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Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz: Zur Notwendigkeit steuerlicher Begleitmaßnahmen

Univ.-Prof. Dr. Sabine Kanduth-Kristen, LL.M.

Am 26. 6. 2019 wurde die Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz, kurz RIRL), im ABl der Europäischen Union L 172/18 verlautbart. An der Umsetzung in das nationale Recht wird derzeit gearbeitet.1 Der Beitrag zeigt auf, dass es insb für den präventiven Restrukturierungsrahmen auch steuerlicher Begleitmaßnahmen bedarf, und umreißt im Rahmen einer ersten Einschätzung, in welchen Bereichen solche erforderlich sein könnten bzw woran bei der Ausarbeitung eines Restrukturierungsplans aus steuerlicher Sicht zu denken sein wird.2


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1. Ziel und rechtliche Rahmenbedingungen des präventiven Restrukturierungsrahmens

Mit dem präventiven Restrukturierungsrahmen3 soll dem Schuldner ein Instrumentarium zur Sanierung zur Verfügung gestellt werden, bevor die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nach nationalem Recht eingetreten sind. Zweck ist es, eine Insolvenz durch die Restrukturierung4 von Vermögenswerten und Schulden zu vermeiden.5 Um einen Missbrauch zu verhindern, sollten die finanziellen Schwierigkeiten des Schuldners allerdings bereits auf eine wahrscheinliche Insolvenz (likelyhood of insolvency) hinweisen. Auch können unredliche Schuldner unter bestimmten Umständen vom Restrukturierungsrahmen ausgeschlossen werden.6 Die Begriffe der "Insolvenz" und der "wahrscheinlichen Insolvenz" (ebenso wie "Kleinstunternehmen" sowie "kleine und mittlere Unternehmen" [KMU]) sind gem Art 2 Abs 2 RIRL iSd nationalen Rechts zu verstehen. Der Restrukturierungsplan soll die Insolvenz des Schuldners abwenden und die Bestandsfähigkeit des Unternehmens sicherstellen.7 Nach Art 6 Abs 1 RIRL stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass der Schuldner im Rahmen des präventiven Restrukturierungsrahmens zur Unterstützung der Verhandlungen eine Aussetzung von Einzelvollstreckungsmaßnahmen in Anspruch nehmen kann.8 Die Formulierung der konkreten Regelungen (etwa auch die Beschränkung auf bestimmte Gläubigergruppen) obliegt den Mitgliedstaaten.

Bei der Ausgestaltung des präventiven Restrukturierungsrahmens stehen den Mitgliedstaaten viele Wahlrechte zu.9 Aus verfahrensrechtlicher Sicht kann der präventive Restrukturierungsrahmen gem Art 4 Abs 5 RIRL aus einem oder mehreren Verfahren, Maßnahmen oder Bestimmungen bestehen, von denen einige außergerichtlich durchgeführt werden können. Die Mitgliedstaaten können zudem gem Art 4 Abs 6 RIRL Bestimmungen erlassen, mit denen die Beteiligung einer Justiz- oder Verwaltungsbehörde an dem präventiven Restrukturierungsrahmen auf das Erforderliche und Angemessene beschränkt wird, wobei zugleich sicherzustellen ist, dass die Rechte betroffener Parteien und einschlägiger Interessenträger gewahrt werden.10 Der präventive Restrukturierungsrahmen könnte somit als einheitliches gerichtliches oder auch als weitgehend außergerichtliches Verfahren, in das die Justiz- und Verwaltungsbehörden bloß punktuell eingebunden sind, eingeführt werden. Auch jede graduell dazwischen liegende Ausgestaltung ist denkbar.11 In der deutschen Literatur12 wurden mit dem Hinweis auf die deutsche Tradition Präferenzen für die Ausgestaltung als gerichtliches Verfahren geäußert, soweit sich der Restrukturierungsrahmen nicht in einem Vergleich erschöpft. Die Mitgliedstaaten können außerdem gem Art 5 Abs 2 RIRL die Voraussetzungen festlegen, unter denen ein Restrukturierungsbeauftragter im Verfahren (zwingend) beizuziehen ist,13 wobei in Art 5 Abs 3 RIRL Fälle geregelt sind, in denen die Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten jedenfalls vorzusehen ist.14

Der präventive Restrukturierungsrahmen umfasst gem Art 1 Abs 5 RIRL grds sämtliche Verbindlichkeiten des Schuldners (damit auch solche gegenüber dem Fiskus),15 wobei bestimmte Ansprüche (etwa von Arbeitnehmern) davon ausgeschlossen werden können. Die Gläubiger sind nach der RIRL für Zwecke der Annahme des Restrukturierungsplans in Klassen zu gruppieren, wobei zumindest Gläubiger mit gesicherten16 und solche mit ungesicherten Forderungen in unterschiedliche Klassen einzureihen sind.17 Nach Art 10 Abs 2 lit b RIRL werden Gläubiger mit ausreichenden gemeinsamen Interessen in derselben Klasse gleich und im Verhältnis zu ihren Forderungen behandelt.

Im Rahmen des Restrukturierungsverfahrens kann es mit dem Ziel der Sanierung zu einer Kürzung von Forderungen der Gläubiger kommen.18 Aus diesem Grund und zur Sicherstellung, dass die Kürzung in einem angemessenen Verhältnis zu den mit der Restrukturierung verbundenen Vorteilen steht, ist die Bestätigung des Restrukturierungsplans durch eine Justiz- oder Verwaltungsbehörde notwendig.19 Eine solche Bestätigung ist nach Art 10 RIRL als Voraussetzung für die Verbindlichkeit des Plans für die Parteien zumindest dann vorzusehen, wenn es ablehnende betroffene Parteien gibt, wenn der Restrukturierungsplan Bestimmungen für eine neue Finanzierung enthält oder wenn der Plan zum Verlust von mehr als 25 % der Arbeitsplätze führt.20 In anderen Fällen kann eine Bestätigung vom nationalen Gesetzgeber vorgesehen werden. Nach Jurgutyte-Ruez/Urthaler 21 werden in der Praxis nahezu alle Restrukturierungspläne gerichtlich zu


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bestätigen sein, weil nur selten alle betroffenen Parteien zustimmen und keine neuen Finanzierungen vorgesehen sein werden.

2. Ertragsteuerliche Aspekte

2.1. Gewinne aus einem Schulderlass bzw Sanierungsgewinne

Zentraler Bestandteil eines Restrukturierungsplans wird in der Praxis - neben der Einleitung anderer finanzieller Sanierungsmaßnahmen wie etwa der Veräußerung von nicht betriebsnotwendigen Vermögensgegenständen oder einer Neuverhandlung von Finanzierungsrahmen und Finanzierungsfristen - die Aushandlung eines Schuldnachlasses mit bestimmten Gläubigern bzw Gläubigergruppen sein.22

Aus ertragsteuerlicher Sicht führt ein Nachlass betrieblicher Schulden zu einem Gewinn, der - je nach Rechtsform - der Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer unterliegt. Bei Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich entsteht der Gewinn durch eine Betriebsvermögensvermehrung aufgrund des (teilweisen) Wegfalls von Betriebsschulden, bei Gewinnermittlung durch Einnahmen-Ausgaben-Rechnung führt der (teilweise) Wegfall jener Schulden zu einem Gewinn aus einem Schulderlass, deren Begleichung keine Betriebsausgabe darstellen würde (dies betrifft insb den Wegfall von Bankverbindlichkeiten).23 Entsprechend der Rechtsprechung und Verwaltungspraxis zum gerichtlichen Insolvenzverfahren wird der Gewinn aus dem Schulderlass bzw der Sanierungsgewinn ertragsteuerlich durch Erfüllung der im Restrukturierungsplan vereinbarten Quote entstehen.24 Die daraus ggf resultierende Steuerforderung wird als künftige Ertragsteuerforderung nicht vom Restrukturierungsplan selbst erfasst sein.25

In § 36 EStG und in § 23a KStG sind Regelungen für eine abweichende Steuerfestsetzung bzw Steuerberechnung vorgesehen, die Sanierungsvorgänge steuerlich entlasten sollen. In beiden Fällen sind allerdings lediglich Schulderlässe bzw Sanierungsgewinne aufgrund eines gerichtlichen Insolvenzverfahrens betroffen. § 36 EStG betrifft Gewinne aus Schulderlässen, die durch die Erfüllung eines Sanierungsplans gem §§ 140-156 IO, eines Zahlungsplans (§§ 193-198 IO) oder durch die Erteilung einer Restschuldbefreiung nach Durchführung eines Abschöpfungsverfahrens (§§ 199-216 IO) entstanden sind. § 23a KStG regelt die Berechnung der Steuer für Sanierungsgewinne aufgrund der Erfüllung der Sanierungsplanquote nach Abschluss eines Sanierungsplans gem §§ 140-156 IO.

Für den außergerichtlichen Ausgleich existiert keine gesetzliche Regelung, sondern bloß eine Richtlinienaussage des BMF in den EStR und in den KStR. Ein Rechtsanspruch auf eine abweichende Steuerfestsetzung bzw Steuerberechnung besteht daher im außergerichtlichen Bereich nicht.26 Nach Rz 7272 EStR 2000 sowie nach Rz 1538 KStR 2013 sind die Abgabenbehörden gem § 206 Abs 1 lit b BAO befugt, in Sanierungsfällen im Rahmen eines außergerichtlichen Ausgleichs von der Abgabenfestsetzung in einer dem § 36 EStG bzw § 23a KStG vergleichbaren Weise Abstand zu nehmen. Voraussetzung ist, dass der Schuldnachlass die Voraussetzungen eines Sanierungsgewinnes (Vorliegen von Sanierungsbedürftigkeit, Sanierungsabsicht und Sanierungseignung)27 erfüllt, wobei es aber im Anwendungsbereich des EStG auf die Betriebsfortführung nicht ankommt (wohl aber im Anwendungsbereich des KStG). Die Abgabenbehörden haben bei einer Abstandnahme von der Abgabenfestsetzung in einer dem § 36 EStG vergleichbaren Weise (bei natürlichen Personen) darauf Bedacht zu nehmen, inwieweit die dem Schuldnachlass zugrunde liegende wirtschaftliche Situation auf unangemessen hohe Entnahmen zurückzuführen ist bzw inwieweit sich die zum Schuldnachlass Anlass gebenden Verluste bereits steuerlich ausgewirkt haben. Es werden hier daher im Hinblick auf den fehlenden rechtlichen Rahmen strengere Maßstäbe angelegt als im gerichtlichen Verfahren.

Mit Umsetzung des präventiven Restrukturierungsrahmens im nationalen Recht wird eine gesetzliche Regelung für eine vorinsolvenzliche Sanierung eingeführt werden. Vor dem Hintergrund des Ziels der Regelung - Abwendung einer Insolvenz - wäre es wünschenswert und auch zielführend, die Regelungen der § 36 EStG und § 23a KStG auf Schulderlässe aufgrund eines Restrukturierungsplans auszudehnen. Die für das Vorliegen eines Sanierungsgewinnes gem § 23a KStG erforderlichen Kriterien der allgemeinen Sanierungsmaßnahme, Sanierungsbedürftigkeit, Sanierungsabsicht und Sanierungseignung werden bei Anwendung des präventiven Restrukturierungsrahmens idR erfüllt sein. In den präventiven Restrukturierungsrahmen müssen zwar nicht alle Gläubiger einbezogen werden. Jedoch muss das Ziel der Abwendung einer wahrscheinlichen Insolvenz angestrebt werden und erreichbar erscheinen. Daher sollte das Kriterium der allgemeinen Sanierungsmaßnahme, das nach hA einzelfallbezogen zu beurteilen ist und für das die Einbeziehung sämtlicher Gläubiger nicht erforderlich ist,28 mE im Falle des Schulderlasses im Rahmen eines Restrukturierungsplans (generell) als gegeben angesehen werden können. Die Kriterien der Sanierungsbedürftigkeit (Stichwort: likelyhood of insolvency), der Sanierungsabsicht (Verzicht der Gläubiger zum Zwecke der Sanierung des Unter-


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nehmens) und der Sanierungseignung (Vermeidung des Zusammenbruchs und Wiederherstellung der Ertragsfähigkeit des Unternehmens) werden aufgrund der Zielsetzungen des Verfahrens (Abwendung der Insolvenz, Sicherung der Bestandsfähigkeit) ebenfalls erfüllt sein.29

Der Fiskus sollte daher (wie in einem gerichtlichen Sanierungsplanverfahren) einen Beitrag zum Gelingen des Restrukturierungsplans in der Form leisten, dass er im selben Verhältnis auf die Ertragsteuer aus dem Schulderlass (durch abweichende Steuerfestsetzung bzw Steuerberechnung) verzichtet, wie dies die am Restrukturierungsplan teilnehmenden Gläubiger in Bezug auf ihre Forderungen tun. Dies wäre durch eine Erweiterung der Tatbestandsvoraussetzungen in § 36 EStG und § 23a KStG erreichbar. Zu beachten ist dabei, dass sich für die Gläubiger - anders als etwa beim Sanierungsplanverfahren - keine einheitliche Quote ergeben muss. Bei der abweichenden Steuerfestsetzung gem § 36 EStG und bei der Steuerberechnung nach § 23a KStG wäre daher jeweils von den mit den Gruppen von Gläubigern vereinbarten Quoten auszugehen.

Für Schulderlässe im Rahmen von außergerichtlichen Ausgleichen besteht derzeit keine gesetzliche Regelung. Dies ist nicht zuletzt auf den fehlenden zivilrechtlichen Rahmen zurückzuführen. Im Hinblick auf die unter Pkt 1. angesprochenen Wahlrechte bei der Ausgestaltung des präventiven Restrukturierungsrahmens wäre daher in Bezug auf mögliche steuerliche Begleitmaßnahmen iSd § 36 EStG und § 23a KStG eine stärkere und nicht bloß punktuelle Einbeziehung der Justiz- und Verwaltungsbehörden wünschenswert.30 Dies würde es dem Steuergesetzgeber ermöglichen, an ein Verfahren mit entsprechender gerichtlicher Kon-trolle anzuknüpfen.

2.2. Verlustvortragsgrenze bei Körperschaften

§ 8 Abs 4 Z 2 lit a KStG sieht vor, dass der Verlustvortrag bei Körperschaften nur im Ausmaß von 75 % des Gesamtbetrags der Einkünfte zusteht. 25 % des Gesamtbetrags der Einkünfte sind daher (nach Abzug allfälliger weiterer Sonderausgaben iSd § 8 Abs 4 Z 1 KStG)31 auch bei Bestehen von Verlustvorträgen der Körperschaftsteuer zu unterwerfen. Die Verlustvortragsgrenze gilt allerdings gem § 8 Abs 4 Z 2 lit b KStG ua nicht für Sanierungsgewinne gem § 23a KStG sowie für Gewinne, die in Veranlagungszeiträumen anfallen, die von einem Insolvenzverfahren betroffen sind. Damit wird eine volle Verrechenbarkeit von Sanierungsgewinnen32 sowie von laufenden Gewinnen ermöglicht, die während eines Insolvenzverfahrens anfallen.33 Mit der vollen Verrechnung von Verlustvorträgen in Zeiträumen, die von einem Insolvenzverfahren betroffen sind, soll eine ertragsteuerliche Entlastung von Konkurs- und Sanierungsverfahren nach der IO bewirkt werden. In zeitlicher Hinsicht sind Veranlagungszeiträume von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis zu dessen Aufhebung betroffen.34

Für Körperschaften sollte auch im Rahmen des präventiven Restrukturierungsrahmens eine volle Verrechnung von Verlustvorträgen vorgesehen werden. Sanierungsgewinne, die aufgrund eines Restrukturierungsplans iSd RIRL erzielt werden, wären bereits nach der jetzigen Textierung des § 8 Abs 4 Z 2 lit b erster TS KStG von der Verlustvortragsgrenze ausgenommen.35 Für laufende Gewinne, die etwa aus dem Verkauf von Vermögenswerten im Rahmen der Restrukturierung erzielt werden, könnte eine Ausnahme von der Vortragsgrenze vergleichbar der Regelung für Insolvenzverfahren vorgesehen werden. Dies würde allerdings mE voraussetzen, dass Beginn und Ende eines Restrukturierungsverfahrens iSd RIRL gesetzlich geregelt und konkret bestimmbar sind.

2.3. Aufdeckung stiller Reserven

Bei der Ausarbeitung des Restrukturierungsplans ist zu beachten, dass Ertragsteuern aus der Aufdeckung stiller Reserven infolge der Verwertung von Vermögensgegenständen des Schuldners - mangels ausreichender Verlustvorträge - zu einer in voller Höhe zu begleichenden Verbindlichkeit gegenüber dem Fiskus und damit zu einer Liquiditätsbelastung des Schuldners führen.36 Eine Einbeziehung in den Restrukturierungsplan wird für solche Steueransprüche, die erst durch das Verfahren entstehen, nicht in Betracht kommen.37

3. Umsatzsteuerliche Aspekte

3.1. Vorsteuerkorrektur gem § 16 UStG

Aus umsatzsteuerlicher Sicht zieht der Nachlass von Verbindlichkeiten, die aus Leistungsbeziehungen herrühren, für die


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dem Schuldner der Vorsteuerabzug zustand, eine Korrektur der Vorsteuer gem § 16 Abs 3 Z 1 UStG wegen Uneinbringlichkeit des Entgelts nach sich. Umgekehrt steht es dem Lieferanten zu, die Umsatzsteuer gem § 16 UStG zu korrigieren. Die Vorsteuerkorrektur beim Schuldner führt zu einer Verbindlichkeit gegenüber dem Finanzamt. Im Rahmen eines Insolvenzverfahrens ist die Vorsteuerkorrektur als Insolvenzforderung einzustufen und bloß quotenmäßig am Verfahrensende zu befriedigen.38 Für Vorsteuerrückzahlungen aufgrund des Nachlasses von Verbindlichkeiten im Rahmen eines Restrukturierungsplans wäre zu prüfen, ob diese in den Restrukturierungsplan einbezogen werden können. Dabei ist zu bedenken, dass diese Vorsteuerkorrekturen erst durch Abschluss und - sofern vorgesehen - durch Bestätigung des Restrukturierungsplans von einer Justiz- oder Verwaltungsbehörde entstehen.39 Eine Uneinbringlichkeit des Entgelts wird vor diesem Zeitpunkt idR nicht anzunehmen sein, da der präventive Restrukturierungsrahmen nur anwendbar ist, wenn die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens noch nicht vorliegen. Im Falle der Aussetzung von Einzelvollstreckungsmaßnahmen nach Art 6 Abs 1 RIRL wäre - in Abhängigkeit von der Ausgestaltung im nationalen Recht - zu prüfen, ob bereits dadurch eine Verpflichtung zur Vorsteuerkorrektur ausgelöst werden kann.40

Je nach Höhe der vom Restrukturierungsplan umfassten Lieferantenforderungen und der ausverhandelten Quote kann die Verpflichtung zur Vorsteuerrückzahlung eine nicht unwesentliche Liquiditätsbelastung darstellen.41 Die prozentuelle Belastung durch die Vorsteuerkorrektur ist dabei umso höher, je höher der Schuldnachlass durch den Lieferanten (und damit je geringer die Quotenzahlung) ausfällt.

Beispiel

Beispiel:

Die Verbindlichkeit gegenüber einem Lieferanten beträgt 100 plus 20 % USt (= 120 brutto).

-Es wird ein Schuldnachlass von 40 % vereinbart (Quote = 60 %). Der Lieferant erhält 72, an das Finanzamt wäre ein Vorsteuerbetrag von 8 (20 x 40 %) zurückzuzahlen. Unter Berücksichtigung der Vorsteuerrückzahlung erhöht sich die Liquiditätsbelastung sohin auf 66,67 % (+ 6,67 %) des Verbindlichkeitsbetrags (72 + 8 = 80 im Verhältnis zu 120).
-Es wird ein Schuldnachlass von 60 % vereinbart (Quote = 40 %). Der Lieferant erhält 48, an das Finanzamt wäre ein Vorsteuerbetrag von 12 (20 x 60 %) zurückzuzahlen. Unter Berücksichtigung der Vorsteuerrückzahlung erhöht sich die Liquiditätsbelastung sohin auf 50 % (+ 10 %) des Verbindlichkeitsbetrags (48 + 12 = 60 im Verhältnis zu 120).

Beschränkt sich der Restrukturierungsplan auf Gläubiger, denen gegenüber keine mit Umsatzsteuer belasteten Verbindlichkeiten bestehen, tritt die Problematik der Vorsteuerkorrektur nicht auf.

3.2. Umsatzsteuer aus der Verwertung pfand-rechtlich belasteter Liegenschaften

Belastungen aus dem Titel der Umsatzsteuer könnten sich ua auch aus der Verwertung von pfandrechtlich belasteten Liegenschaften im Rahmen der Restrukturierung ergeben, wenn für die Veräußerung gem § 6 Abs 2 UStG zur Umsatzsteuer optiert wird oder wenn im Falle der Nichtoption eine Vorsteuerkorrektur gem § 12 Abs 10 UStG anfällt.42 Besicherte Gläubiger können in den Restrukturierungsplan einbezogen werden, es kann hierbei aber auch zwischen dem gesicherten und dem nicht gesicherten Teil der Forderung differenziert werden. Soweit dem Gläubiger der Erlös aus der Verwertung aufgrund seiner pfandrechtlichen Sicherstellung zur Gänze zukommt, ergibt sich für den Schuldner in der genannten Konstellation eine aus der Option zur Umsatzsteuer oder - im Falle der Nichtoption - eine aus einer Vorsteuerkorrektur gem § 12 Abs 10 UStG resultierende Steuerbelastung, der kein oder kein ausreichender Liquiditätszufluss gegenübersteht. Im Insolvenzfall würde die mit Pfandrechten belastete Liegenschaft eine Sondermasse iSd § 48 IO darstellen, die aufgrund der Option gem § 6 Abs 2 UStG anfallende Umsatzsteuer wäre als Sondermasseforderung iSd § 49 Abs 1 IO einzustufen, die vorab aus dem Verwertungserlös zu berichtigen ist. Eine Vorsteuerkorrektur gem § 12 Abs 10 UStG stellt im Insolvenzverfahren nach der Rechtsprechung des OGH eine bloß quotenmäßig zu befriedigende Insolvenzforderung dar.43 Die Insolvenzmasse wird daher in beiden Fällen entweder nicht (Option zur Umsatzsteuer gem § 6 Abs 2 UStG) oder nicht voll (Vorsteuerberichtigung gem § 12 Abs 10 UStG) belastet. Innerhalb des präventiven Restrukturierungsrahmens nach der RIRL gibt es das Institut der Sondermassekosten iSd § 49 Abs 1 IO nicht, auch eine bloß "quotenmäßige" Berichtigung einer Vorsteuerberichtigung gem § 12 Abs 10 UStG ist nicht vorgesehen. Eine Einbeziehung in den Restrukturierungsplan (iSd bloß quotenmäßigen Befriedigung) kommt für diese Ansprüche mE nicht in Betracht, die Umsatzsteuerbelastung wird daher in solchen Fällen bei der Ausarbeitung des Restrukturierungsplans entsprechend zu berücksichtigen sein.


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4. Zusammenfassung

Steuerliche Begleitmaßnahmen erscheinen insb im Bereich der Ertragsteuern notwendig und möglich. Dazu zählt eine gesetzliche Regelung zur Behandlung von Schulderlässen aufgrund eines Restrukturierungsplans. Um das Ziel der RIRL aus steuerlicher Sicht nicht zu konterkarieren, wäre mE eine Ausdehnung der Bestimmungen § 36 EStG und § 23a KStG auf Schulderlässe im Rahmen eines präventiven Restrukturierungsrahmens vorzunehmen. Die Bereitschaft des Steuergesetzgebers zu einer solchen Maßnahme wird wohl auch von der konkreten Ausgestaltung des präventiven Restrukturierungsrahmens im nationalen Recht abhängen. Außerdem sollte die Verlustvortragsgrenze bei Körperschaften auch für Gewinne aufgehoben werden, die in Zeiträumen anfallen, die von einem Restrukturierungsverfahren betroffen sind. Dies setzt allerdings voraus, dass es für die Eröffnung und die Beendigung eines solchen Verfahrens konkrete gesetzliche Regelungen gibt. Gewinne aufgrund von Schulderlässen infolge eines Restrukturierungsplans stellen Sanierungsgewinne dar und erfüllen mE schon nach der derzeitigen gesetzlichen Textierung die Voraussetzungen für die Aufhebung der Verlustvortragsgrenze im KStG.

Im Bereich der Umsatzsteuer können sich ebenfalls Belastungen ergeben, die dem Verfahrenserfolg entgegenstehen könnten. Zu denken ist hierbei zB an die Vorsteuerkorrektur iSd § 16 UStG aufgrund eines Schulderlasses durch Lieferanten sowie an die Umsatzsteuer gem § 6 Abs 2 UStG oder an eine Vorsteuerkorrektur gem § 12 Abs 10 UStG infolge der Veräußerung von pfandrechtlich belasteten Liegenschaften. Können solche Ansprüche nicht in den Restrukturierungsplan einbezogen werden, sind sie dennoch bei der Ausarbeitung des Plans aufgrund der zu erwartenden Liquiditätsbelastung zu berücksichtigen.


2

Der Hamburger Kreis für Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht (www.hamburger-kreis.org) hat sich in dem Workshop "Brauchen wir eine Restrukturierungssteuerreform?" am 10. 9. 2019 in Berlin mit der Frage auseinandergesetzt, welche steuerlichen Aspekte der dt Gesetzgeber bei der Umsetzung der RIRL regeln sollte. Siehe dazu auch Kahlert, Hat das Steuerrecht die Macht, den von der EU-Kommission vorgeschlagenen präventiven Restrukturierungsrahmen außer Kraft zu setzen? NZI-Beilage 2017/1, 52. Die Autorin hat an diesem Workshop teilgenommen und sich in der Folge mit dem Regelungsbedarf im österr Rechtsbereich befasst.


3

Vgl dazu im Detail Jurgutyte-Ruez/Urthaler, Der präventive Restrukturierungsrahmen in der Restrukturierungs-RL, ZIK 2019/116, 91.


4

Zu den Maßnahmen, die als Restrukturierung gelten, s Art 2 Abs 1 Z 1 RIRL.


5

Vgl Art 1 Abs 1 lit a sowie Art 4 Abs 1 RIRL; Mohr, Die Richtlinie über die Restrukturierung und Insolvenz - ein kurzer Gesamtüberblick, ZIK 2019/115, 86 (87).


6

Vgl Art 4 Abs 2 RIRL sowie ErwGr 27.


7

Vgl ErwGr 24.


8

Vgl dazu sowie zur Insolvenz- und Vertragsauflösungssperre Jurgutyte-Ruez/Urthaler, ZIK 2019/116, 91 (94 ff).


9

Siehe dazu Mohr, ZIK 2019/115, 86 ff; Jurgutyte-Ruez/Urthaler, ZIK 2019/116, 91 ff.


10

Zu den Regelungen der Richtlinie in diesem Zusammenhang s Vallender, Die Rolle der Gerichte im vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahren, NZI-Beilage 2019/1, 71.


11

Vgl Jurgutyte-Ruez/Urthaler, ZIK 2019/116, 91 (93).


12

Vgl Kern, Die Eintrittsvoraussetzungen in das Verfahren, NZI-Beilage 2019/1, 18 (19); s auch Dahl/Linnebrink, Die Umsetzung der EU-Richtlinie durch den deutschen Gesetzgeber, NZI-Beilage 2019/1, 45 (46).


13

Vgl ErwGr 30.


14

Siehe dazu Seagon, Die Rolle des Restrukturierungsbeauftragten, NZI-Beilage 2019/1, 73 ff.


15

Siehe auch ErwGr 44 und 52. Die Frage der Einbeziehung von vor dem präventiven Restrukturierungsverfahren entstandenen Steuerforderungen in den Restrukturierungsplan wird nach der Umsetzung in das nationale Recht konkret zu beleuchten sein (s dazu Kahlert, NZI-Beilage 2017/1, 52 [55 f]).


16

Auch Gläubiger mit gesicherten Forderungen können in den präventiven Restrukturierungsrahmen einbezogen werden.


17

Vgl Art 9 Abs 4 RIRL sowie ErwGr 44. Vgl dazu sowie zum klassenübergreifenden Cram-down Jurgutyte-Ruez/Urthaler, ZIK 2019/116, 91 (98 ff). Handelt es sich bei dem Schuldner um ein KMU, kann die Klassenbildung unterbleiben (Art 9 Abs 4 RIRL).


18

Zu den Unterschieden zwischen einem Sanierungsplan nach nationalem Recht und dem präventiven Restrukturierungsplan s Mohr, ZIK 2019/115, 86 (87 f).


19

Vgl ErwGr 48.


20

Vgl ErwGr 48.



22

Vgl auch Mohr, ZIK 2019/115, 86 (87).


23

Siehe dazu ua Heinrich in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, Einkommensteuergesetz (15. Lfg; 2011) § 36 Rz 48 ff; Kanduth-Kristen in Kanduth-Kristen/Laudacher/Lenneis/Marschner/Peyerl, Jahreskommentar Einkommensteuergesetz12 (2019) § 36 Rz 13.


24

Vgl VwGH 24. 5. 1993, 92/15/0041; EStR 2000 Rz 7270; KStR 2013 Rz 1523.


25

Siehe dazu Kahlert, NZI-Beilage 2017/1, 52 (55). Vorhandene Verlustvorträge sind mit dem Gewinn aus dem Schulderlass/Sanierungsgewinn zu verrechnen, wobei die Verlustvortragsgrenze im KStG gem § 8 Abs 4 Z 2 lit b KStG nicht zur Anwendung kommt.


26

Vgl Heinrich in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG § 36 Rz 62; Kanduth-Kristen in Kanduth-Kristen/Laudacher/Lenneis/Marschner/Peyerl, Jakom EStG12 § 36 Rz 32.


27

Vgl zu diesen Kriterien KStR 2013 Rz 1524 ff sowie Blasina in Renner/Strimitzer/Vock, Die Körperschaftsteuer (KStG 1988) (28. Lfg; 2016) § 23a Rz 14 ff.


28

Vgl KStR 2013 Rz 1525; s auch Blasina in Renner/Strimitzer/Vock, KStG § 23a Rz 25.


29

Selbst im Falle eines klassenübergreifenden Cram-down ist erforderlich, dass der Restrukturierungsplan von einer signifikanten Gruppe von Gläubigern mitgetragen wird (vgl Jurgutyte-Ruez/Urthaler, ZIK 2019/116, 91 [99]).


30

Als Nachteil der Ausgestaltung als gerichtliches Verfahren wird in der Literatur die damit verbundene Publizität angeführt. Die gerichtliche Bestätigung des Restrukturierungsplans durch eine Justiz- oder Verwaltungsbehörde wäre iZm steuerlichen Begleitmaßnahmen aber wohl eine Notwendigkeit.


31

Bei § 7 Abs 3-Körperschaften werden allerdings in Bezug auf diese Ausgaben idR ohnehin Betriebsausgaben vorliegen, sodass für den Abzug als Sonderausgaben kaum ein Raum verbleibt.


32

Die Vortragsgrenze ist auch auf Sanierungsgewinne aufgrund von außergerichtlichen Ausgleichen nicht anzuwenden, denn die Anwendbarkeit des § 23a KStG ist nicht Voraussetzung für die Aufhebung der Verlustvortragsgrenze (vgl KStR 2013 Rz 992b).


33

Siehe dazu im Detail Raab/Renner in Renner/Strimitzer/Vock, KStG (27. Lfg; 2015) § 8 Rz 269 ff, sowie KStR 2013 Rz 992b.


34

Näher dazu KStR 2013 Rz 992b.


35

Wie unter Pkt 2.1. dargestellt, ist davon auszugehen, dass die Gewinne aus Schulderlässen, die auf die Erfüllung eines Restrukturierungsplans zurückzuführen sind, den Begriff des Sanierungsgewinnes erfüllen.


36

Auch im Rahmen eines gerichtlichen Sanierungsverfahrens stellen Ertragsteuern aus der Verwertung von Massevermögen nach Insolvenzeröffnung durch den Insolvenzverwalter eine Masseforderung dar. Kritisch im Hinblick auf die Zielsetzungen der RIRL Roth, Notwendige steuerrechtliche Rahmenbedingungen für das vorinsolvenzliche Restrukturierungsverfahren, NZI-Beilage 2019/1, 51 (52 f).


37

Siehe auch Kahlert, NZI-Beilage 2017/1, 52 (55).


38

So auch UStR 2000 Rz 2405.


39

Die Mitgliedstaaten sind unionsrechtlich dazu verpflichtet, die Erhebung der gesamten in ihrem Hoheitsgebiet geschuldeten Mehrwertsteuer sowie eine wirksame Erhebung der Eigenmittel der Union zu gewährleisten. Dieser Grundsatz ist zu berücksichtigen, wenn eine Mehrwertsteuerforderung nur teilweise befriedigt werden soll, denn die Maßnahme darf keinen allgemeinen und undifferenzierten Verzicht auf die Erhebung der Mehrwertsteuer darstellen (vgl EuGH 7. 4. 2016, C-546/14, Degano Trasporti).


40

Zur Auslegung in Deutschland s Kahlert, NZI-Beilage 2017/1, 52 (54).


41

Anzumerken ist allerdings, dass die Vorsteuern anlässlich ihrer Geltendmachung die Liquidität des Unternehmens entlastet haben.


42

Zur Option zur Umsatzsteuer für Grundstücksveräußerungen sowie zur Vorsteuerkorrektur gem § 12 Abs 10 UStG s ua Ruppe/Achatz, Umsatzsteuergesetz5 (2017) § 6 Rz 249/1 ff und § 12 Rz 285 ff.



Artikel-Nr.
ZIK 2019/255

31.12.2019
Heft 6/2019
Autor/in
Sabine Kanduth-Kristen

Dr. Sabine Kanduth-Kristen, LL.M., StB, ist Universitätsprofessorin am Institut für Finanzmanagement der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Abteilung für Betriebliches Finanz- und Steuerwesen und Mitglied der Forschungsgruppe anwendungsorientierte Steuerlehre (FAST).

Publikationen:
Jakom – EStG-Kommentar13 (2020; gemeinsam mit Marco Laudacher, Christian Lenneis, Ernst Marschner und Hermann Peyerl), Internationales Steuerrecht2 (2019), Bilanzposten-Kommentar (2017; Herausgeberschaft gemeinsam mit Gudrun Fritz-Schmied), Rechtsformgestaltung2 (2016; Herausgeberschaft gemeinsam mit Petra Hübner-Schwarzinger), Insolvenz und Steuern2 (2000; gemeinsam mit Herbert Kofler) sowie weitere Bücher und zahlreiche Aufsätze in Sammelbänden und Fachzeitschriften.