News

VwGH zur Pauschalregelung für Landwirte in der Umsatzsteuer

Bearbeiter: Franz Wallig

UStG 1994: § 22

MwStSyst-RL: Art 295, Art 296

Abstract

Der VwGH hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob die Abgabe von monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen (UVA) bereits als Verzicht auf die Anwendung der Pauschalregelung für Landwirte iSd § 22 Abs 6 UStG zu werten ist. Nach der Rsp des EuGH in der Rs Nigl ist die Pauschalregelung insb dann anzuwenden, wenn die Anwendung der normalen MwSt-Regelung mit besonderen Schwierigkeiten für den Steuerpflichtigen verbunden wäre. Da solche Schwierigkeiten im vorliegenden Fall aufgrund der abgegebenen Voranmeldungen jedenfalls nicht vorlagen, waren die UVA als wirksamer Verzicht iSd § 22 Abs 6 UStG zu werten.

VwGH 26. 3. 2025, Ra 2024/13/0092

Sachverhalt

Der Revisionswerber (Rw) war ein nichtbuchführungspflichtiger Landwirt, der die Voraussetzungen für die Besteuerung der Umsätze bei land- und forstwirtschaftlichen Betrieben gem § 22 UStG (idF BGBl I 2015/118) erfüllte. Der Rw gab aufgrund der Ergebnisse einer Außenprüfung ab Februar 2017 monatlich Umsatzsteuervoranmeldungen ab, in denen er seine Umsätze nach den regulären Vorschriften des UStG und nicht nach der Sonderregelung des § 22 UStG ermittelte. Diese Voranmeldungen wurden vom Finanzamt (FA) entsprechend verbucht. Im Jahr 2019 brachte der Rw Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 2017 und 2018 ein. Das FA setzte die Abgabenschuld aber abweichend von den Erklärungen nach Maßgabe des § 22 UStG fest, weil keine explizite schriftliche Option zur Regelbesteuerung nach § 22 Abs 6 UStG abgegeben wurde. Der Rw brachte hingegen vor, dass die termingerechte Abgabe von monatlichen UVA als eindeutiger schriftlicher Verzicht auf die Anwendung von § 22 UStG anzuerkennen sei. Das BFG bestätigte die Ansicht des FA.

Entscheidung des VwGH

Nach der Rsp des VwGH zur Vorgängerbestimmung des § 22 Abs 6 UStG 1972 (VwGH 3. 10. 1988, 87/15/0055; 2. 8. 1995, 93/13/0216; 17. 12. 1998, 98/15/0059; 21. 1. 2004, 99/13/0145, jeweils mwN) handelt es sich beim Verzicht um eine formgebundene Erklärung ganz bestimmten Inhalts. Die von einem Unternehmer abgegebenen UVA und/oder Umsatzsteuererklärungen können die erforderliche ausdrückliche schriftliche Erklärung nicht ersetzen (vgl VwGH 22. 10. 1990, 89/15/0157).

Unionsrechtliche Grundlage für den nunmehr geltenden § 22 UStG sind die Art 295 ff MwStSyst-RL. Insb kann gem Art 296 Abs 2 jeder Mitgliedstaat landwirtschaftliche Erzeuger von der Pauschalregelung ausnehmen, bei denen die Anwendung der normalen MwSt-Regelung keine verwaltungstechnischen Schwierigkeiten mit sich bringt. Der EuGH führte dazu bereits aus, dass die Pauschalregelung eine Ausnahme von der allgemeinen Regelung ist, die nur angewendet werden darf, wenn dies zur Erreichung des Ziels der Vorschrift erforderlich ist (EuGH 12. 10. 2016, C-340/15, Nigl, Rn 37). Der Unionsgesetzgeber hat die Pauschalregelung nur zugunsten jener landwirtschaftlichen Erzeuger eingerichtet, bei denen die Anwendung der normalen MwSt-Regelung auf „insbesondere verwaltungstechnische Schwierigkeiten stieße“ (aaO Rn 39 und 45). Nach Art 296 Abs 3 hat zusätzlich jeder Pauschallandwirt das Recht, sich für die Anwendung der normalen MwSt-Regelung zu entscheiden.

§ 22 UStG ist richtlinienkonform auszulegen (vgl zB VwGH 28. 5. 2019, Ro 2019/15/0002 mwN). Der Wortlaut des § 22 Abs 1 UStG 1994 zum Anwendungsbereich der Pauschalregelung überschreitet aber eindeutig den ihm aufgrund seiner unionsrechtlichen Grundlage zu unterstellenden Inhalt (unionsrechtlich geforderte Einschränkung: „Erzeuger, bei denen die Anwendung der normalen Mehrwertsteuerregelung [...] auf Schwierigkeiten stoßen würde“). Die insoweit geforderte Einschränkung würde den Auslegungsspielraum der zulässigen Ermittlung des Norminhalts nach innerstaatlichen Auslegungsregelungen überschreiten und die unmittelbare Anwendung einer nicht umgesetzten zusätzlichen Voraussetzung bedeuten. Ein solches Vorgehen kommt zulasten des Abgabepflichtigen nicht in Betracht (vgl VwGH 9. 10. 2020, Ro 2019/13/0025). Ob Art 296 MwStSyst-RL (zugunsten des Abgabepflichtigen) unmittelbare Wirkung zukäme, wurde im vorliegenden Fall vom VwGH nicht geprüft, weil der Rw sich nicht darauf berufen hatte.

Im Lichte der Entscheidung des EuGH in der Rs Nigl entschied sich der VwGH dazu, seine Rechtsansicht zu § 22 Abs 6 UStG 1972 nicht aufrecht zu erhalten. Das Einreichen der Abgabenerklärungen belegt für sich, dass bei diesem Abgabepflichtigen und bei dieser Fallkonstellation die Anwendung der normalen MwSt-Regelung keine verwaltungstechnischen Schwierigkeiten bereitet. Zudem sind Parteierklärungen nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen. Die Einreichung von Abgabenerklärungen zur USt durch einen nichtbuchführungspflichtigen Landwirt wird im Lichte der Rsp des EuGH also dahin zu verstehen sein, dass eine Besteuerung nach den allgemeinen Vorschriften begehrt wird. Sollte dies zweifelhaft sein, wird die Absicht der Partei zu erforschen sein (vgl zB VwGH 29. 7. 2020, Ra 2020/13/0046, mwN).

Conclusio

Der VwGH geht in der vorliegenden Entscheidung von seiner stRsp zu § 22 Abs 6 UStG 1972 ab, wonach für den Verzicht auf die Pauschalregelung eine ausdrückliche Erklärung erforderlich war. Das Abgehen von der damaligen Rsp begründet der VwGH va damit, dass zur Auslegung von § 22 Abs 6 UStG 1994 auch die Bestimmungen des Unionsrechts zu berücksichtigen sind. Art 296 Abs 1 MwStSyst-RL sieht vor, dass die Pauschalregelung für Landwirte dann angewandt werden sollte, wenn die Anwendung der normalen MwSt-Regelung auf Schwierigkeiten stieße. Da die Anwendung der normalen MwSt-Regelung aber im vorliegenden Fall ohne Schwierigkeiten möglich war, lagen die Voraussetzungen für Art 296 Abs 1 MwStSyst-RL nicht vor. Daher war die Pauschalregelung für Landwirte trotz fehlender ausdrücklicher Verzichtserklärung nicht anzuwenden.

Offen bleibt die Frage, ob bereits der Verzicht auf die Kleinunternehmerregelung nach § 6 Abs 1 Z 27 iVm Abs 3 UStG auch als Verzichtserklärung nach § 22 Abs 6 UStG gewertet werden kann. Diese Frage hat der VwGH bewusst offen gelassen, weil der Landwirt keine solche Verzichtserklärung nach § 6 Abs 3 UStG abgegeben hatte. Das BFG kam in einem ähnlichen Fall zum Schluss, dass eine Verzichtserklärung nach § 6 Abs 3 UStG auch einen Verzicht auf § 22 Abs 6 UStG inkludiert (vgl BFG 8. 2. 2017, RV/510087/2015). Diese Überlegung ist auch im Einklang mit der Ansicht des VwGH, weil bei freiwilligem Verzicht auf die Kleinunternehmerbefreiung vom Steuerpflichtigen wohl auch keine verwaltungstechnischen Schwierigkeiten bei der Anwendung der normalen MwSt-Regelung vorliegen werden. Umgekehrt kann eine Verzichtserklärung nach § 22 Abs 6 UStG nicht gleichzeitig als Verzicht auf die Kleinunternehmerbefreiung gem § 6 Abs 3 UStG gewertet werden, weil Art 296 Abs 3 MwStSyst-RL explizit vorsieht, dass bei einem Verzicht auf die Pauschalregelung für Landwirte noch immer eine Kleinunternehmerbefreiung in Anspruch genommen werden kann (vgl Melhardt/Tumpel, UStG3 [2021] § 6 Rz 685 mwN).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 36868 vom 26.06.2025