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Wieder: EuGH zur Berechnung der Steuerermäßigung bei der modifizierten Freistellungsmethode

Bearbeiter: Nicholas Pacher

AEUV: Art 45, 63 Abs 1 , 65 Abs 1 lit a

EStG 1988: § 33 Abs 11

Abstract

Der EuGH hatte sich im vorliegenden Fall erneut mit der Unionsrechtskonformität der belgischen Präzisierung der abkommensrechtlichen Freistellungsmethode mit Progressionsvorbehalt zu befassen. Dabei war insbesondere fraglich, ob und inwieweit im Beschäftigungsstaat gewährte Steuerermäßigungen den Wohnsitzstaat von seiner Pflicht, persönliche und familiäre Begünstigungen zu gewähren, entbinden können. Das ist laut Gerichtshof nur insoweit möglich, als eine Korrelation zwischen der Versagung von Abzügen im Wohnsitzstaat und der Gewährung gleichwertiger Steuervorteile im nationalen Recht des Beschäftigungsstaats existiert.

EuGH 15. 7. 2021, BJ, C-241/20, EU:C:2021:605.

Sachverhalt

Der Steuerpflichtige BJ war in Belgien ansässig und bezog Einkünfte aus Luxemburg, die in Belgien nach dem DBA BEL/LUX unter Progressionsvorbehalt von der Besteuerung auszunehmen waren. Wie diese abkommensrechtliche Steuerbefreiung zu gewähren war, ergab sich aus Belgiens nationalem Recht: Zuerst wurde die belgische Einkommensteuer unter Einbeziehung der steuerbefreiten luxemburgischen Einkünfte berechnet. Anschließend wurden Steuerermäßigungen in Abzug gebracht, die der Berücksichtigung der persönlichen und familiären Situation des Steuerpflichtigen dienten. Schließlich wurde die verminderte Basissteuer zur Vermeidung der Doppelbesteuerung um einen Betrag verringert, der sich aus der Multiplikation der verminderten Steuer mit dem Anteil der steuerbefreiten Auslandseinkünfte an den Gesamteinkünften von BJ ergab.

BJ und das vorlegende Gericht waren der Meinung, dass die Berechnungsweise der Steuerermäßigung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung dazu führe, dass BJ einen Teil der Steuerermäßigungen betreffend seine persönliche und familiäre Situation einbüßt, weil er Einkünfte in einem anderen Mitgliedstaat erzielt hat. Folglich wollte das Tribunal de première instance du Luxembourg zunächst vom EuGH wissen, ob eine derartige Versagung von persönlichen und familiären Steuerbegünstigungen mit den Grundfreiheiten vereinbar ist. Falls dem nicht so sei, stelle sich aus Sicht des vorlegenden Gerichts die Folgefrage, ob die Grundfreiheitsbeschränkung durch die Gewährung von Steuerermäßigungen seitens des Beschäftigungsstaats Luxemburg neutralisiert werden könne. Das DBA BEL/LUX sah nämlich vor, dass Luxemburg die Einkünfte von in Belgien ansässigen Personen auf Antrag unter Berücksichtigung luxemburgischer persönlicher und familiärer Begünstigungen besteuert. Hierfür müssen mehr als 50 % der Einkünfte der infrage kommenden Steuerpflichtigen aus Luxemburg stammen, was bei BJ der Fall war.

Entscheidung des EuGH

Hinsichtlich des Vorliegens einer Grundfreiheitsbeschränkung bestätigte der Gerichtshof seine ständige Rechtsprechung (vgl EuGH 12. 12. 2002, de Groot, C‑385/00, EU:C:2002:750; 14. 3. 2019, Jacob und Lennertz, C‑174/18, EU:C:2019:205), indem er feststellte, dass die strittige Berechnungsformel den teilweisen Verlust von Steuervergünstigungen zur Folge hat, die BJ „vollständig gewährt worden wären, wenn seine gesamten Einkünfte belgischen Ursprungs gewesen wären und wenn die Steuerermäßigungen deshalb lediglich auf diese Einkünfte angerechnet worden wären“. Eine derartige Benachteiligung gegenüber einem reinen Inlandssachverhalt könne „Unionsbürger von der Ausübung der durch den Vertrag garantierten Freiheiten und insbesondere der in Art. 45 AEUV verbürgten Arbeitnehmerfreizügigkeit abhalten“. Insofern stelle die strittige Berechnungsweise der Steuerermäßigung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung eine grundsätzlich verbotene Beschränkung der Grundfreiheiten dar. Eine Beschränkung würde nur dann nicht vorliegen, wenn die in Belgien versagten Vergünstigungen ersatzweise in Luxemburg – sei es aufgrund eines DBA oder unilateral – gewährt würden. Im Endeffekt müsse sichergestellt sein, dass einem in Belgien ansässigen und in Luxemburg tätigen Steuerpflichtigen zumindest dasselbe Ausmaß an persönlichen und familiären Vergünstigungen gewährt wird wie einem ausschließlich in Belgien tätigen Steuerinländer.

Allein die Regelung, dass Luxemburg unter gewissen Umständen bei der Besteuerung von in Luxemburg erzielten Einkünften luxemburgische Steuervergünstigungen gewährt, gleiche laut EuGH den Verlust von Steuervergünstigungen in Belgien noch nicht aus. Denn zum einen stimmen die Voraussetzungen für die Gewährung der luxemburgischen Vergünstigungen und die Versagung der belgischen nicht überein; es bestehe also keine unmittelbare Wechselbeziehung zwischen ihnen, die einen Ausgleich sicherstellen würde. Zum anderen entsprächen die gewährten luxemburgischen Vergünstigungen ihrer Art nach nicht exakt den eingebüßten belgischen oder seien diesen zumindest nicht gleichwertig. Solange BJ insgesamt aber nicht dieselben oder gleichwertige Vergünstigungen wie im reinen Inlandssachverhalt in Belgien gewährt werden, bleibe die Grundfreiheitsbeschränkung durch Belgien bestehen und sei, weil von der belgischen Regierung kein zulässiger Rechtfertigungsgrund vorgebracht wurde, als unzulässig zu qualifizieren.

Conclusio

Die strengen Anforderungen des EuGH betreffend den Ausgleich der vom Gerichtshof angenommenen Grundfreiheitsbeschränkung des Wohnsitzstaates Belgien durch den Beschäftigungsstaat Luxemburg erinnern an die ebenso strenge Judikatur zur Neutralisierung einer diskriminierenden Quellensteuererhebung auf Dividenden: Eine solche Ungleichbehandlung ist nur insoweit gerechtfertigt, als der Ansässigkeitsstaat des Investors tatsächlich eine Anrechnung der diskriminierenden Quellensteuer vornimmt (vgl zB EuGH 17. 9. 2015, Miljoen, C-10/14, C‑14/14 und C‑17/14, EU:C:2015:608, Rn 79 f). Für den österreichischen Gesetzgeber ergibt sich aufgrund des vorliegenden Judikats kein Handlungsbedarf. Das Urteil bekräftigt nämlich bloß die ständige Rechtsprechung des EuGH beginnend mit de Groot (EuGH 12. 12. 2002, de Groot, C‑385/00, EU:C:2002:750), auf die Österreich durch die Einführung des § 33 Abs 11 EStG mit dem AbgSiG 2007, BGBl I 99/2007, bereits reagiert hat.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 31482 vom 24.09.2021