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VwGH zur Grenzgängereigenschaft einer Spitalsärztin

Bearbeiter: Jürgen Romstorfer

DBA-Deutschland: Art 15 Abs 6

Abstract

Im vorliegenden Sachverhalt hatte sich der VwGH mit der Frage zu beschäftigen, ob es zu einem Verlust der Grenzgängereigenschaft kommt, wenn eine Spitalsärztin aufgrund mehrerer aufeinanderfolgender Dienste in der deutschen Klinik nicht täglich zu ihrem Wohnsitz in Österreich zurückkehrt. Der VwGH hält dazu fest, dass als Arbeitstag ein 24-Stunden-Intervall ab Arbeitsantritt zu verstehen ist. Ein deutliches Überschreiten dieses 24-Stunden-Intervalls führt zum Vorliegen eines Nichtrückkehrtages. Da im vorliegenden Sachverhalt aber nur an 26 Tagen eine Rückkehr zum Wohnsitz unterblieb, kam es zu keinem Verlust der Grenzgängereigenschaft.

VwGH 21. 6. 2023, Ro 2021/15/0036

Sachverhalt

Die Revisionswerberin (Rw) war im Streitjahr 2016 von 1. Jänner bis 31. März als Assistenzärztin und aber 1. April als Oberärztin in einer 27 km von ihrem österreichischen Wohnsitz entfernten deutschen Klinik beschäftigt. Mit der Bestellung zur Oberärztin änderte sich ihre wöchentliche Normalarbeitszeit von 24 auf 32 Stunden, wobei diese Stunden innerhalb einer 5-Tage Woche zu leisten waren. Daneben musste die Rw auch Bereitschaftsdienste leisten, wovor oder wonach die Normalarbeitszeit idR 8 Stunden betrug. Im Jahr 2016 hatte die Rw als Assistenzärztin 13 und als Oberärztin 41 Bereitschaftsdienste, wobei die Dienste als Oberärztin bis auf zwei tatsächliche Bereitschaftsdienste in der Klinik als Rufbereitschaftsdienste ausgeführt wurden, bei denen sie bei Bedarf innerhalb von 10 Minuten ihren Dienst in der Klinik antreten musste. Von diesen 41 Rufbereitschaftsdiensten handelte es sich in 26 Fällen um 16-Stunden Dienste und in 15 Fällen um 24-Stunden Dienste. Dabei war es regelmäßig so, dass vor und nach einem 16-Stunden Dienst jeweils ein 8-stündiger Normaldienst zu leisten war. Bei den 24-Stunden Diensten war davor und danach kein Normaldienst zu leisten. Bereits seit dem Jahr 2014 hatte die Rw ein Zimmer in der Nähe der Klink gemietet. Seit 2015 wurde ihr daneben auch ein Appartement von der Klinik zur Verfügung gestellt, das sie während der Rufbereitschaftsdienste nutzen konnte.

Im Mai 2018 brachte die Rw ihre Einkommensteuererklärung 2016 ein, in der sie davon ausging, dass in Österreich keine Steuerpflicht mehr vorliege, weil ihre Grenzgängereigenschaft verloren gegangen sei, weil an 55 Tagen nicht nach Arbeitsleistung ihres Normaldienstes eine Rückkehr erfolgte. Das Finanzamt erlies daraufhin einen Bescheid, in dem es die deutschen Einkünfte als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit qualifizierte, weil kein Nachweis erbracht wurde, dass die Rückkehr an den Wohnsitz an mehr als 45 Tagen unterblieb. Dieser Ansicht stimmte das Bundesfinanzgericht zu. Aufgrund des Fehlens einer Rsp des VwGH zu der Frage, ob die Grenzgängereigenschaft durch Rufbereitschaftsdienste einer Ärztin durchbrochen wird, lies das Bundesfinanzgericht die Revision zu.

Entscheidung des VwGH

Eingangs führt der VwGH aus, dass nach Art 15 Abs 1 DBA-Deutschland grds dem Tätigkeitsstaat das Besteuerungsrecht an Einkünften aus unselbständiger Arbeit zukommt. Abweichend davon ist in Art 15 Abs 6 DBA-Deutschland eine spezielle Norm für Grenzgänger vorgesehen, wonach dem Ansässigkeitsstaat der unselbständig tätigen Person das Besteuerungsrecht an den im Tätigkeitsstaat erzielen Einkünften zusteht. Art 15 Abs 6 DBA-Deutschland kommt zur Anwendung, wenn sowohl Wohnsitz als auch Arbeitsort in Grenznähe sind und die tätige Person arbeitstäglich pendelt (mit Verweis auf VwGH 23. 2. 2010, 2008/15/0148 und 24. 6. 2004, 2001/15/0013).

Anschließend daran beschäftigt sich der VwGH mit der ratio legis von Art 15 Abs 6 DBA-Deutschland und verweist dabei auf das Urteil des BFH vom 1. 3. 1963, VI 119/61: Grenzgänger haben den Mittelpunkt ihres Lebens am Wohnsitz und gehen in dem Land, in dem sie arbeiten, lediglich ihrer Berufstätigkeit nach, ohne eine engere Bindung an dieses Land zu haben. Dieser besonderen Situation soll durch Grenzgängerregelungen steuerlich Rechnung getragen werden, was vor allem dadurch erfolgt, dass die Grenzgänger mit ihren (Wohnungs-)Nachbarn im Wohnsitzstaat gleichgestellt werden. Daneben soll auch eine steuerliche Sogwirkung von Nachbarländern mit einem niedrigeren Steuerniveau auf die Grenzbevölkerung des Wohnsitzstaates verhindert werden.

Die Grenzgängerregelung im DBA-Deutschland enthält keine explizite Toleranzregel, an wie vielen Tagen eine Rückkehr an den Wohnsitz erfolgen muss. Das bedeutet nach Ansicht des VwGH aber nicht, dass tatsächlich an jedem einzelnen Arbeitstag eine Rückkehr an den Wohnsitz erfolgen muss, sondern es kann auch ausreichen, wenn eine Rückkehr in der Regel erfolgt, wobei eine regelmäßige Übernachtung am Arbeitsort schon schadet (mit Verweis auf VwGH 30. 11. 1962, 364/61). Fraglich ist nun, ob 55 Tage, an denen nach der Normalarbeitszeit keine Rückkehr zum Wohnsitz erfolgt, die Grenzgängereigenschaft ausschließt. Dazu führt der VwGH aus, dass es nach Art 15 Abs 6 DBA-Deutschland grds auf keine Rückkehr nach Erreichen der Normalarbeitszeit ankommt. Auch die Tatsache, dass die Hin- und Heimfahrt an zwei getrennten Tagen erfolgte, ist nicht schädlich, weil es sonst zu unsachlichen Ergebnissen bei Schichtdiensten kommen würde. Mit dem Merkmal der (regelmäßig) täglichen Rückkehr soll nach Ansicht des VwGH vielmehr eine Abgrenzung zu Wochenpendlern oder Gastarbeitern vorgenommen werden, bei denen es zu keiner (regelmäßigen) täglichen Rückkehr kommt.

Der für Art 15 Abs 6 DBA-Deutschland maßgebliche Arbeitstag ist daher nach Ansicht des VwGH nicht als Kalendertag, sondern als „ein 24-Stunden Intervall ab Arbeitsantritt“ zu sehen. Der Antritt einer 24-Stunden-Arbeitsschicht ist daher nicht zur Durchbrechung des Kriteriums der täglichen Arbeitsrückkehr geeignet. Anders ist dies hingegen, wenn an eine 24-Stunden-Arbeitsschicht noch ein Normalarbeitstag angeschlossen wird, wodurch das 24-Stunden Intervall deutlich überschritten wird. Dies führt dazu, dass solche Tage als Nichtrückkehrtage anzusehen sind. Im Ergebnis stellt der VwGH jedoch fest, dass es sich im vorliegenden Fall nur um 26 solcher Nichtrückkehrtage handelt und dass diese Anzahl noch nicht zur Durchbrechung der Grenzgängereigenschaft geeignet ist.

Conclusio

Der VwGH beschäftigt sich im vorliegenden Fall detailliert mit der Grenzgängerregelung in Art 15 Abs 6 DBA-Deutschland. Dabei kommt der Gerichtshof zum Ergebnis, dass basierend auf der ratio legis ein Arbeitstag als 24-Stunden-Intervall ab Arbeitsbeginn anzusehen ist. Wird dieses Intervall deutlich überschritten, kommt es zu einem Nichtrückkehrtag. Nach Ansicht der Finanzverwaltung ist das Vorliegen von solchen Nichtrückkehrtagen ab dem Überschreiten von 45 Tagen für die Grenzgängereigenschaft schädlich (vgl Erlass des BMF v 30. 4. 2019, BMF-010221/0113-IV/8/2019). Mit dieser Zahl hat sich der VwGH jedoch leider nicht näher auseinandergesetzt. So hat er diese weder negiert, noch bestätigt. Da er jedoch nicht explizit darauf eingegangen ist, ist wohl nicht anzunehmen, dass er der Verwaltungsmeinung in der vorliegenden Rechtssache einen besonderen Wert beimessen wollte.

Im Ergebnis hat der Gerichtshof überzeugend festgestellt, dass eine Nichtrückkehr an 26 Tagen für die Grenzgängereigenschaft im vorliegenden Fall noch nicht schädlich ist. Kritisch dabei kann jedoch dennoch das 24-Stunden-Intervall gesehen werden. Die Ärztin kehr im vorliegenden Fall auch an den 26 vom VwGH als Nichtrückkehrtrage eingestuften Tagen an ihren Wohnsitz zurück, nur eben erst nach Abschluss des in Summe betragenden 32-Stunden-Intervalls. ME könnte man daher sehr wohl auch bei diesen Tagen von Rückkehrtagen ausgehen und könnte den Arbeitstag nicht als starres 24-Stunden-Intervall ansehen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 34654 vom 23.10.2023