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GrEStG: § 9
Abstract
Der VwGH entschied, dass die Selbstberechnung einer Abgabe Amtshandlungen zur Feststellung des Abgabepflichtigen und Geltendmachung eines Abgabenanspruchs nicht entgegensteht. Auch in diesem Fall kommt es gem § 209 Abs 1 BAO zur Verlängerungswirkung, wenn die Amtshandlung der Geltendmachung eines bestimmten Abgabenanspruchs oder der Feststellung des Abgabepflichtigen dient.
VwGH 20. 10. 2022, Ra 2022/16/0045
Sachverhalt
Die mitbeteiligte Partei und eine Reihe weiterer Personen kauften im Dezember 2010 ideelle Anteile an einer Liegenschaft von einer natürlichen Person. Im Dezember 2015 fertigte die Finanzverwaltung nach Einsicht in das Grundbuch und in die Urkundensammlung einen Grundbuchsauszug und einen Ausdruck des vom Mitbeteiligten abgeschlossenen Kaufvertrags an. Gleichzeitig stellte sie auch an einen Dritten ein Ergänzungsansuchen zu einem auf der verfahrensgegenständlichen Liegenschaft durchgeführten Bauherrenprojekt. Die Finanzverwaltung zog für die Berechnung der Grunderwerbsteuer eine höhere Bemessungsgrundlage heran, weil sie auch die Bau- und Nebenkosten im Zusammenhang mit dem Bauherrenprojekt miteinbezog. Mit Bescheid vom November 2016 setzte sie eine von der Selbstberechnung abweichende Grunderwerbsteuer fest. Das BFG gab der Beschwerde des mitbeteiligten Käufers statt und hob den Bescheid ersatzlos auf. Die Festsetzungsverjährung habe mit Ablauf des Jahres 2010 begonnen und mit Ablauf des Jahres 2015 geendet. Der Bescheid aus dem Jahr 2016 sei außerhalb dieser Frist ergangen, weshalb es darauf ankomme, ob die Amtshandlungen aus dem Jahr 2015 fristverlängernde Wirkung entfalten konnten. Die Amtshandlungen lassen keinen Zusammenhang mit der Geldendmachung eines bestimmten Abgabenanspruchs erkennen. Die Abfrage des Grundbuchstands und der Kaufvertragsurkunden haben auch nicht zur Feststellung des Abgabepflichtigen gedient, weil dieser aufgrund der Selbstberechnung bereits bekannt gewesen sei. Das Ergänzungsersuchen hätte auch zur Geltendmachung eines Umsatzsteuertatbestands gestellt werden können. Die Abgabenbehörden sollen nicht auf Vorrat Auszüge aus öffentlichen Büchern ohne Bezug zu einem bestimmten Abgabenanspruch erstellen können, um diese bei Bedarf als Verlängerungshandlung heranziehen zu können. Es soll daher nicht ausreichend sein, dass eine Amtshandlung, im Nachhinein betrachtet, sich dazu eignet, den mit Bescheid geltend gemachten Abgabenanspruch zu verfolgen. Die Finanzverwaltung erhob gegen dieses Erkenntnis des BFG eine außerordentliche Amtsrevision.
Entscheidung des VwGH
Zunächst führt der VwGH aus, dass auch die Einsichtnahme in das Firmenbuch oder Grundbuch eine Verlängerungshandlung iSd § 209 Abs 1 BAO darstellen kann. Vorausgesetzt wird lediglich, dass die Amtshandlung der Geltendmachung eines bestimmten Abgabenanspruchs oder der Feststellung des Abgabepflichtigen dient. Die Selbstberechnung einer Abgabe steht Amtshandlungen der Finanzverwaltung zur Feststellung des Abgabepflichtigen und zur Geltendmachung des Grunderwerbsteueranspruchs nicht entgegen. Es ist folglich für Verlängerungshandlungen irrelevant, ob der Abgabenbehörde der (vermeintliche) Abgabepflichtige und die Verwirklichung des Grunderwerbsteuertatbestands bereits bekannt waren. Schließlich ist einer Zweckmäßigkeitsprüfung von Amtshandlungen der Abgabenbehörde durch das BFG entgegenzuhalten, dass Amtshandlungen weder notwendig noch zweckmäßig sein müssen, um als Verlängerungshandlung eingeordnet werden zu können.
Im Zeitpunkt der Amtshandlungen war die Abgabebehörde nur für die Erhebung der Grunderwerbsteuer, aber nicht für die Umsatz- oder Einkommensteuer der mitbeteiligten Partei zuständig. Der Grundbuchsauszug wurde dem Grunderwerbsteuerakt des Mitbeteiligten hinzugefügt, weshalb diese Amtshandlung jedenfalls auf die Feststellung des Abgabepflichtigen und der Geltendmachung des Grunderwerbsteueranspruchs gerichtet war. Ebenso wurde der Ausdruck der Kaufvertragsurkunde dem betreffenden Akt hinzugefügt, weil diese der Abgabenbehörde weder übermittelt noch digital verfügbar gemacht wurde. Wenn ein Ergänzungsansuchen an einen Dritten gerichtet wird, ist die geforderte Bestimmtheit des Abgabenanspruchs bereits im Hinblick auf die abgabenrechtliche Geheimhaltungspflicht begrenzt.
Im Ergebnis dienen die Amtshandlungen jedenfalls der Geltendmachung eines bestimmten Abgabenanspruchs und der Feststellung des Abgabepflichtigen. Daher sind die im Jahr 2015 gesetzten Handlungen als Verlängerungshandlungen iSd § 209 Abs 1 BAO anzusehen. In der Folge hob der VwGH das Erkenntnis des BFG aufgrund inhaltlicher Rechtswidrigkeit auf.
Conclusio
Aufgrund der rechtskraftdurchbrechenden Wirkung einer Verlängerungshandlung legte das BFG in seinem dem Verfahren vor dem VwGH zugrundeliegenden Erkenntnis „besonders strenge Kriterien bei der Beurteilung der Tauglichkeit einer derartigen Handlung“ an und verneinte die Verlängerungswirkung von Amtshandlungen, die scheinbar bloß „auf Vorrat“ gesetzt wurden (BFG 18. 3. 2022, RV/7105826/2017). Im Schrifttum wurde eine Entwicklung der Judikatur zugunsten „einer noch stärkeren Konkretisierung und Nachprüfbarkeit der Amtshandlung“ ausgemacht (Papst/Gurtner, Verjährungsfrist: BFG erteilt Bevorratung von Verlängerungshandlungen eine Absage, SWK 2022, 1109 [1114]). Auch hat der VwGH bereits in der Vergangenheit ausgesprochen, dass eine Amtshandlung nur dann als Verlängerungshandlung in Frage kommt, wenn sie jeden Zweifel an der Geltendmachung eines Abgabenanspruchs ausschließt (VwGH 4. 8. 2020, Ra 2020/16/0021). Im Unterschied zum BFG sah der VwGH im gegenständlichen Fall jedoch keine Zweifel an der Tauglichkeit der verfahrensgegenständlichen Amtshandlungen. Der VwGH verwies im Wesentlichen auf seine bestehende Judikatur, wonach eine Verlängerungshandlung iSd § 209 Abs 1 BAO vorliegt, wenn sie der Geltendmachung eines bestimmten Abgabenanspruchs oder der Feststellung des Abgabepflichtigen dient (vgl zB VwGH 28. 3. 2014, 2010/16/0176; VwGH 25. 5. 2022, Ra 2022/15/0001). Auch die Selbstberechnung einer Abgabe schließt Amtshandlungen nicht aus, die auf die Feststellung des Abgabepflichtigen oder Geltendmachung des Abgabenanspruchs gerichtet sind. Entgegen der Auffassung des BFG ist es daher irrelevant, ob die Abgabenbehörde Amtshandlungen „auf Vorrat“ gesetzt hat, solange eines der beiden Kriterien erfüllt ist (vgl Bodis, VwGH zu Verlängerungshandlungen nach § 209 BAO, SWK 2022, 1270 [1273]).