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Abstract
§ 295 Abs 4 BAO ermöglicht es der Abgabenbehörde nach der antragsgemäßen Aufhebung eines auf einen Nichtbescheid gestützten Festsetzungsbescheids eine neuerliche Abgabenfestsetzung innerhalb eines Jahres ab dessen Aufhebung vorzunehmen. Dem steht der Eintritt der Verjährung gem § 295 Abs 4 dritter Satz BAO nicht entgegen. Der VwGH hatte nun zu entscheiden, ob auch eine bereits vor Inkrafttreten dieser Regelung eingetretene (absolute) Verjährung von § 295 Abs 4 BAO durchbrochen wird. Nach Ansicht des VwGH gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass derartige Fälle ausgenommen werden sollten. Als verfahrensrechtliche Bestimmung ist § 295 Abs 4 BAO somit für alle ab ihrem Inkrafttreten erfolgenden Rechtsvorgänge und somit auch auf alle noch offenen „Alt-Fälle“ anzuwenden.
VwGH 17. 1. 2024, Ra 2022/13/0071
Sachverhalt
Das FA erließ am 20. 9. 2012 gegenüber dem Rw einen ESt-Bescheid für das Jahr 2008, mit dem der ursprünglich ergangene ESt-Bescheid gem § 295 Abs 1 BAO abgeändert wurde. Die Änderung erfolgte aufgrund einer als Feststellungbescheid intendierten Erledigung vom 2. 7. 2012 betreffend die auf den Rw entfallenden anteiligen Einkünfte aus einer GmbH & Co KG. Eine gegen diesen vermeintlichen Feststellungsbescheid erhobene Beschwerde wurde (mangels Bescheidqualität) vom BFG am 30. 10. 2019 zurückgewiesen. Der Rw stellte daraufhin am 13. 12. 2019 gem § 295 Abs 4 BAO den Antrag, den (von der nun als Nichtbescheid erkannten Erledigung abgeleiteten) ESt-Bescheid vom 20. 9. 2012 aufzuheben. Das Finanzamt wies diesen Antrag – unter Anwendung von § 295 Abs 4 BAO aF (BGBl I 2019/62) – als verspätet zurück. Der dagegen erhobenen Beschwerde des Rw gab das BFG Folge, weil durch die mittlerweile neu gefasste Bestimmung des § 295 Abs 4 BAO idF BGBl I 2021/3 der Antrag als rechtzeitig eingebracht anzusehen war. Somit wurde am 30. 4. 2021 der ESt-Bescheid vom 20. 9. 2012 aufgehoben. Am 15. 11. 2021 erließ das FA unter Hinweis auf einen zwischenzeitlich – nun korrekt ergangenen – Feststellungsbescheid, der den Einkünfteanteil des Rw unverändert zum Nichtbescheid auswies, erneut einen ESt-Bescheid für das Jahr 2008. Begründend führte das FA aus, dass gemäß dem neuen § 295 Abs 4 dritter Satz BAO (idF BGBl I 2021/3) innerhalb eines Jahres ab Bescheidaufhebung ein neuer Abgabenfestsetzungsbescheid erlassen werden könne. Gegen diesen ESt-Bescheid erhob der Rw Beschwerde, weil seiner Ansicht nach bereits am 31. 12. 2018 absolute Verjährung eingetreten sei. Das BFG wies die Beschwerde als unbegründet ab, weil die Abgabenfestsetzung am 15. 11. 2021 innerhalb eines Jahres ab der mit 30. 4. 2021 erfolgten Aufhebung vorgenommen wurde und somit der Eintritt der Verjährung einer erneuten Abgabenfestsetzung nicht entgegensteht. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die gegenständliche ao Revision des Rw, die vorbringt, dass der VwGH die Verjährung als Dauertatbestand charakterisiert habe und demgemäß eine Anwendung von Gesetzesänderungen auf in deren Inkrafttretenszeitpunkt bereits verjährte Angelegenheiten zu verneinen sei.
Entscheidung des VwGH
Die Neufassung des § 295 Abs 4 BAO durch BGBl I 2021/3 erfolgte in Reaktion auf das Erkenntnis des VfGH vom 4. 12. 2019, G 159/2019. Demnach sah der VfGH in der bisherigen Bestimmung des § 295 Abs 4 BAO eine eigenständige Regelung zur Aufhebung von Bescheiden, die unabhängig von der in § 302 Abs 1 BAO mit dem Ablauf der Verjährungsfrist begrenzten Zulässigkeit von Abänderungen, Zurücknahmen und Aufhebungen von Bescheiden besteht (IA 1109/A 27. GP Erläut 31).
Nach der Rsp des VwGH sind verfahrensrechtliche Bestimmungen grundsätzlich für ab ihrem Inkrafttreten erfolgende Rechtsvorgänge anzuwenden, auch wenn sich diese vor dem Inkrafttreten des neuen Verfahrensrechts ereignet haben (vgl VwGH 17. 11. 2020, Ra 2019/13/0067 mwN). Die Revision bringt vor, dass nach der Rsp des VwGH für die Anwendbarkeit einer neuen Verjährungsbestimmung darauf Bedacht zu nehmen sei, ob bei Inkrafttreten dieser Verjährungsbestimmung die absolute Verjährung für einen Abgabenanspruch bereits eingetreten sei. Dem ist aber zu entgegnen, dass die vom Rw ins Treffen geführten Erkenntnisse keinen solchen Inhalt aufweisen. Die Argumentation des Rw würde zudem dazu führen, dass § 295 Abs 4 BAO in seiner neuen Fassung überhaupt nicht auf den Revisionsfall anwendbar gewesen wäre und schon die – vom Rw selbst beantragte – Aufhebung des ESt-Bescheids nicht hätte erfolgen dürfen, weil die Antragstellung und anschließende Aufhebung im Revisionsfall erst nach Ablauf der absoluten Verjährungsfrist, die am 31. 12. 2018 endete, erfolgten. Dafür, dass der Gesetzgeber solche Alt-Fälle nicht von der neuen Bestimmung hätte erfassen wollen, und damit alle Sachverhalte, bei denen die absolute Verjährung bei Inkrafttreten bereits abgelaufen war, von der Möglichkeit der Antragstellung ausnehmen wollte, gibt es keine Anhaltspunkte. Im Übrigen handelt es sich bei § 295 Abs 4 BAO um ein Antragsrecht, das der Abgabepflichtige in Anspruch nehmen kann, aber nicht muss. Es liegt daher an ihm, ob er die Rechtswirkungen dieser Bestimmung in ihrer Gesamtheit für sich in Anspruch nehmen möchte oder nicht. Eine bloß teilweise Anwendung der neuen Bestimmung ist nicht möglich. Im vorliegenden Fall hat der angefochtene ESt-Bescheid vom 15. 11. 2021 die aus dem den Nichtbescheid ersetzenden Feststellungsbescheid enthaltenen Feststellungen übernommen und ist innerhalb der in § 295 Abs 4 BAO normierten Jahresfrist ergangen, weshalb der Eintritt der Verjährung der Abgabenfestsetzung nicht entgegensteht. Die Revision war daher als unbegründet abzuweisen.
Conclusio
Der vorliegende Fall (ESt des Jahres 2008) zeigt, dass die mit 8. 1. 2021 in Kraft getretene Neufassung des § 295 Abs 4 BAO durchaus Bedeutung für ältere Sachverhalte hat. Da Feststellungsbescheide nach § 188 BAO ohne Rücksicht auf die Verjährungsfristen der BAO erlassen werden können (Ritz/Koran, BAO7 [2021] § 207 Rz 8 mwN), könnte die Abgabenbehörde ohne eine Regelung wie § 295 Abs 4 BAO (in seiner neuen Form) zwar nach der Enttarnung eines vermeintlichen Feststellungsbescheides als Nichtbescheid einen neuen Feststellungsbescheid, nicht aber einen davon abgeleiteten neuen Festsetzungsbescheid erlassen. Dies würde zu unsachlichen Ergebnissen führen, in denen die Abgabenfestsetzung nicht mehr zur zugrundeliegenden Feststellung passt (vgl hierzu IA 1109/A 27. GP Erläut 31 f). Es ist daher sachgerecht bei der Übernahme der richtiggestellten Feststellungen in einer neuerlichen Festsetzung die Verjährung nicht entgegenstehen zu lassen. Da der Behörde nur eine vergleichsweise kurze Frist von einem Jahr ab der Aufhebung der vorherigen Festsetzung zur Verfügung steht, ist eine zu weite Überdehnung des durch die Verjährung begrenzten Festsetzungsrechts grundsätzlich nicht zu befürchten. Ein wie im vorliegenden Fall versuchtes Rosinenpicken (durch den Rw), wonach es zwar zur Aufhebung der vorherigen Festsetzung nach der großzügigeren Frist des neuen § 295 Abs 4 BAO, nicht aber zur damit ebenso eingeführten neuerlichen Festsetzung kommen soll, ist – wie auch der VwGH zutreffend ausführt – abzulehnen.