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VwGH zur Ermittlungspflicht des BFG

Bearbeiter: Yasmin Lawson

VwGG: § 42 Abs 2 Z 3 lit b

BAO: § 269 Abs 1, § 115

Abstract

Das BFG war in dieser Rechtsache bereits zum dritten Mal zu einer Entscheidung berufen. Nachdem der VwGH ausgesprochen hatte, dass das BFG zuvor seiner Ermittlungspflicht nicht nachgekommen war, indem es den Steuerberater der Rw nicht vernommen hatte, holte es diese Vernehmung nunmehr – wenn auch nicht im Rahmen einer kontradiktorischen Einvernahme – nach. Auf Einwände gegen die gestellten Fragen ging es nicht ein, auch die sonstigen Beweisanträge wurden abgewiesen. Der VwGH beurteilte dieses Vorgehen erneut als einen erheblichen Verstoß gegen Verfahrensvorschriften und hob das Erkenntnis auf.

VwGH 29. 9. 2022, Ra 2021/15/0115-6

Sachverhalt

Im August 2011 erwarb der Revisionswerber (Rw) um € 1,7 Mio zuzüglich 20 % USt eine Liegenschaft der A GmbH. Der Buchwert der Liegenschaft betrug rd € 2,2 Mio, allerdings lagen auch zwei Gutachten vor, die Verkehrswerte von € 1,1 Mio und € 800.000 auswiesen. Nachdem der VwGH am 25. 5. 2016, 2013/15/0293 im vorliegenden Fall Missbrauch verneinte und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückverwies, gestattete das BFG am 5. 10. 2018, RV/5100951/2016 dem Rw den Vorsteuerabzug nur teilweise: Der Kaufpreis übersteige den Verkehrswert um fast 40 % und hielte sohin einem Fremdvergleich nicht stand. Der Mehrbetrag sei eine verdeckte Einlage, der Vorsteuerabzug könne daher nur im Ausmaß des angemessenen Entgelts zustehen.

Dieses Erkenntnis wurde vom VwGH am 10. 12. 2019, Ra 2018/15/0123 aufgrund wesentlicher Verfahrensmängel aufgehoben; insb wurde einem Antrag auf Zeugenvernehmung des Steuerberaters zur Verplausibilisierung des Kaufpreises nicht entsprochen. Im fortgesetzten Verfahren vernahm das BFG zwar den Steuerberater, dies jedoch außerhalb einer mündlichen Verhandlung. Der Rw brachte Einwände gegen die gestellten Fragen und weitere Beweisanträge vor, durch die die Fremdüblichkeit des Kaufpreises dargestellt werden sollten. Das BFG wies sämtliche Anträge ab und beurteilte den Kaufpreis als überhöht. Gegen diese Entscheidung richtete sich die außerordentliche Revision des Rw.

Entscheidung des VwGH

Grundsätzlich ist der VwGH nicht berufen, die Beweiswürdigung zu überprüfen. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung iZm der Beweiswürdigung liegt allerdings dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl VwGH 19. 12. 2018, Ra 2018/15/0106, mwN).

Im vorliegenden Verfahren hatte das BFG zu erheben, ob der Kaufpreis fremdüblich war. Zwar vernahm es im fortgesetzten Verfahren den Steuerberater, darüberhinausgehende Ermittlungsschritte wurden selbst auf Antrag des Rw nicht gesetzt. Diese hatte nicht nur unter Ausführung mehrerer Einwände gegen die gestellten Fragen die neuerliche Einvernahme des Steuerberaters beantragt, sondern auch die mündliche Erörterung eines der Verkehrswertgutachten mit dem Sachverständigen sowie die Einvernahme eines Immobilienmaklers, der dem Rw damals ein Kaufanbot iHv € 2 Mio gemacht hatte, beantragt. All diese Beweisanträge wären für die Beurteilung der Fremdüblichkeit relevant gewesen.

Zudem wurde vom BFG die Bedeutung kontradiktorischer Vernehmungen von Zeugen im gerichtlichen Verfahren missachtet: Wird, wie hier, ein Zeuge nicht kontradiktorisch vernommen, hat das Verwaltungsgericht den Parteien die Ergebnisse der Beweisaufnahme vorzuhalten und sich mit von ihnen dazu erstatteten Vorbringen auseinanderzusetzen (Sutter in Holoubek/Lang [Hrsg], Grundfragen der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit [2017] 249). Dieser Pflicht ist das BFG nicht nachgekommen.

Das Erkenntnis des BFG war sohin aufgrund erheblicher Verfahrensmängel aufzuheben.

Conclusio

Auch in verwaltungsgerichtlichen Verfahren gilt der Untersuchungsgrundsatz (§ 269 Abs 1 iVm § 115 BAO, vgl Renner in Holoubek/Lang (Hrsg), Verwaltung und Verwaltungs-/Finanzgerichtsbarkeit [2020] 198). Das Gericht kann Art und Umfang der Ermittlungen bestimmen, hat diese neutral zu führen und darf erst dann abschließend entscheiden, wenn der Sachverhalt ordnungsgemäß ermittelt wurde (vgl VwGH 27. 6. 2016, Ra 2015/13/0048). Es ist, so der VwGH, Aufgabe des BFG „alle erforderlichen Sachverhaltsfeststellungen zu treffen, die für eine abschließende Beurteilung der [strittigen] Frage erforderlich sind“ (VwGH 25. 4. 2019, Ro 2017/13/0021).

Das BFG kann sich dieser Pflicht auch dadurch nicht entziehen, dass es ein „Mindestmaß“ an Ermittlungsschritten setzt (so wie hier etwa nur jener Beweisantrag nachgeholt wurde, zu dem es vom VwGH explizit aufgefordert wurde). Das bedeutet nicht, dass das BFG dazu verpflichtet ist, jedem Beweisantrag nachzukommen oder selbstständig nach Unregelmäßigkeiten zu suchen — es hat jedoch jedenfalls seiner amtswegigen Ermittlungspflicht umfassend nachzukommen (s allg Gunacker-Slawitsch, taxlex 2022, 111).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 33415 vom 19.12.2022