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VwGH zur fehlerhaften elektronischen Zustellung an den „materiellen“ Empfänger

Bearbeiter: Dominic Krenn

BAO: § 98 Abs 2, § 111

ZustG: § 5, § 13 Abs 3

Abstract

Der VwGH hatte über eine ao Revision zu entscheiden. Strittig war, ob die Erledigungen des FA, die der Rw (GmbH) über FinanzOnline elektronisch zugestellt wurden, wirksam waren. Besonders war im gegenständlichen Fall, dass sämtliche Erledigungen den Zusatz „zu Handen des Geschäftsführers“ beinhalteten und der Geschäftsführer keine Zugangsdaten zur Databox der Rw hatte, weil diese beim Wechsel der Geschäftsführung verloren gingen. Der VwGH teilte nicht die Auffassung des BFG, wonach die elektronische Zustellung mit dem Einlangen in der Databox der Rw, zu welcher auch der Geschäftsführer Zugang hätte haben müssen, wirksam erfolgt sei. Vielmehr ist der Geschäftsführer durch den in der Adressierung befindlichen Zusatz „zu Handen des Geschäftsführers“ zum „formellen“ Empfänger bestimmt worden, wodurch eine wirksame elektronische Zustellung das Einlagen in die Databox des Geschäftsführers erfordert hätte.

VwGH 22. 11. 2023, Ra 2023/13/0048

Sachverhalt

Die Revisionswerberin (Rw) ist eine GmbH und wurde vom Finanzamt (FA) mit Schreiben vom 1. 7. 2021 aufgefordert, die zu erstattende Meldung nach dem WiEReG bis zum 23. 8. 2021 nachzuholen. Andernfalls drohe die Festsetzung einer Zwangsstrafe iHv € 1.000. Mit Bescheid vom 24. 8. 2021 (Bescheid 1) setzte das FA die angedrohte Zwangsstrafe fest und forderte die Rw auf, die bisher unterlassene Meldung der wirtschaftlichen Eigentümer bis zum 15. 10. 2021 nachzuholen. Dabei wurde eine weitere Zwangsstrafe iHv € 4.000 angedroht, wenn dieser Aufforderung nicht Folge geleistet werde. Mit Bescheid vom 18. 10. 2021 (Bescheid 2) setzte das FA sodann die angedrohte Zwangsstrafe iHv € 4.000 fest. Alle Erledigungen des FA wurden zu Handen des Geschäftsführers durch Einlagen in der Databox der Rw, also im Wege von FinanzOnline jeweils am Tag der Bescheidausfertigung elektronisch zugestellt. Die Rw erhob gegen Bescheid 1 (Zwangsstrafe iHv € 1.000) und Bescheid 2 (Zwangsstrafe iHv € 4.000) mit Eingaben vom 12. 11. 2021 Beschwerden und machte jeweils geltend, dass der Geschäftsführer der Rw keinen FinanzOnline Zugangscode zur Databox der Rw hatte. Mangels Zustellung in den Verfügungsbereich des Geschäftsführers sei es daher zu keiner ordnungsgemäßen Zustellung gekommen. Der ursprüngliche Zugangscode zur Databox der Rw sei von der ehemaligen Geschäftsführerin eingerichtet worden und ging nach deren Ausscheiden verloren. Daraufhin habe der Geschäftsführer einen Antrag auf Neuausstellung eines Zugangscodes gestellt. Dieser Zugangscode wurde neuerlich der ehemaligen Geschäftsführerin eigenhändig zugestellt. Nach Aussagen des Geschäftsführers sei ihm der übermittelte Zugangscode nicht bekannt gewesen. Tatsächlich gelesen wurden die betreffenden Erledigungen des FA am 3. 11. 2021.

Zur Beschwerde gegen Bescheid 1 stellte das BFG fest, dass die Beschwerdefrist bereits am 24. 9. 2021 abgelaufen sei, wodurch die Beschwerde vom 12 11. 2021 nach Ablauf der Beschwerdefrist eingebracht wurde. Der Verlust des Zugangscodes beim Wechsel der Geschäftsführung sei nach Ansicht des BFG für die Wirksamkeit der Zustellung nicht maßgebend (vgl BFG 8. 3. 2023, RV/2100067/2022). Die Beschwerde gegen Bescheid 2 wies das BFG als unbegründet ab (vgl BFG 29. 3. 2023, RV/2100066/2022), weshalb die verhängten Zwangsstrafen aufrecht blieben. Die Revision wurde jeweils nicht zugelassen, woraufhin die Rw gegen beide Entscheidungen des BFG ao Revision erhob.

Entscheidung des VwGH

Bevor eine Zwangsstrafe gem § 111 Abs 1 BAO festgesetzt wird, muss der zu einer Leistung – wie etwa zur Meldung der wirtschaftlichen Eigentümer – Verpflichtete zunächst unter Androhung der Zwangsstrafe zur Erbringung der verlangten Leistung innerhalb einer angemessenen Frist aufgefordert werden (§ 111 Abs 2 BAO). Bescheide, die in der Databox einlangen, gelten gem § 98 Abs 2 BAO als zugestellt, sobald sie in den elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers gelangen. Die Zustellung ist dabei nur wirksam, wenn der Empfänger Zugang zu diesem Speicherbereich hat (vgl VwGH 31. 7. 2013, 2009/13/0105). Als Empfänger gilt im Zustellrecht im Allgemeinen der „formelle“ Empfänger. IdR ist der „formelle“ Empfänger auch der „materielle“ Empfänger, für den der Inhalt des zuzustellenden Dokuments bestimmt ist. Abweichend davon können beide Begriffe auseinanderfallen, wenn zB an einen gesetzlichen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten zugestellt werden soll (vgl VwGH 15. 12. 2022, Ra 2022/13/0023). Handelt es sich beim Empfänger um keine natürliche Person, so sind die Dokumente nach § 13 Abs 3 ZustG einem zur Empfangnahme befugten Vertreter zuzustellen. Die Behörde kann dabei bereits in der Zustellverfügung ein Organ der juristischen Person als Empfänger bestimmen. Diesfalls gilt das bestimmte Organ als „formeller“ Empfänger (vgl VwGH 23. 4. 1992, 90/16/0187; 21. 4. 2010, 2007/03/0173 jeweils mwN).

Da im gegenständlichen Fall sämtliche Erledigungen zu Handen des Geschäftsführers adressiert wurden, ist der Geschäftsführer als „formeller“ Empfänger iSd § 5 ZustG zu verstehen. Folglich wäre es für die Wirksamkeit der Zustellungen erforderlich gewesen, dass die betreffenden Erledigungen in den Verfügungsbereich des Geschäftsführers, also bei elektronischer Zustellung über FinanzOnline, in dessen Databox eingelangt wären. Durch das Einlagen in die Databox der Rw kam es hingegen zu keiner wirksamen Zustellung. Vielmehr kam es erst am 3. 11. 2021 durch das tatsächliche Lesen der Erledigungen zur Heilung und damit zur wirksamen Zustellung. Entgegen der Ansicht des BFG wurde die Beschwerde vom 12. 11. 2021 gegen Bescheid 1 daher rechtzeitig eingebracht. Da Bescheid 1 samt Drohung der weiteren Zwangsstrafe iHv € 4.000 erst durch die Heilung am 3. 11. 2021 wirksam zugestellt wurde, wurde die mit Bescheid 2 vom 18. 10. 2021 festgesetzte Zwangsstrafe nicht nach Maßgabe des § 111 Abs 2 BAO angedroht. Im Ergebnis waren daher beide Entscheidungen des BFG zu Bescheid 1 und Bescheid 2 wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.

Conclusio

Die gegenständliche Entscheidung veranschaulicht das Zusammenspiel zwischen elektronischer Zustellung und der Unterscheidung zwischen „formellem“ und „materiellem“ Empfängerbegriff. Der „formelle“ Empfänger ist von der Behörde in der Zustellungsverfügung (§ 5 ZustG) zu bestimmten (vgl VwGH 22. 8. 2019, Ra 2018/16/0136; überdies ErläutRV 2009 BlgNR 24. GP 24). Durch den in den Erledigungen befindlichen Zusatz „zu Handen des Geschäftsführers“ hat die Behörde den Geschäftsführer im vorliegenden Fall zum „formellen“ Empfänger bestimmt. Eine elektronische Zustellung an den „formellen“ Empfänger erfolgt im Zeitpunkt, in dem die Daten in seinen elektronischen Verfügungsbereich gelangen. Bei Zustellungen über FinanzOnline ist das der Zeitpunkt der Einbringung in die Databox (vgl VwGH 26. 1. 2023, Ra 2022/16/0112, ErläutRV 270 BlgNR 23. GP 13). Als Databox gilt jedoch nur jene, zu der der Empfänger Zugang hat. Voraussetzung für die Wirksamkeit der Zustellung ist daher der Zugang des „formellen“ Empfängers zu diesem Speicherbereich. Hat der „formelle“ Empfänger zu einem Speicherbereich keinen Zugang, kann nicht von seinem „elektronischen Verfügungsbereich“ gesprochen werden (vgl Fischerlehner in Fischerlehner/Brennsteiner (Hrsg), Abgabenverfahren I3 § 98 BAO Rz 2 [Stand 1. 2. 2021, rdb.at]).

In seiner E vom 15. 12. 2022, Ra 2022/13/0023 hat der VwGH bereits ausgesprochen, dass Zustellungen im Wege von FinanzOnline an den „formellen“ Empfänger zu erfolgen haben. Mit der gegenständlichen Entscheidung gibt der VwGH zu erkennen, dass elektronische Zustellungen über FinanzOnline in die Databox des Geschäftsführers zu erfolgen haben, wenn dieser von der Behörde in der Zustellverfügung etwa durch den Zusatz „zu Handen des Geschäftsführers“ als „formeller“ Empfänger bestimmt wurde und die Databox der Gesellschaft aufgrund der fehlenden Zugangsdaten nicht als sein „elektronischer Verfügungsbereich“ zu verstehen ist. Die Aussage des VwGH, wonach die Erledigungen für die wirksame Zustellung in der Databox des Geschäftsführers als „formellen“ Empfänger einlangen hätten müssen, sind wohl so zu verstehen, dass es sich um eine Databox handeln muss, zu der der „formelle“ Empfänger tatsächlich Zugang hat. Eine elektronische Zustellung in die Databox der Gesellschaft sollte somit dann wirksam sein, wenn der Geschäftsführer als „formeller“ Empfänger bestimmt wird und er Zugang zur Databox der Gesellschaft hat. Das FA wird aber idR keine Kenntnis davon haben, ob der „formelle“ Empfänger Zugang zur Databox der Gesellschaft hat. Die sichere Variante bei Zustellungen über FinanzOnline wäre daher die Zustellung in die Databox des „formellen“ Empfängers.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 35180 vom 13.03.2024