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Zur Umsatzsteuerbarkeit des ORF-Programmentgelts

Bearbeiter: Rainer Borns

MwStSyst-RL: Art 2 Abs 1

Abstract

Der VwGH legte dem EuGH die Frage vor, ob das ORF-Programmentgelt als Entgelt iSd Art 2 Abs 1 MwStSyst-RL anzusehen ist. Mitunter ist unklar, inwiefern die Beitrittsbedingungen Österreichs zur EU bei der Auslegung von Art 2 Abs 1 heranzuziehen sind und ob die Entscheidungsgründe des EuGH zur tschechischen Rundfunkgebühr (EuGH 22. 6. 2016, C-11/15, Český rozhlas) auf das ORF-Programmentgelt angewendet werden können.

VwGH 16. 3. 2022, Ro 2020/15/0021

Sachverhalt

Die Revisionswerberin (Rw) ist am Standort Wien bei der Gebühren Info Service GmbH (GIS) als Rundfunkteilnehmerin registriert. Der Standort wird digital-terrestrisch mit den Programmen des ORF versorgt, ein Empfang mit Zimmerantenne wäre daher grundsätzlich möglich. Die Tatsache, dass die Rw über keine SAT-Karte (Smartcard) verfügt und folglich die Programme nicht empfangen kann, ändert nichts am Entstehen der Zahlungsverpflichtung gem § 31 Abs 10 ORF-G.

Im Zeitraum 2013—2018 wurde der Rw zusätzlich zum ORF-Programmentgelt die Umsatzsteuer iHv 10 % verrechnet. 2018 beantragte sie, dass die GIS mit Bescheid festlegt, dass die in diesem Zeitraum bezahlte Umsatzsteuer zurückerstattet wird. Im Wesentlichen stützte sich die Rw auf ein Urteil des EuGH, in dem die Umsatzsteuerbarkeit der tschechischen Rundfunkgebühr verneint wurde (EuGH 22. 6. 2016, C-11/15, Český rozhlas). In den ersten beiden Instanzen wurde das Begehren mit der Begründung abgewiesen, dass die tschechische Rundfunkgebühr nicht mit dem ORF-Programmentgelt vergleichbar ist. Schließlich wurde Revision erhoben.

Vorlage und Erläuterungen

Der VwGH legte dem EuGH folgende Frage vor: „Ist ein Entgelt wie das österreichische ORF-Programmentgelt, (…), unter Berücksichtigung der primärrechtlichen Bestimmung des Art. 151 Abs. 1 iVm Anhang XV Teil IX Nr. 2 Buchstabe h Unterabsatz 1 zweiter Gedankenstrich der Akte über die Beitrittsbedingungen und die Anpassungen der die Union begründenden Verträge (Abl. C 241 vom 29. August 1994, S 336) als Entgelt iSd Art. 2 in Verbindung mit Art. 378 Nr. 1 der Richtlinie 2006/112/EG (…) anzusehen?“

Bei Bejahung der ersten Frage will der VwGH vom EuGH zudem wissen, ob das ORF-Programmentgelt auch als Entgelt gem Art 2 Abs 1 anzusehen ist, wenn mangels erforderlichen Empfangsmoduls die Programme nicht empfangen werden können.

Zunächst weist der VwGH auf die Unterschiede zwischen dem ORF-Programmentgelt und der tschechischen Rundfunkgebühr hin. Während Letztere entsteht, sobald eine Rundfunkeinrichtung betrieben wird, erfordert das ORF-Programmentgelt zusätzlich, dass der Standort terrestrisch mit den ORF-Programmen versorgt wird. Insoweit ergeben sich wesentliche Unterschiede, weshalb die Grundsätze aus der Entscheidung in der Rs Český rozhlas nicht angewendet werden können.

Anschließend führt der VwGH aus, dass eine Leistung gegen Entgelt gem Art 2 Abs 1 vorliegt, sobald ein Rechtsverhältnis und ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung gegeben sind. Dabei unterscheidet der VwGH zwei Gruppen: Einerseits gibt es Rundfunkteilnehmer, die sich ein Empfangsmodul (Smartcard oder Kabelanbieter) anschaffen. Andererseits gibt es Personen, die zwar über eine Rundfunkeinrichtung verfügen, sich allerdings kein erforderliches Modul anschaffen und daher keine ORF-Programme empfangen. Laut VwGH bringt der Rundfunkteilnehmer durch die Anschaffung zum Ausdruck, dass er die ORF-Programme nutzen möchte. In diesem Fall entsteht ein für den Leistungsaustausch relevantes Rechtsverhältnis zwischen ORF und Rundfunkteilnehmer. Fehlt dieses Empfangsmodul, ist fraglich, ob ein für den Leistungsaustausch notwendiges Rechtsverhältnis gegeben ist.

Abschließend erläutert der VwGH, dass sich Österreich beim EU-Beitritt vorbehalten hat, Tätigkeiten der öffentlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten, die keinen gewerblichen Charakter aufweisen, weiterhin zu besteuern. Daher sind diese Tätigkeiten in Österreich nicht gem Art 132 Abs 1 lit q MwStSyst-RL steuerbefreit. Fraglich ist nun, inwiefern dieser Vorbehalt bei der Interpretation von Art 2 Abs 1 MwStSyst-RL zu berücksichtigen ist.

Conclusio

Laut EuGH kann von einer Leistung gegen Entgelt iSd Art 2 Abs 1 gesprochen werden, wenn ein Rechtsverhältnis vorliegt und die Leistung unmittelbare mit der Gegenleistung zusammenhängt. Ein Rechtsverhältnis ist gegeben, sobald Leistung (terrestrische Versorgung mit den Programmen), Gegenleistung (ORF-Programmentgelt) und Leistungsempfänger (Rundfunkteilnehmer) bestimmbar sind. Dieses Erfordernis ist bei beiden vom VwGH genannten Gruppen zu bejahen.

Von einem unmittelbaren Zusammenhang ist auszugehen, wenn sowohl Leistender als auch Leistungsempfänger in Wertschätzung der jeweils gegenüberstehenden Leistung leisten. In der ersten Gruppe wird — wie vom VwGH überzeugend ausgeführt wurde — diese Wertschätzung durch das Anschaffen des Empfangsmoduls ersichtlich. Die zweite vom VwGH genannte Gruppe umfasst Personen, die das ORF-Programmentgelt zahlen, obwohl es ihnen an einem Empfangsmodul fehlt. Durch den Verzicht ein derartiges Modul anzuschaffen, ist offenkundig, dass es diesen Personen bei Zahlung des ORF-Programmentgelts nicht auf die gegenüberstehende Leistung (Zurverfügungstellung der Programme) ankommt. Ein unmittelbarer Zusammenhang ist daher zu verneinen. Allerdings bleibt fraglich, inwiefern der Vorbehalt Österreichs im EU-Beitrittsakt, das Programmentgelt weiterhin besteuern zu dürfen, für die Interpretation des Art 2 Abs 1 MwStSyst-RL heranzuziehen ist. Umstritten ist, ob dadurch eine Möglichkeit geschaffen wird, das ORF-Programmentgelt zu besteuern, obwohl kein unmittelbarer Zusammenhang und folglich keine Leistung gegen Entgelt iSd Art 2 Abs 1 vorliegt (siehe etwa Lang/Dziurdź, Die umsatzsteuerliche Behandlung des ORF-Programmentgelts im Lichte der jüngsten EuGH-Judikatur, SWK 2016, 1244 (1259 f).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 32575 vom 25.05.2022