreich gebracht, wo diese kurz gelagert, umetikettiert und an die Endkunden zugeordnet wurden, bevor sie in das Bestimmungsland gelangten. Zwischen der AG, den Vertriebsgesellschaften und den Endkunden war der Incoterm CIP („Carriage and Insurance Paid To“) im Gebrauch, wodurch der Gefahrenübergang auf den Käufer mit der Übergabe an den Frachtführer erfolgte. Die AG behandelte die beschriebenen Geschäfte umsatzsteuerlich unabhängig voneinander: Die Lieferung vom Produzenten nach Österreich an die AG versteuerte sie als ig Erwerb, während sie den Weiterverkauf von Österreich an die Vertriebsgesellschaften als steuerfreie ig Lieferung ansah. Das FA kam nach einer Außenprüfung jedoch zum Schluss, dass die verketteten Lieferungen als Reihengeschäft anzusehen seien, und setzte für die Streitjahre 2012 und 2013 nicht nur eine Versteuerung aufgrund eines ig Erwerbs fest, sondern einen zweiten fiktiven ig Erwerb als Sicherheitsbesteuerung nach Art 3 Abs 8 zweiter Satz UStG. Im darauffolgenden Beschwerdeverfahren bestätigte das BFG zwar die Rechtsansicht des FA, dass es sich um ein Reihengeschäft handle, hob die Bescheide jedoch mangels ausreichender Ermittlungen auf. Zudem sei – entgegen der Auffassung des FA – die Lieferung zwischen AG und Vertriebsgesellschaften die bewegte Lieferung in der Reihe, was für diese eine Besteuerung nach § 3 Abs 8 UStG zufolge habe und somit einen weiteren fiktiven ig Erwerb ausschließe. Der Incoterm CIP bewirke den Gefahrenübergang auf die Vertriebsgesellschaft noch in Österreich, weshalb die Lieferung von Österreich in das Bestimmungsland und nicht die Lieferung vom Ursprungsland nach Österreich als bewegte Lieferung zu sehen sei. Gegen diesen Beschluss des BFG richtete sich die Amtsrevision.

Entscheidung des VwGH

Ein Reihengeschäft liegt dann vor, wenn mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte abschließen und der erste Unternehmer dem letzten Abnehmer in der Reihe unmittelbar die Verfügungsmacht über den Gegenstand verschafft (Rechtslage vor dem Steuerreformgesetz 2020, BGBl I 2019/103, vgl VwGH 18. 12. 2013, 2009/13/0195). Der Lieferort richtet sich gem § 3 Abs 8 UStG nach dem Ort, an dem die Lieferung beginnt. Da auch bei Reihengeschäften gedanklich verschiedene Lieferungen vorliegen, muss auch der Ort der Lieferung jeweils eigens bestimmt werden. Allerdings kann die Bestimmung des § 3 Abs 8 UStG nur für einen Umsatz in der Reihe erfolgen, welcher als bewegte Lieferung – im Gegensatz zu der nach § 3 Abs 7 UStG verorteten „ruhenden Lieferung“ – bezeichnet wird. Bei einem Reihengeschäft mit einer Warenbewegung in einen anderen Mitgliedstaat kann zudem nur die bewegte Lieferung eine steuerfreie ig Lieferung sein. Im vorliegenden Fall stellte der VwGH allerdings fest, dass nach dem Sachverhalt nicht von einem Reihengeschäft auszugehen ist: Ein schon vor Beginn der ersten Lieferung feststehender Endkunde ist dafür noch nicht ausreichend. Zum Nachweis der geforderten unmittelbaren Verschaffung der Verfügungsmacht ist der zeitliche und sachliche Zusammenhang von der ersten Lieferung der Waren bis zur letzten Lieferung zum Endabnehmer erforderlich. Dieser Zusammenhang ist aufgrund der Rolle der AG bei der Umetikettierung und Zuweisung der Waren an die Endkunden jedoch zweifelhaft.

Selbst wenn ein Reihengeschäft vorläge, reicht der Gefahrenübergang durch den Incoterm CIP nicht für den Nachweis aus, dass die Abnehmer vor der ig Beförderung Verfügungsmacht über die Waren erlangt haben. Nur wenn die Verfügungsgewalt vor der ig Beförderung auf den Abnehmer übergegangen ist, kann die bewegte Lieferung nicht zwischen dem Produzenten und der AG (erste Lieferung), sondern zwischen der AG und der Vertriebsgesellschaft (zweite Lieferung) stattfinden (vgl EuGH 26. 7. 2017, C-386/16, Toridas, Rn 36; VwGH 5. 3. 2020, Ro 2018/15/0011 und Ro 2018/15/0004). Die bereits erwähnten Tätigkeiten der AG zeigen aber deren Einfluss auf die Ware, die erst im österreichischen Lager auf Endkunden individualisiert wurde. Diese Umstände hatte das BFG in Bezug auf die Feststellung der Verfügungsgewalt allerdings nicht ausreichend berücksichtigt, weshalb die angefochtene Entscheidung aufzuheben war.

Conclusio

Zusammenfassend war für den VwGH in Bezug auf das Vorliegen eines Reihengeschäfts unklar geblieben, ob die Voraussetzung der Unmittelbarkeit der Beförderung vom ersten Lieferer bis zum letzten Erwerber erfüllt war. Nach damaliger Rechtslage war dafür insb auf die direkte Verschaffung der Verfügungsmacht abzustellen. Im Jahr 2019 wurde jedoch eine Sonderbestimmung für Reihengeschäfte geschaffen (siehe Art 36a MwStSystRL, umgesetzt durch § 3 Abs 15 UStG, eingeführt mit BGBl I 2019/103), seitdem ist die unmittelbare Versendung oder Beförderung vom ersten Lieferer bis zum letzten Abnehmer für das Vorliegen eines Reihengeschäfts maßgeblich (§ 3 Abs 15 Z 5 UStG). Für Zorn könnte nach jetziger Rechtslage im vorliegenden Fall von einem Reihengeschäft auszugehen sein, da der Transport von der AG durch einen einheitlichen Vertrag vom Produzenten bis zum Endabnehmer einheitlich organisiert wurde und die AG auch für alle Transportkosten aufkam (siehe Zorn, VwGH zur einheitlichen Beförderung beim Reihengeschäft in der USt, RdW 2024, 132 [134]).

Das BFG zitierte bei der Bestimmung der bewegten Lieferung nach dem Zeitpunkt des Gefahrenübergangs die Ansicht der GA Kokott (EuGH 3. 10. 2019, C‑401/18, Herbst), die allerdings der EuGH (EuGH 23. 4. 2020, C‑401/18, Herbst) nicht übernahm. Statt der Verfügungsgewalt ist aber auch hier nach heutiger Rechtslage auf die Transportverantwortlichkeit abzustellen. Grundsätzlich führt jener Unternehmer die bewegte Lieferung aus, der die Ware selbst befördert oder auf seine Rechnung befördern lässt (vgl § 3 Abs 15 Z 1 UStG, siehe auch Zorn, RdW 2024, 132 [134] mwN).

Wird die erste Lieferung als die bewegte in der Reihe behandelt, so würde dies im vorliegenden Fall bedeuten, dass zwischen dem Produzenten und der AG ein Reverse Charge zur Anwendung käme und die Steuerschuld somit auf die AG überginge. Der Ort der ruhenden Lieferung ist vom Ort der bewegten Lieferung abhängig und befindet sich deshalb entweder im Mitgliedstaat des Beginns oder der Ankunft der Beförderung, je nachdem, ob die bewegte Lieferung der ruhenden vor- oder nachgestellt ist (vgl EuGH 6. 4. 2006, C-245/04, EMAG Handel Eder, Rn 51; VwGH 5. 3. 2020, Ro 2018/15/0011). Als zweite Lieferung wäre die ruhende Lieferung daher im vorliegenden Fall im Land der Vertriebsgesellschaft zu verorten. Die AG kann daher nicht gem Art 3 Abs 8 zweiter Satz UStG zu einer Sicherheitsbesteuerung verpflichtet werden, weil die Vertriebsgesellschaft nicht kraft ig Erwerbs, sondern aufgrund des Reihengeschäfts steuerpflichtig wäre.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 35283 vom 05.04.2024