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VwGH zur USt-Befreiung von nicht zertifizierten privaten Sprachschulen für Kinder und Jugendliche

Bearbeiter: Michael Gleiss

UStG: § 6 Abs 1 Z 11 lit a

Umsatzsteuer-Bildungsleistungsverordnung 2018: § 1 Z 9

Abstract

Der VwGH hatte über eine o Amtsrev zu entscheiden. Fraglich war, ob sich eine private Sprachschule für Kinder und Jugendliche auf die USt-Befreiung nach § 6 Abs 1 Z 11 lit a UStG berufen kann, obwohl keine Zertifizierung nach § 1 Z 9 USt-BLV vorlag. Nicht geteilt hat der VwGH die Argumentation des BFG, wonach das Fehlen einer in Frage kommenden österreichischen Zertifizierungsstelle ausreicht, um sich unmittelbar auf die Befreiungsbestimmung in der MwStSysRL zu berufen. Vielmehr sei zu prüfen, ob in anderen Mitgliedstaaten entsprechende Zertifizierungsmöglichkeiten bestehen. Eine Verletzung des Neutralitätsgrundsatzes erblickte der VwGH nicht, da alle Betreiber privater Sprachschulen für Kinder in einer vergleichbaren Situation seien.

VwGH 6. 9. 2023, Ro 2021/15/0021

Sachverhalt

Die mitbeteiligte Partei betrieb eine Sprachschule, die Babys, Kindern und Jugendlichen Englisch als Fremdsprache beibringt. Erwachsene sind keine Zielgruppe. Die mitbeteiligte Partei verfügte über keine Zertifizierung nach § 1 Umsatzsteuer-Bildungsleistungsverordnung (USt-BLV, BGBl II 2018/214) iVm § 6 Abs 1 Z 11 lit a UStG. Die mitbeteiligte Partei teilte dem FA mit, in Österreich bestehe keine entsprechenden Zertifizierungsmöglichkeiten für private Bildungsleistungen von Kindern und Jugendlichen. Es sollte daher nach Ansicht der mitbeteiligten Partei auf das Vorliegen einer solchen Zertifizierung als Voraussetzung für die USt-Befreiung verzichtet werden. Die mitbeteiligte Partei behandelte ihre Umsätze daher USt-befreit.

Das FA folgte dieser Ansicht nicht, setzte die USt mit Bescheid fest und behandelte die Umsätze als steuerpflichtig. Das BFG gab der dagegen erhobenen Beschwerde Folge und verwies auf den Grundsatz der umsatzsteuerlichen Neutralität; mangels Zertifizierungsstelle in Österreich könne sich die mitbeteiligte Parte unmittelbar auf die Befreiungsbestimmung nach Art 132 Abs 1 lit a sublit i MwStSystRL berufen. Das FA erhob ordentliche Revision. Zur Zulässigkeit wurde das Fehlen der hg Rspr zur Auslegung von § 1 Z 9 USt-BLF und das Abweichen des Erk von der Rsp das VwGH vorgebracht.

Entscheidung des VwGH

Der VwGH befand die Revision für zulässig sowie begründet und hob das angefochtene Erkenntnis wegen prävalierender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes (Fehlen wesentlicher Feststellungen auf Grund unrichtiger Rechtsansicht) auf.

Nach § 6 Abs 1 Z 11 lit a UStG sind die Umsätze von privaten Schulen und anderen allgemein- oder berufsbildenden Einrichtungen von der USt befreit, wenn nachgewiesen werden kann, dass eine den öffentlichen Schulen vergleichbare Zielsetzung verfolgt wird. Der BMF ist ermächtigt, mit Verordnung festzulegen, wann eine solche vergleichbare Zielsetzung vorliegt. Der Bundesminister für Finanzen hat die erwähnte Verordnungsermächtigung genutzt und die USt-BLV erlassen. In § 1 der VO finden sich 9 Ziffern, wann eine iSd § 6 Abs 1 Z 11 lit a UStG vergleichbare Zielsetzung vorliegt. Insbesondere zu erwähnen sind Z 7 (aufrechte Zertifizierung als Erwachsenenbildungseinrichtung) und Z 9 (jede andere vergleichbare behördliche Zertifizierung).

§ 6 Abs 1 Z 11 lit a UStG wurde durch BGBl I 2018/62 neu gefasst. Ziel der Neufassung der Befreiungsbestimmung für Bildungsleistungen war, wie auch den Erläuterungen (ErlRV 190 BlgNR 26. GP) zu entnehmen ist, deren unionsrechtskonforme Ausgestaltung. Dies deshalb, da der VwGH in der Vorgängerbestimmung eine mangelhafte Umsetzung des Unionsrechts erblickt hatte (siehe zB VwGH 14. 9. 2017, Ro 2017/15/0017). Der genannten Befreiung liegt Art 132 Abs 1 lit a sublit i MwStSystRL zugrunde. Demnach ist nicht nur etwa die Erziehung von Kindern und Jugendlichen und der Schul- und Hochschulunterricht befreit, sondern auch andere Einrichtungen mit vom betreffenden Mitgliedstaat anerkannten vergleichbaren Zielsetzungen. Die österreichische Umsetzung entspricht somit dieser Vorgabe.

Der EuGH hat sich in der Rs Happy Education näher zum Kriterium „Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung“ geäußert (EuGH 28. 4. 2022, Happy Education C-612/20, Rn 30 ff). In dieser Entscheidung hält der EuGH fest, dass es „grundsätzlich Sache des nationalen Rechts […] ist, die Regeln aufzustellen, nach denen den betreffenden Einrichtungen eine solche Anerkennung gewährt werden kann. Die Mitgliedstaaten verfügen dabei über ein Ermessen“ (Hinweis ua auf EuGH 26. 5. 2005, Kingscrest Associates und Montecello, C-498/03). Weiters führt der EuGH in Rn 32 aus, die nationalen Gerichte haben „zu prüfen, ob die Mitgliedstaaten […] die Grenzen ihres Ermessen [sic] nicht überschritten haben und die Grundsätze des Unionsrechts, insbesondere den Grundsatz der Gleichbehandlung, der im Mehrwertsteuerbereich im Grundsatz der steuerlichen Neutralität zum Ausdruck kommt, beachtet haben“.

Weiters führt der VwGH aus, dass im Ausgangsfall der Rs Happy Education eine rumänische Handelsgesellschaft Unterrichtsdienstleistungen erbracht hat. Zur Anerkennung als Einrichtung mit vergleichbarer Zielsetzung war nach rumänischem Recht die Vereinbarung einer Partnerschaft mit einer Bildungseinrichtung im Rahmen „Schule nach der Schule“ erforderlich. Da die Gesellschaft eine solche Partnerschaft nicht vereinbart hatte und daher die Anerkennung nach nationalem Recht nicht vorlag, kam die USt-Befreiung nicht zur Anwendung. Der EuGH hegte dagegen keine unionsrechtlichen Bedenken. Daraus ergibt sich, so der VwGH, dass den Mitgliedsstaaten bei der Festlegung des Systems staatlicher Anerkennung einer vergleichbaren Zielsetzung großer Gestaltungsspielraum zukommt. Im Ergebnis hat der VwGH keine Zweifel an der grundsätzlichen Unionsrechtskonformität des österreichischen Anerkennungssystems im Rahmen der USt-BLV, die auf das Vorliegen einer Zertifizierung durch eine unabhängige Stelle abzielt.

Nach § 1 Z 9 USt-BLV kommt „jede andere vergleichbare behördliche Zertifizierung“ in Frage, um die USt-Befreiung in Anspruch zu nehmen. Somit kommen Zertifizierungsprogramme anderer Mitgliedsstaaten in Betracht. Darüber hinaus ist es außerdem möglich, dass auch andere, nicht nur die Erwachsenenbildung betreffende Einrichtungen befreit werden, wenn eine entsprechende Zertifizierung vorliegt. Entscheidend ist dafür, so der VwGH, dass die private Bildungseinrichtung „in ihrem Tätigkeitsfeld ein Qualitätsniveau nachweisen kann, das dem für zertifizierte Erwachsenenbildungseinrichtungen entspricht, bildet doch deren in § 1 Z 7 USt-BLV normiertes Zertifizierungssystem den logischen primäre Referenzpunkt für eine solche Vergleichbarkeitsprüfung“. Damit die mitbeteiligte Partei in den Anwendungsbereich der Befreiungsbestimmung fällt, müsste sie daher ein vergleichbares Qualitätsniveau auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendbildung nachweisen.

Im angefochtenen Erk hat das BFG die USt-Befreiung unabhängig vom Nachweis einer Zertifizierung angenommen. Das BFG hat sich dabei, so der VwGH, offenbar vom Vorbringen der mitbeteiligten Partei leiten lassen, dass es dieser trotz mehrmaligem Versuchen nicht möglich war, in Österreich eine Zertifizierungsstelle zu finden. Daraus eine USt-Befreiung abzuleiten, geht jedoch fehl: So ist zu berücksichtigen, dass eine solche Zertifizierung aus dem gesamten EU-Raum beigebracht werden könnte. Dass es europaweit keine Zertifizierungen für Kinderbildungseinrichtungen gibt, hat das BFG jedoch nicht festgestellt. Es steht somit nicht fest, dass die erforderliche Zertifizierung für die Mitbeteiligte gar nicht erreichbar gewesen wäre.

Das BFG hat die Befreiung darüber hinaus – contra legem – unabhängig von einer Zertifizierung zugebilligt und gerade im „sensiblen Bereich der Kinderbildung“ auf die Zertifizierung schlichtweg verzichtet. Mit diesem Abgehen von der inhaltlichen Qualitätsforderung hat das BFG die Rechtslage verkannt. Zudem hat das BFG auch keinen Versuch unternommen selbst Qualitätsnormen zu definieren und davon ausgehend die Vergleichbarkeit zu prüfen.

Schließlich liegt auch kein Verstoß gegen den umsatzsteuerlichen Neutralitätsgrundsatz vor, da sämtliche Betreiber privater Sprachschulen für Kinder in einer vergleichbaren Situation sind und insofern keine Gefahr einer Wettbewerbsbeeinträchtigung besteht. Dass eine solche Gefahr doch besteht, hat das BFG im angefochtenen Erkenntnis zwar in den Raum gestellt, jedoch in weiterer Folge unsubstantiiert gelassen. Das angefochtene Erkenntnis war sohin wegen prävalierender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Conclusio

Das BFG hat im fortgesetzten Verfahren nun festzustellen, ob es innerhalb der EU Zertifizierungsmöglichkeiten für private Sprachschulen für Kinder und Jugendliche gibt. Ist dies der Fall, wird im Hinblick auf die mitbeteiligte Partei endgültig vom Nichtvorliegen einer vergleichbaren Zielsetzung iSd § 6 Abs 1 Z 11 lit a UStG auszugehen sein. Fraglich ist jedoch, wie weiter vorzugehen sein wird, wenn das BFG zum Schluss kommt, dass auch in anderen Mitgliedstaaten keine entsprechenden Zertifizierungsmöglichkeiten bestehen.

Interessant erscheint die im Erk vorgenommene Vergleichspaarbildung. Der VwGH kommt zum Schluss, dass auch andere Betreiber privater Sprachschulen in einer vergleichbaren Situation sind, weshalb keine Gefahr einer Wettbewerbsbeeinträchtigung besteht. Der Vergleich von Betreibern privater Sprachschulen untereinander ist mE jedoch nicht das einzige in Betracht kommende Vergleichspaar. So wäre es wohl auch vorstellbar, öffentliche und private Anbieter von Sprachschulen zu vergleichen; in diesem Fall wäre ein Konflikt mit dem Neutralitätsgrundsatz wohl nicht ausgeschlossen. Wie sich zeigt, kommt der Bildung des Vergleichspaares eine zentrale Bedeutung in der Gleichheitsprüfung zu.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 35048 vom 07.02.2024