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Zustellung an Limited mit Sitz in England?

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

ZustG: § 2, § 13

Voraussetzung für eine betriebliche Abgabestelle iSd § 2 Z 4 ZustG ist eine wirtschaftliche Organisationseinheit, an der sich der Empfänger (bzw bei juristischen Personen ein befugter Vertreter iSd § 13 Abs 3 ZustG) regelmäßig aufhält. Dies ist hier nicht der Fall: Der unter www.e*.at erreichbare Onlineshop der Erstbekl (einer Limited nach englischem Recht mit Hauptverwaltung in England) enthält nach den Feststellungen zwar mehrere Hinweise auf einen Standort im Inland, den sie ebenso iZm ihrer UID anführt und an dem auch ein Teil ihrer Geschäftstätigkeit stattfindet, allerdings nur die Entgegennahme von Retourware. An der auf der Website ua als „Postanschrift“ angeführten Adresse ist nach den Erhebungsergebnissen tatsächlich ein anderes Unternehmen ansässig, das Büros vermietet und etwa die Versandvorbereitung und Postaufgabe für Dritte übernimmt und von einer Vertragspartnerin der Erstbekl mit der Entgegennahme und Weiterleitung von Warenrücksendungen an diese betraut worden war. Weiters steht ausdrücklich fest, dass die Erstbekl ihre Vertragspartnerin mit der Entgegennahme von Warensendungen in Form von Paketen beauftragte, eine solche von Briefpost jedoch untersagte, und diese Einschränkungen auch an das vor Ort ansässige Sub-Unternehmen weitergegeben wurden. Davon ausgehend ist die Rechtsansicht des RekursG jedenfalls vertretbar, das eine Abgabestelle ebenso wie das Vorliegen einer Postvollmacht iSd § 13 Abs 2 ZustG im Einzelfall verneinte.

Wenn die Erstbekl die Unwirksamkeit der Zustellungen geltend machte (ähnlich 8 Ob 69/07s) und die versäumten Prozesshandlungen (Klagebeantwortung und Nichtigkeitsberufung) im Rahmen ihres hilfsweisen Wiedereinsetzungsantrags nachholte, kann ihr nicht entgegengehalten werden, sie könne sich auf einen Zustellmangel nicht berufen, weil sie „dem Zustellinhalt gemäß reagiert“ habe und es zu einer „Heilung durch Einlassung“ gekommen sei. Bei der Rechtsansicht der kl Rechtsmittelwerberin würde jede Rüge eines Zustellmangels bereits zu dessen Heilung führen.

OGH 19. 12. 2023, 4 Ob 217/23z

Sachverhalt

Die Kl, eine (klagebefugte) Lizenznehmerin für Parfum- und Kosmetikprodukte, wirft den Bekl eine Verletzung von Rechten aus nationalen und Unionsmarken vor, weil sie entgegen § 10b MarkSchG nicht für den EWR bestimmte Originalprodukte in Österreich in Verkehr bringen würden.

Die Erstbekl ist eine Limited nach englischem Recht, wobei im Revisionsrekursverfahren keine Anhaltspunkte vorliegen, dass die Hauptverwaltung nicht in England stattfinden würde, sodass sich keine Fragen der Rechtsfähigkeit stellen (s dazu RS0134015). Die (nicht am Rechtsmittelverfahren beteiligte, in den USA wohnhafte) Zweitbekl war nach dem Vorbringen bei Klagseinbringung Geschäftsführerin (Director) und Hauptgesellschafterin.

Während das ErstG von wirksamen Zustellungen der verfahrenseinleitenden Schriftsätze, einer (einseitig erlassenen) einstweiligen Verfügung sowie eines Versäumungsurteils an beide Bekl ausging, jeweils die Rechtskraft und Vollstreckbarkeit bestätigte und Anträge der Erstbekl nach § 7 Abs 3 EO und auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurück- bzw abwies, gab das RekursG einem dagegen gerichteten Rechtsmittel Folge und den Anträgen der Erstbekl auf Zustellung der Klage, des Auftrags zur Klagebeantwortung und des Versäumungsurteils sowie auf Aufhebung der Rechtskraft- und Vollstreckbarkeitsbestätigung hinsichtlich des Versäumungsurteils statt. Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ es nicht zu.

Der außerordentliche Revisionsrekurs wurde vom OGH mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Entscheidung

Keine konkludente Postvollmacht

Die Kl (Rechtsmittelwerberin) argumentiert unter Berufung auf den Webauftritt der Erstbekl mit einer konkludenten Postvollmacht, kann damit aber kein Abgehen von den Grundsätzen der Rsp durch das RekursG aufzeigen, das im Einzelfall die überbundenen Beschränkungen für maßgeblich erachtete; nach dem Akteninhalt verweigerte die vor Ort ansässige Bürodienstleisterin eine Übernahme der gerichtlichen RSb-Sendungen und ging gerade nicht von einer dahingehenden Ermächtigung aus.

Nicht gefolgt werden kann der Kl weiters darin, dass eine Beschränkung einer derartigen privatrechtlichen Vollmacht auf eine bestimmte Art der Sendung im Außenverhältnis unwirksam wäre, liegt insofern doch keine Formalvollmacht vor (wie etwa § 32 ZPO oder § 20 Abs 2 GmbHG).

Von der – auch konkludenten – Bevollmächtigung eines Vertreters durch den Empfänger ist die Erklärung des Empfängers gegenüber dem Zustelldienst iSd § 13 Abs 2 ZustG zu unterscheiden, bestimmte Personen zur Entgegennahme bestimmter Sendungen zu ermächtigen (vormals § 150 PostG; s dazu 9 ObA 91/91; zum Zustellbevollmächtigen s überdies § 9 ZustG, §§ 93 ff ZPO). Eine dahingehende Erklärung wurde aber nicht einmal behauptet. Keine Rede kann auch davon sein, dass die vor Ort ansässige Bürodienstleisterin sowie die Zusteller auf einen von den Bekl gesetzten Anschein vertraut hätten, retournierten sie die gerichtlichen Sendungen doch mangels Abgabemöglichkeit an das ErstG. Daher erübrigt sich auch eine Auseinandersetzung mit der von der Kl aufgeworfenen Frage nach einer Anscheinsvollmacht im Zustellrecht.

Keine Heilung durch Einlassung

Da kein Zustellstück vor Ort zurückgelassen wurde, gehen zudem sämtliche Ausführungen zu einer Heilung nach § 7 ZustG ins Leere.

Ein Schriftstück gilt nach stRsp nämlich nur dann als „tatsächlich zugekommen“, wenn es in die Hände des Empfängers gelangt (vgl RS0083731); die bloße Kenntnis des Inhalts oder auch eine Akteneinsicht ersetzt nicht die Zustellung (vgl RS0083711; RS0083733).

Zwar vertrat der OGH bereits die Auffassung, dass ein nachträgliches Berufen auf einen Zustellmangel dann nicht möglich sei, wenn „dem Zustellinhalt gemäß reagiert“ wurde, insb eine Verfügung über das Schriftstück getroffen wurde und es zu einer „Heilung durch Einlassung“ gekommen ist, etwa bei Erhebung eines Rechtsmittels gegen die nicht oder nicht gesetzmäßig zugestellte Entscheidung (vgl RS0083731 [T9]).

In concreto beschränkte sich die Erstbekl jedoch darauf, die Unwirksamkeit der Zustellungen geltend zu machen (ähnlich 8 Ob 69/07s) und die versäumten Prozesshandlungen, nämlich die Klagebeantwortung und eine Nichtigkeitsberufung, im Rahmen ihres hilfsweisen Wiedereinsetzungsantrags nachzuholen. Bei der Rechtsansicht der Kl würde jede Rüge eines Zustellmangels bereits zu dessen Heilung führen.

Keine bösgläubige Zustellvereitelung

Soweit die Kl schließlich mit einem „bösgläubigen System der Zustellvereitelung“ argumentiert, ist ihr entgegenzuhalten, dass eine Zustellung am Sitz der Erstbekl in England oder am Wohnsitz eines vertretungsbefugten Organs iSd § 13 Abs 3 ZustG bis dato noch nicht einmal versucht wurde, und auch nicht an einem allfällig davon abweichenden Ort der Hauptverwaltung, der von der Rsp bei sogenannten „reinen Briefkastenadressen“ bereits als Abgabestelle qualifiziert wurde (RS0110127; 8 Ob 139/22g). Von einem „Rosinenpicken“ kann ebensowenig gesprochen werden, ist doch keineswegs nachgewiesen, dass die vorab per E-Mail versandten Abmahnschreiben den Bekl postalisch zugegangen wären.

Zutreffend verwies das RekursG zudem auf § 20 ZustG, wonach das zuzustellende Dokument an der Abgabestelle zurückzulassen oder zu hinterlegen ist, um bei einer unberechtigten Annahmeverweigerung Rechtswirkungen zu entfalten (s dazu auch 8 ObA 295/95), was hier gerade nicht der Fall war.

Die Rekursentscheidung ist auch weder aktenwidrig noch mangelbehaftet. Inwiefern eine Überraschungsentscheidung des RekursG iSd §§ 182, 182a ZPO vorliegen sollte, und welches zusätzliche Vorbringen zu ermöglichen gewesen wäre (RS0037095 [T4]), lässt das Rechtsmittel offen.

In der Folge wird daher über die Nichtigkeitsberufung der Erstbekl zu entscheiden sein; auf § 469 Abs 3 ZPO wird verwiesen. Die Zustellungen im Provisorialverfahren sowie an die Zweitbekl waren nicht Thema des Revisionsrekursverfahrens.

Im fortgesetzten Verfahren wird mit der Kl im Übrigen die territoriale Reichweite ihrer jeweiligen Klagebegehren zu erörtern sein (s dazu Art 125 f, 131 UMV).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 35203 vom 20.03.2024