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VwGH zur Entscheidungspflicht des BFG und Verjährung bei vorläufiger Abgabenfestsetzung

Bearbeiter: Michael Hubmann

BAO: §§ 208, 279

GrEStG 1987: § 8

Abstract

Der VwGH hatte über eine Amtsrevision gegen die Aufhebung eines Grunderwerbsteuerbescheids zu entscheiden. Strittig war, ob das BFG seine Entscheidungspflicht nach § 279 BAO dadurch verletzt hat, dass es den Grunderwerbsteuerbescheid ersatzlos aufhob, anstatt durch endgültige Festsetzung der Grunderwerbsteuer in der Sache selbst zu entscheiden. Darüber hinaus war offen, wann die Festsetzungsverjährungsfrist für den Grunderwerbsteueranspruch zu laufen begann. Der VwGH stellte nun fest, dass das BFG seiner Entscheidungspflicht nicht nachgekommen war und verwies zur Verjährungsfrage auf bestehende Rsp, wonach im vorliegenden Fall bereits Verjährung eingetreten ist.

VwGH 6. 11. 2023, Ra 2021/16/0085

Sachverhalt

Im Jahr 1990 wurde zwischen dem Mitbeteiligten und dessen Sohn ein Übergabsvertrag auf den Todesfall betreffend eine Liegenschaft abgeschlossen. Die Liegenschaft sollte demnach im Todesfall des Mitbeteiligten in das Alleineigentum von dessen Sohn übergehen. Das Finanzamt (FA) setzte die Grunderwerbsteuer in einem vorläufigen Bescheid fest. Im Jahr 2018 beantragte der Mitbeteiligte die Grunderwerbsteuer nunmehr endgültig mit null festzusetzen, weil der Übergabsvertrag durch die Vertragsparteien wieder aufgehoben wurde. Das FA wies diesen Antrag mit der Begründung ab, dass gem § 209 Abs 4 BAO das Recht, eine vorläufige Abgabenfestsetzung durch eine endgültige Festsetzung zu ersetzen, spätestens fünfzehn Jahre nach Entstehung des Abgabenanspruchs verjährt und somit im vorliegenden Fall nicht mehr möglich ist. Der Mitbeteiligte brachte in der dagegen erhobenen Beschwerde vor, dass die Verjährung erst mit Ablauf des Jahres, in dem die Ungewissheit beseitigt wird, zu laufen beginne. Somit sei noch keine Verjährung eingetreten, da die Ungewissheit erst mit der Aufhebung des Übergabsvertrags beseitigt wurde. Das BFG gab der Beschwerde nach abweisender BVE Folge und hob den Bescheid ersatzlos auf. Begründend führte es aus, dass die Steuerschuld nach § 8 Abs 2 GrEStG erst mit dem Bedingungseintritt, also dem Ableben des Übergebers, entsteht. Dieser Zeitpunkt ist somit auch maßgebend für den Beginn der Verjährung (s Hubmann, LexisNexis-Rechtsnews 31717 vom 18. 11. 2021). In der hiergegen erhobenen Amtsrevision wurde geltend gemacht, dass das BFG gegen seine Verpflichtung gem § 279 Abs 1 BAO in der Sache zu entscheiden verstoßen habe und hinsichtlich der Verjährungsfrage zudem Rsp des VwGH fehle.

Entscheidung des VwGH

Gem § 279 Abs 1 BAO hat das BFG außer in den – hier nicht einschlägigen – Fällen des § 278 immer in der Sache selbst zu entscheiden. Es ist dabei berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen. Nach der Rsp des VwGH ist das BFG auch berechtigt, einen vorläufigen Bescheid im Falle der Beseitigung der Ungewissheit iSd § 200 Abs 2 BAO für endgültig zu erklären (vgl VwGH 26. 2. 2020, Fr 2019/13/0005, mwN). Eine ersatzlose Aufhebung durch das BFG darf nur dann erfolgen, wenn in der Sache keine weitere Entscheidung in Betracht kommt (vgl VwGH 29. 4. 2019, Ra 2018/16/0055, mwN). Eine derartige ersatzlose Aufhebung des vom Mitbeteiligten angefochtenen Bescheids kommt hier jedoch nicht in Frage, weil der verfahrenseinleitende Antrag des Mitbeteiligten auf endgültige Festsetzung der Grunderwerbsteuer damit endgültig unerledigt bliebe (vgl VwGH 28. 2. 2012, 2010/15/0164). Ein neuerlicher Abspruch über den Antrag wäre nämlich aufgrund der Bindungswirkung der aufhebenden Entscheidung unzulässig (vgl VwGH 19. 5. 2021, Ra 2020/15/0065, mwN). Das angefochtene Erkenntnis erweist sich schon deshalb als inhaltlich rechtswidrig und war daher aufzuheben.

Für das fortgesetzte Verfahren wurde zudem darauf verwiesen, dass „im Falle eines zu Unrecht erlassenen vorläufigen Abgabenbescheides, der keine tatsächliche Ungewissheit im Sinne des § 200 BAO benennt (bzw. dem keine tatsächliche Ungewissheit zu Grunde liegt) und dennoch unbekämpft geblieben und in Rechtskraft erwachsen ist, die Verjährungsfrist gemäß § 208 Abs. 1 lit. d BAO mit dem Ablauf des Jahres, in dem der vorläufige Bescheid trotz fehlender Ungewissheit erlassen worden ist, beginnt“ (Verweis auf VwGH 24. 10. 2013, 2012/15/0018).

Conclusio

Der VwGH kommt zum Ergebnis, dass das BFG im vorliegenden Fall seine Entscheidungspflicht nach § 279 BAO verletzt hat. Eine ersatzlose Aufhebung käme nur in Betracht, wenn keine weitere Entscheidung in Betracht kommt; so zB wenn der angefochtene Bescheid von einer hierfür unzuständigen Behörde erlassen wurde (vgl Ritz/Koran, BAO7 [2021] § 279 Rz 5 ff mwN]. Ein Antrag des Steuerpflichtigen auf Endgültigerklärung oder auf endgültige Festsetzung der Abgabe unterliegt aber der Entscheidungspflicht (vgl Stoll, BAO [1994] 2112; VwGH 28. 2. 2012, 2010/15/0164). Wie der VwGH ausführt, würde der Antrag des Mitbeteiligten auf endgültige Festsetzung der Grunderwerbsteuer durch die ersatzlose Aufhebung ansonsten endgültig unerledigt bleiben. Das BFG hätte daher – unter der von ihm getroffenen Annahme, dass noch nicht Verjährung eingetreten ist – die Grunderwerbsteuer mit null festsetzen müssen. Dem steht aber – wie sich zeigt – die Verjährung entgegen.

Mit seinem Hinweis für das fortgesetzte Verfahren dürfte der VwGH aufzeigen wollen, dass im vorliegenden Verfahren bereits Festsetzungsverjährung eingetreten ist. Zudem scheint der Gerichtshof der Ansicht zu sein, dass der vorläufigen Festsetzung im Jahr 1990 keine tatsächliche Ungewissheit iSd § 200 BAO zugrunde lag (vgl Rz 15 des gegenständlichen Erk). Nach der Rsp des VwGH entsteht – wie auch bereits das BFG ausführte – die Grunderwerbsteuerschuld bei einer Übergabe auf den Todesfall gem § 8 Abs 2 GrEStG erst mit dem Ableben des Übergebers (vgl VwGH 25. 11. 2010, 2010/16/0060). § 8 GrEStG gilt als Spezialregelung zu § 4 BAO (Massoner/Stefaner in Pinetz/Schragl/Siller/Stefaner, GrEStG [2017] § 8 Rz 1). Zu beachten ist, dass § 200 Abs 1 BAO es nicht ermöglicht, noch nicht entstandene Abgabenansprüche festzusetzen, auch wenn die Anspruchsverwirklichung in Zukunft wahrscheinlich ist (Ritz/Koran, BAO7 § 200 Rz 2; VwGH 12. 4. 1984, 83/16/0079; 16. 11. 1998, 94/17/0197; 30. 8. 1999, 99/17/0239). Somit hätte nie eine vorläufige Festsetzung der Grunderwerbsteuerschuld durch das FA vorgenommen werden dürfen.

Im Falle eines zu Unrecht erlassenen vorläufigen Abgabenbescheids, dem keine tatsächliche Ungewissheit iSd § 200 BAO zugrunde liegt und der wie hier unbekämpft geblieben und in Rechtskraft erwachsen ist, beginnt die Verjährungsfrist gem § 208 Abs 1 lit d BAO mit Ablauf des Jahres, in dem der vorläufige Bescheid trotz fehlender Ungewissheit erlassen worden ist; § 208 Abs 1 lit a BAO ist nicht anwendbar (vgl VwGH 24. 10. 2013, 2012/15/0018; Dziurdz, ÖStZ 2012, 354 [356]). Demnach hat die fünfjährige relative Festsetzungsverjährungsfrist des § 207 Abs 2 BAO bereits mit Ablauf des Jahres 1990 zu laufen begonnen. Mangels bekannter Verlängerungshandlungen oder Hemmungsgründe dürfte die Verjährung daher bereits mit Ablauf des Jahres 1995 eingetreten sein (so auch das BFG im fortgesetzten Verfahren BFG 14. 12. 2023, RV/4100325/2023). Die unrichtige (vorläufige) Festsetzung der Grunderwerbsteuer kann somit nicht mehr beseitigt werden (vgl auch UFS 27. 11. 2007, RV/0479-L/06) und bleibt daher aufrecht (s BFG 14. 12. 2023, RV/4100325/2023).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 35170 vom 11.03.2024