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Das Verbraucherkreditrecht ist in Bewegung. Verantwortlich dafür sind nicht nur COVID-19 und das in diesem Zusammenhang vom Gesetzgeber erlassene Kreditmoratorium. Zusätzlich haben auch verschiedene Entscheidungen des EuGH und des OGH zuletzt dafür gesorgt, dass zu zahlreichen Fragen, die teilweise bereits geklärt schienen, aktuell Rechtsunsicherheit besteht: Betroffen davon sind ua das Rücktrittsrecht des Kreditnehmers, die Kostenfolgen bei vorzeitiger Kreditrückzahlung, Fremdwährungskredite und Verzugszinsen, aber auch ganz allgemeine Themen wie die rechtssichere Einbeziehung von AGB. Die nachfolgenden Ausführungen stellen diese Fragen im Überblick dar und geben dazu auch manche Einschätzung.1
Bevor auf die spezifischen Fragen des Verbraucherkreditrechts eingegangen wird, sei vorweg auf von der Rechtsprechung forcierte Entwicklungen im AGB-Recht hingewiesen, welche für Verwender von Geschäftsbedingungen nicht unerhebliche Rechtsunsicherheit mit sich bringen. Betroffen davon sind insb auch Banken, weil diese (fast) ausnahmslos AGB verwenden und auf diese Weise den Geschäftsverkehr mit ihren Kunden näher regeln.2 Das gilt gerade auch für den Bereich des Verbraucherkredits, zumal sich die von den Gesetzen verlangten vertraglichen Mindestangaben (insb § 9 VKrG) anders nur schwer bewältigen lassen.3
Bereits seit einiger Zeit stehen AGB-Verwender (und Kautelarjuristen) vor der - nach wie vor ungelösten - Frage, wie einmal zum Vertragsinhalt erhobene AGB im Massengeschäft gleichförmig durch Vereinbarung geändert werden können. Problematisch ist dieser - davor eigentlich unspektakuläre - Vorgang seit dem Fall OGH 1 Ob 210/12g,4 in dem eine allgemein gebräuchliche Zustimmungsfiktionsklausel, nach der das Schweigen des Kunden bei Einhaltung gewisser prozeduraler Anforderungen die Zustimmung zu einem Änderungsangebot des AGB-Verwenders bedeutete, wegen gröblicher Benachteiligung (§ 879 Abs 3 ABGB) und Intransparenz (§ 6 Abs 3 KSchG) als nichtig qualifiziert wurde. Begründet wurde dies damit, dass die Klausel keine inhaltlichen Beschränkungen hinsichtlich der Gestaltung der im Wege der Zustimmungsfiktion zu vereinbarenden Klausel enthalte. Das ist mittlerweile stRsp.5
Mit Blick auf die jüngere Judikatur des OGH ist aktuell freilich nicht mehr allein unsicher, inwieweit der AGB-Verwender Vertragsänderungen im Verhältnis zu allen Bestandskunden effektiv bewirken kann. Vielmehr geben verschiedene rezente Entscheidungen den Verwendern berechtigten Anlass zur Sorge, dass deren Geschäftsbedingungen möglicherweise gar nicht Eingang in die Vertragsbeziehungen mit ihren Kunden gefunden haben. Ins Visier des OGH geraten sind zuletzt nämlich genauso neutrale wie häufige Verweise auf AGB ("Einbeziehungsverweise"), die dann, wenn sie wegen Nichtigkeit wegfallen, die von ihnen bezweckte Einbeziehung gerade nicht mehr sicherstellen können.6
So haben insb der Verweis auf die AGB "in der jeweils gültigen Fassung",7 aber auch der Einbeziehungsverweis "Es gelten unsere AGB" die Transparenzprüfung des OGH nicht bestanden.8 Erstere Formulierung könnte - so die Befürchtung des Höchstgerichts - bei kundenfeindlichster Auslegung wegen der Verwendung des Wortes "jeweils" ein schrankenloses Änderungsrecht beinhalten, durch zweitere Formulierung würde hingegen - so die hierzu geäußerten Bedenken - nicht ausreichend klargestellt, dass die Fassung zum Kontrahierungszeitpunkt maßgeblich sei. Intransparent sei es davon abgesehen aber auch, wenn die Einbeziehungsklausel den Fundort der AGB nicht angebe:
Dann wäre nämlich nicht sichergestellt, "dass der Verbraucher diese zuverlässig in ihrer für das konkrete Vertragsverhältnis gültigen Form auffinden" könne.9
Schließlich sehen sich auch die im Banken-, insb aber auch im Versicherungssektor typischerweise verwendeten Mehr-Urkunden-Systeme, bei denen sich allgemeine Bedingungen und produktspezifische Sonderbedingungen ergänzen, Transparenzbedenken ausgesetzt, wobei diese bis dato - soweit ersichtlich - nur iZm Banken-AGB, nicht jedoch auch iZm Versicherungsbedingungen geäußert wurden.10 Kritisch wird es hier für den AGB-Verwender immer dann, wenn die Verweise zwischen den Bedingungen dazu führen, dass sich der Kunde aus den AGB jene Regelungen heraussuchen muss, die auch für das mit ihm geschlossene Vertragsverhältnis maßgeblich sind. Dass diese Ansicht bei strenger Deutung das Konzept von AGB als solches infrage stellt, hat bereits Kellner 11 betont: Denn AGB haben typischerweise den Zweck, allgemeine und nicht bloß besondere (produktspezifische) Regelungen zu treffen, sodass sich bei Mehr-Urkunden-Systemen pauschale Verweise, die den Kunden dann "zum Heraussuchen zwingen", oft nur schwer vermeiden lassen.
Mit Blick auf diese Tendenzen in der Rechtsprechung werden in der Vertragsurkunde enthaltene Einbeziehungsverweise auf AGB im Verbraucherbereich künftig immer weniger das Mittel der Wahl sein. In der Praxis zeichnet sich diese Entwicklung auch schon ab: So gehen manche Verwender dazu über, nur mehr eine Vertragsurkunde zu errichten und in diese ihre zuvor in eigenen AGB enthaltenen Regelungen zu implementieren. Dies kann freilich ein Vertragswerk von nicht unerheblichem Umfang erzeugen und wird deswegen auch nicht immer das geeignete Instrument sein.
Alternativ dazu bietet es sich - unter Berücksichtigung des aktuellen Standes der Judikatur - an, in der Vertragsurkunde ausdrückliche Verweise auf jene Bestimmungen der Allgemein- und Sonderbedingungen zu setzen, die in der konkreten Geschäftsbeziehung zur Anwendung gelangen sollen. Diese Lösung hat den Vorteil, dass hier einerseits eindeutig klargestellt werden kann, welche Bedingungen die für die Geschäftsbeziehung maßgeblichen sind und wo diese aufgefunden werden können; andererseits muss der Kunde die für ihn einschlägigen AGB-Bestimmungen in diesem Fall auch nicht eigens heraussuchen, sodass die dargestellten Transparenzbedenken des OGH hier nicht greifen sollten.
Dass beide der dargestellten Auswege mit einem erhöhten administrativen Aufwand und korrespondierenden Gestionskosten verbunden sein werden, steht auf einem anderen Blatt.
Art 10 Abs 2 lit p der VerbraucherkreditRL12 schreibt vor, dass der Verbraucherkreditvertrag in klarer prägnanter Form (in der englischen Sprachfassung: "in a clear and concise manner") anzugeben hat: "das Bestehen oder Nichtbestehen eines Widerrufsrechts sowie die Frist und die anderen Modalitäten für die Ausübung des Widerrufsrechts, einschließlich der Angaben zu der Verpflichtung des Verbrauchers, das in Anspruch genommene Kapital zurückzuzahlen, den Zinsen gemäß Artikel 14 Absatz 3 Buchstabe b und der Höhe der Zinsen pro Tag".
Der EuGH hatte zu C-66/19 folgende Rücktrittsbelehrung zu einem in Deutschland gewährten Verbraucherkredit zu beurteilen:
"Der Darlehnsnehmer kann seine Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen in Textform (z. B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehnsnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (z. B. Angaben zur Art des Darlehens, Angaben zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat. [...]"
§ 492 Abs 2 BGB enthält selbst keine inhaltlichen Informationen zu den Pflichtangaben, sondern nur einen Verweis auf Art 247 EGBGB: "Der Vertrag muss die für den Verbraucherdarlehensvertrag vorgeschriebenen Angaben nach Artikel 247 §§ 6 bis 13 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche enthalten."
Die §§ 6-13 des EGBGB listen die vorgeschriebenen Vertragsinhalte teilweise direkt auf, zum guten Teil finden sich aber nur weitere Verweise auf andere Bestimmungen im EGBGB und im BGB selbst.
Das vorlegende Gericht bemängelte, dass die Pflichtangaben, deren Erteilung an den Verbraucher gem Art 10 Abs 2 lit p und Art 14 Abs 1 VerbraucherkreditRL für den Beginn der Frist für den Widerruf des Vertrags maßgeblich sei, als solche nicht im Vertrag enthalten seien: "Um sie herauszufinden, müsse sich der Verbraucher daher mit einer Vielzahl nationaler Bestimmungen beschäftigen, die in verschiedenen Gesetzeswerken enthalten seien."
Der EuGH schloss sich dieser Kritik an und führte zunächst ua Folgendes aus:
- | Zu den Informationen, die nach dieser Bestimmung in einem Kreditvertrag in klarer, prägnanter Form anzugeben sind, gehören die in Art 14 Abs 1 der VerbraucherkreditRL vorgesehenen Modalitäten für die Berechnung der Widerrufsfrist. |
- | Die Widerrufsfrist beginnt erst zu laufen, wenn dem Verbraucher die Informationen gem Art 10 dieser Richtlinie übermittelt wurden, sofern der betreffende Zeitpunkt nach dem Tag des Abschlusses des Kreditvertrags liegt. Besagter Art 10 zählt die Informationen auf, die in Kreditverträgen anzugeben sind. |
- | Verweist ein Verbrauchervertrag hinsichtlich der Informationen, die nach Art 10 der RL 2008/48 anzugeben sind, auf bestimmte Vorschriften des nationalen Rechts, so kann der Verbraucher auf der Grundlage des Vertrags weder den Umfang seiner vertraglichen Verpflichtung bestimmen, noch überprüfen, ob der von ihm abgeschlossene Vertrag alle nach dieser Bestimmung erforderlichen Angaben enthält, und erst recht nicht, ob die Widerrufsfrist, über die er verfügen kann, für ihn zu laufen begonnen hat. |
Während man bis hier den EuGH dahin verstehen könnte, dass er den Verweis auf eine die Pflichtangaben auflistende gesetzliche Regelung ganz allgemein für ungenügend erachtete, ändert sich das Bild im Folgenden:
In Rn 41 der Entscheidung beschreibt der EuGH die zu beurteilende Situation wie folgt"Vorab ist festzustellen, dass [...] der [...] Vertrag klarstellt, dass die Widerrufsfrist nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB erhalten hat, zu laufen beginnt. § 492 Abs. 2 BGB verweist seinerseits auf Art. 247 §§ 6 bis 13 EGBGB, worin wiederum auf weitere Bestimmungen des BGB verwiesen wird."
Darauf kommt der EuGH in den Rn 48 und 49 seiner Entscheidung zurück: " In einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens ist daher festzustellen, dass ein Verweis in dem in Rede stehenden Vertrag auf die nationalen Rechtsvorschriften entsprechend der Darstellung oben in Rn. 41 nicht [...] dem Erfordernis genügt, den Verbraucher [...] in klarer, prägnanter Form über die Frist und die anderen Modalitäten für die Ausübung des Widerrufsrechts zu informieren."
"Art. 10 Abs. 2 Buchst. p der Richtlinie 2008/48 ist dahin auszulegen, dass er dem entgegensteht, dass ein Kreditvertrag hinsichtlich der in Art. 10 dieser Richtlinie genannten Angaben auf eine nationale Vorschrift verweist, die selbst auf weitere Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats verweist ."
Der Stein des Anstoßes ist also nicht der Umstand, dass hinsichtlich der Pflichtangaben auf eine gesetzliche Bestimmung verwiesen wird, sondern der diesbezügliche mehrfache Kaskadenverweis vom Vertrag auf § 496 BGB, von dort auf Art 249 EGBGB §§ 6-13 und von dort wiederum auf weitere Bestimmungen im EGBGB und im BGB. Dass diese Technik schon im Lichte der Anforderung, der Verbraucher sei klar auch über den Beginn der Rücktrittsfrist zu informieren, kritisch gesehen wird, ist nachvollziehbar.
Andererseits muss aber auch berücksichtigt werden, dass die Information des Verbrauchers auch prägnant (concise) zu erfolgen hat. Prägnant (concise) ist eine Information nach dem Wortsinn dann, wenn sie etwas in knapper Form treffend darstellt.
Nach § 12 VKrG kann der Verbraucher von einem Kreditvertrag innerhalb von vierzehn Tagen ohne Angabe von Gründen zurücktreten. Die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts beginnt mit dem Tag, an dem der Kreditvertrag abgeschlossen wurde. Erhält der Verbraucher die Vertragsbedingungen und die Informationen gem § 9 erst später, so beginnt die Frist mit diesem Tag.
In Österreich sind die Pflichtinhalte des Verbraucherkreditvertrags in § 9 Abs 2 VKrG in 22 Punkten aufgelistet, ua in Z 16 die Information über ein allfälliges Rücktrittsrecht und die dabei zu beachtende Frist. Auch hier fordert der Gesetzgeber klare und prägnante Angaben. Es stünde im klaren Widerspruch mit dieser Forderung, wenn man verlangte, dass die namentliche Nennung aller anderen 21 Pflichtangaben zwingender Teil der Information nach Z 16 sein müsse.13 Klar und prägnant ist vielmehr der Hinweis darauf, dass die Rücktrittsfrist nach der eben zitierten Regelung nicht zu laufen beginnt, solange der Kreditnehmer die Vertragsbedingungen und Informationen nicht erhalten hat. Ein Kunde, der genau wissen will, was er konkret alles erhalten haben müsste, kann sich durch einen einfachen Blick in das Gesetz informieren. Sein Risiko ist in diesem Zusammenhang übrigens gering. Das Schlimmste, was ihm passieren kann, ist, dass die Rücktrittserklärung, die er in der Annahme, er habe noch nicht alle Vertragsinhalte/Informationen erhalten, abgegeben hat, verspätet ist und damit wirkungslos bleibt, weil er doch schon alle vorgeschriebenen Vertragsinhalte/Informationen bekommen hat.
Festzuhalten bleibt also, dass aus der Entscheidung des EuGH für Österreich keine unmittelbaren Schlüsse gezogen werden können, weil weder das VKrG noch die hierzulande gängigen Belehrungen zum Rücktrittsrecht den Verbraucher mit Kaskadenverweisen, wie sie der EuGH zu behandeln hatte, belasten, sondern die nach der Richtlinie und dem VKrG gebotene prägnante Gestaltung aufweisen. Natürlich bleibt aber abzuwarten, wie sich die österreichischen Gerichte im Bedarfsfall der Frage nähern werden14.
Sollte sich eine Rücktrittsbelehrung mangels Detailwiedergabe des § 9 Abs 1 VKrG nach Meinung der Gerichte doch als unvollständig erweisen, hätte dies zunächst zur Folge, dass die Anwendung des § 12 VKrG perpetuiert wäre, weil die Rücktrittsfrist, die noch nicht ausgelöst wurde, nicht ablaufen kann. Der Nutzen des Verbrauchers wäre allerdings beschränkt, weil er nach dem Rücktritt dem Kreditgeber unverzüglich, spätestens jedoch binnen 30 Kalendertagen nach Absendung der Rücktrittserklärung, den ausbezahlten Betrag samt den seit der Auszahlung aufgelaufenen, auf der Grundlage des vereinbarten Sollzinssatzes berechneten Zinsen zurückzuzahlen hätte.15 Auch alle Zahlungen, die der Kreditgeber an öffentliche Stellen entrichtet hat und nicht zurückverlangen kann, hätte der Verbraucher zu tragen. Da der Kreditgeber sonstige Entschädigungen nicht verlangen kann, wäre aber eine von ihm vereinnahmte Bearbeitungsgebühr zu refundieren.16 Dies ist auch der wesentliche Unterschied zur dem Kreditnehmer ohnehin immer möglichen vorzeitigen Rückzahlung nach § 16 VKrG, sofern dort keine Vorfälligkeitsentschädigung anfällt.
In der Literatur17 wurde schon zutreffend darauf verwiesen, dass sich der perpetuierte Vertragsrücktritt nicht dafür eignet, sich eines allfälligen Fremdwährungsrisikos aus Fremdwährungskrediten zu entledigen, weil der Rücktritt nichts daran ändert, dass den Kreditnehmer eine echte effektive Fremdwährungsverbindlichkeit trifft. Zutreffend ist auch der an der gleichen Stelle gegebene Hinweis18 auf die mögliche Rechts-
missbräuchlichkeit des Rücktritts Jahre nach vollständiger Abwicklung des Geschäfts.
Hinzuweisen ist noch darauf, dass sich die vom EuGH behandelte Frage im Zusammenhang mit Krediten, die dem HIKrG unterliegen, nur sehr eingeschränkt und maximal für die Dauer eines Monats stellt. Zunächst enthält das HIKrG keine Vorschriften zu den notwendigen Vertragsinhalten, sondern beschränkt sich auf die Regelung der vorvertraglichen Informationen im sogenannten ESIS-Merkblatt (siehe § 8 und Anhang II HIKrG). Des Weiteren enthält das HIKrG kein allgemeines Rücktrittsrecht. § 13 HIKrG sieht nämlich (durchaus im Einklang mit der zugrunde liegenden WohnimmobilienkreditRL) ein Rücktrittsrecht nur für den Fall vor, dass der Verbraucher seine Vertragserklärung innerhalb von zwei Werktagen nach Erhalt des ESIS-Merkblatts oder überhaupt schon vor Erhalt des ESIS-Merkblatts abgibt. Für den Rücktritt stehen im zwei Werktage zur Verfügung. Zwar beginnt diese Rücktrittsfrist hier nicht zu laufen, bevor der Verbraucher das ESIS-Merkblatt einschließlich der Belehrung über das Rücktrittsrecht erhalten hat. Es erlischt aber jedenfalls einen Monat nach Zustandekommen des Vertrags.
Rechtsunsicherheit gibt es aktuell auch iZm der Kostenreduktion bei vorzeitiger Kreditrückzahlung durch den Verbraucher und damit mit einer weiteren genuin verbraucherkreditrechtlichen Frage.
Allein mit Blick auf das nationale Recht schien die Frage klar geregelt zu sein: Verwiesen sei auf § 16 Abs 1 VKrG, der - wie auch § 20 Abs 1 HIKrG - dem Verbraucherkreditnehmer das Recht auf vorzeitige Rückzahlung gewährt und ihn gegenüber dem unternehmerischen Kreditnehmer - dem ein solches Recht nach dispositivem Recht nicht zusteht - besserstellt. Dem Verbraucher wird damit die Möglichkeit gegeben, Voll- und Teilrückzahlungen vor Fälligkeit zu leisten, die der Kreditgeber - anders als in den §§ 1413, 1415 ABGB vorgesehen - akzeptieren muss. Wirtschaftlich ist eine solche vorzeitige Rückzahlung für den Verbraucher dann interessant, wenn er sich dadurch - zB im Rahmen einer Umschuldung - Kosten erspart. Dazu bestimmt der (noch)19 geltende § 16 Abs 1 VKrG (und damit wortgleich auch § 20 Abs 1 HIKrG), dass sich durch die vorzeitige Rückzahlung "die vom Kreditnehmer zu zahlenden Zinsen [...] entsprechend der dadurch verkürzten Vertragsdauer [...]" verringern - und weiter: "laufzeitabhängige Kosten verringern sich verhältnismäßig".
Wie die Materialien zum VKrG nahelegen, war sich der nationale Gesetzgeber bei der Umsetzung der auf laufzeitabhängige Kosten beschränkten Folgen des europarechtlich-determinierten Rücktrittsrechts20 sicher. Auch für ihn dürfte die Entscheidung des EuGH C-383/18, Lexitor,21 daher überraschend gekommen sein: Denn danach ist der - § 16 VKrG zugrunde liegende - Art 16 VerbraucherkreditRL 2008/48/EG so zu verstehen, dass bei vorzeitiger Kreditrückzahlung auch nicht laufzeitabhängige Kosten zu ermäßigen sind.
Damit ist zwar eine zuvor zu § 16 VKrG literarisch diskutierte Frage vom Tisch, nämlich wie Kreditgebern begegnet werden soll, die durch geschickte Vertragsgestaltung - konkret: durch Vereinbarung verschiedenster laufzeitunabhängiger Kostenbestandteile - die Kostenreduktion bei vorzeitiger Rückzahlung zulasten des Verbrauchers verhältnismäßig gering halten.22 Dafür stellen sich seit Lexitor neue Fragen, insb erstens, ob ein unionrechtskonformer Zustand durch richtlinienkonforme Rechtsfortbildung des § 16 VKrG erreicht werden kann (und wie dann eine Kürzung der laufzeitabhängigen Kosten zu erfolgen hätte), und zweitens, wie der nationale Gesetzgeber auf Lexitor reagieren wird.23
Zur zweiten Frage, nämlich der Reaktion des nationalen Gesetzgebers, gibt es seit Kurzem Neues. Am 26. 8. 2020 wurde der Ministerialentwurf 42/ME 27. GP veröffentlicht, der aus Anlass von Lexitor "zur Sicherstellung einer richtlinienkonformen Rechtslage" eine Änderung von § 16 Abs 1 VKrG und § 20 Abs 1 HIKrG vorsieht. Nach dem Ministerialentwurf sollen die Kostenfolgen des vorzeitigen Rücktritts nun wie folgt aussehen: "Die vom Kreditnehmer zu zahlenden Zinsen verringern sich bei vorzeitiger Kreditrückzahlung entsprechend dem dadurch verminderten Außenstand und gegebenenfalls entsprechend der dadurch verkürzten Vertragsdauer; die Kosten verringern sich verhältnismäßig."
Die vorgeschlagene Novelle beschränkt sich somit auf die Streichung des Wortes "laufzeitabhängig". Hingegen ist nicht beabsichtigt, nähere Leitlinien zur Berechnung der Kostenreduktion zu geben, weil der nationale Gesetzgeber - wie sich den Materialien24 entnehmen lässt - hier nicht noch einmal danebengreifen möchte: "Auf welche Kosten sich das Mäßigungsrecht des Verbrauchers im Detail bezieht, kann vom nationalen Gesetzgeber nicht spezifiziert werden. Die Entscheidung über die Auslegung von Art. 16 Abs. 1 der Verbraucherkredit-Richtlinie und damit von § 16 Abs. 1 VKrG liegt allein beim EuGH." Der Ball wird damit freilich vorerst nicht an den EuGH, sondern an den Rechtsanwender weitergespielt, der sich nun eigenständig eine Berechnungsmethode zu überlegen hat. Ob der EuGH die Frage der Berechnungsmethode bei entsprechender Vorlage auch tatsächlich beantworten wird, ist indes unsicher.25
Geht es um die Ermäßigung der laufzeitunabhängigen Entgeltansprüche des Kreditgebers - und dabei insb um die Reduktion einer Bearbeitungsgebühr -, so hat Haghofer 26 zutreffend darauf hingewiesen, dass es sich dabei, wie auch bei Zinsen, um ein Entgelt für die Kapitalnutzung handelt.27 Nach ihm hat die Reduktion daher nicht pro rata temporis zu erfolgen. Es müsse vielmehr berücksichtigt werden, in welchem Umfang der Verbraucher das ihm überlassene Kapital vor der vorzeitigen Rückzahlung bereits genutzt hatte und in welchem Umfang er es während der verbleibenden Laufzeit noch nutzen hätte können. Im Ergebnis wäre die Bearbeitungsgebühr, die dem Kreditkonto bei Vertragsbeginn angelastet wurde, daher rückwirkend wieder gutzuschreiben und durch einen Aufschlag auf den vereinbarten Sollzinssatz zu ersetzen, der zum gleichen effektiven Jahreszins führt.
Richtig ist, dass diese Berechnungsmethode zu für den Kreditgeber günstigeren (und richtigeren) Ergebnissen als eine Ermäßigung pro rata temporis führt. Andererseits ist damit aber auch ein nicht unerheblicher Berechnungsaufwand28 für den Kreditgeber verbunden, weshalb in der Praxis nicht auszuschließen ist, dass dieser dem Verbraucher bei vorzeitiger Rückzahlung letztlich doch aus den Bearbeitungsentgelten jenen Teilbetrag refundiert, dessen Verhältnis zum Gesamtbetrag des Bearbeitungsentgelts dem Verhältnis der verstrichenen Kreditlaufzeit zur ursprünglichen Gesamtlaufzeit entspricht. Da dies eine für den Verbraucher günstigere Berechnungsmethode ist, müsste diese ebenfalls zulässig sein (§ 3 VKrG, § 3 HIKrG). Um den entsprechenden Aufwand und die damit zusammenhängenden (im Detail diffizilen) Fragen zu vermeiden, werden Kreditgeber aber wohl ohnedies vermehrt dazu übergehen, das Kreditentgelt - soweit möglich - laufzeitabhängig auszugestalten und weniger auf einmalige Entgelte wie Bearbeitungsgebühren zurückzugreifen.
Eine andere Frage ist, ob sich bei vorzeitiger Rückzahlung auch Entgeltansprüche Dritter - also etwa eines Versicherers, eines Vermittlers oder gar des Fiskus - reduzieren. Dies wird in der Literatur29 mitunter mit der Begründung bejaht, dass der Begriff der "Kosten" in § 16 VKrG, § 20 HIKrG mit jenem der "Gesamtkosten" in § 2 Abs 5 VKrG, § 2 Abs 9 HIKrG gleichzusetzen wäre und darunter sämtliche Entgelte bzw Kosten des Kreditnehmers fallen würden. Die erläuternden Bemerkungen zum Ministerialentwurf 42/ME 27. GP30 stützen diese Auffassung nicht. Demnach ist man "bei Erstellung dieses Entwurfs [...] davon ausgegangen, dass die Provision eines Kreditvermittlers vom Gebot verhältnismäßiger Verringerung bei vorzeitiger Rückzahlung nicht umfasst" ist. Sollte der Ministerialentwurf daher in der vorliegenden Fassung umgesetzt werden, würde jedenfalls der Gesetzgeberwille und damit die historische Interpretation dafür sprechen, dass die Bestimmungen von § 16 VKrG, § 20 HIKrG bei vorzeitiger Rückzahlung des Kreditnehmers nur eine Reduktion der (laufzeitabhängigen und -unabhängigen) Entgeltansprüche des Kreditgebers, nicht aber jener von Dritten anordnen.
Zur Frage der möglichen Rückwirkung der neuen Regeln zur Kostenreduktion sieht der Ministerialentwurf die Regelung vor, dass diese nur "auf Kreditverträge und Kreditierungen anzuwenden [sind], die nach dem 30. November 2020 geschlossen beziehungsweise gewährt werden".31 Mangels Rückwirkung stellt sich für davor geschlossene Kreditverträge weiterhin die schon angesprochene und in der Literatur diskutierte Frage, ob hier ein unionsrechtskonformer Zustand durch richtlinienkonforme Rechtsfortbildung erzielt werden kann.32 Die methodisch überzeugenderen Argumente hat dabei jene Auffassung auf ihrer Seite, welche die Zulässigkeit einer solchen Rechtsfortbildung verneint: Im konkreten Fall ist man nämlich mit der Situation konfrontiert, dass der nationale Gesetzgeber die Richtlinie unionsrechtskonform umsetzen wollte und sich in dieser Absicht und mit vollem Bewusstsein dazu entschied, für den Fall der vorzeitigen Rückzahlung eine Reduktion nur der Zinsen und sonstigen laufzeitabhängigen Kosten, nicht aber der laufzeitunabhängigen vorzusehen. Damit steht einer richtlinienkonformen Interpretation die Lex-lata-Grenze und einer richtlinienkonformen Rechtsfortbildung die fehlende Planwidrigkeit entgegen.33
Zwar steht die FMA unter dem Eindruck der Finanzkrise der Neuvergabe von Fremdwährungskrediten an private Haushalte schon längere Zeit ablehnend gegenüber;34 die bereits zuvor geschlossenen Kredite beschäftigen aber auch weiterhin die Gerichte. Während es in diesen Verfahren zunächst um Fragen rund um ein Aufklärungsfehlverhalten der Banken ging, ist mittlerweile die gerichtliche Prüfung von in den Kreditverträgen enthaltenen Klauseln in den Vordergrund gerückt.
Für Aufsehen sorgte zuletzt die Entscheidung des EuGH in der polnischen Rs C-260/18, Dziubak,35 wo eine Wechselkursklausel als missbräuchlich und damit nichtig qualifiziert wurde. Die in der Literatur betonte "Sprengkraft"36 dieser Entscheidung für heimische Frankenkredite dürfte freilich nicht in dieser Dimen-
sion gegeben sein, weil es in Dziubak um einen unechten Fremdwährungskredit - bei der die Fremdwährung nur als Rechnungsgrundlage dient und der Kredit in heimischer Währung zugezählt und zurückgeführt wird - ging und solche in Österreich in praxi kaum vergeben wurden.37 Keine Sprengkraft hat die Entscheidung auch für die in der Praxis zumeist vergebenen echten und effektiven Fremdwährungskredite, bei denen sowohl die Zuzählung als auch die Rückführung in Fremdwährung (unter Abbedingung der dispositiven Ersetzungsbefugnis des § 907b Abs 2 ABGB) zu erfolgen hat, weil Umrechnungsklauseln hier nicht vereinbart sind.38
Bedeutung hat Dziubak daher - soweit Fremdwährungskredite betroffen sind - nur dann, wenn ein echter Fremdwährungskredit mit Ersetzungsbefugnis vereinbart wurde und die getroffene Klausel zur Regelung des bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis anzuwendenden Wechselkurses missbräuchlich und damit nichtig ist.39 Nur in dieser Konstellation kann es dazu kommen, dass der Umrechnung zwischen Euro und Fremdwährung die vertragliche Grundlage entzogen wird, sodass sich auch nur hier die Frage stellt, inwieweit die nachträglich entstandene Lücke befüllt werden kann oder Gesamtnichtigkeit des Vertrages eintritt.
Für diesen Fall ist nach Dziubak davon auszugehen, dass eine nachträgliche Lücke im Anwendungsbereich der KlauselRL 93/13 nicht durch ergänzende Vertragsauslegung geschlossen werden darf.40 Ob hingegen das dispositive Recht - und damit in concreto § 907b Abs 2 ABGB - zur Lückenfüllung herangezogen werden kann, ist weiterhin offen.41 Die besseren Gründe sprechen dafür: Das ist für die konkrete Konstellation - echter Fremdwährungskredit mit missbräuchlicher Ersetzungsbefugnisklausel - schon deswegen anzunehmen, weil man dem Kreditnehmer anderenfalls seine Ersetzungsbefugnis nehmen würde und die andere Alternative - Gesamtnichtigkeit des Kreditvertrages mit sofortiger Fälligkeit der Rückzahlung des gesamten aushaftenden Betrages - für ihn zweifellos nachteilig wäre. Dass die Schließung von nachträglichen Lücken durch dispositives Recht aber auch nach der Rechtsprechung des EuGH jedenfalls dann zulässig sein muss, wenn anderenfalls der Vertrag gesamtnichtig und dies für den Verbraucher nachteilig wäre, dürfte unstrittig sein.42
Seit Längerem steht im Raum, dass mit Ende 2021 in London die Ermittlung und Veröffentlichung des CHF-LIBOR eingestellt werden soll. Damit stünde der in Österreich aktuell in Fremdwährungskrediten flächendeckend vereinbarte Zinssatzindikator nicht mehr zur Verfügung.
Im Juni 2020 wurde bekannt,43 dass im UK eine gesetzliche Ermächtigung der dortigen Finanzmarktaufsicht geplant ist, Vorgaben für die Fortführung des CHF-LIBOR in geänderter Art und Weise über das Jahr 2021 hinaus zu erlassen, wenn dies zur Bewältigung der Probleme, die sich aus einem Ende des LIBOR für "Tough Legacy Issues"44 ergäben, erforderlich ist. Worin die Vorgaben bestehen würden, ist noch offen. Es kann daher auch noch nicht gesagt werden, ob die sich daraus ergebenden Vorgaben für die Datenermittlung und Indikatorberechnung so tiefgreifend sein werden, dass der zukünftige CHF-LIBOR nicht mehr dem im Kreditvertrag vereinbarten Indikator entspricht, sodass faktisch trotz Fortführung der Bezeichnung materiell vom Wegfall des vereinbarten Indikators ausgegangen werden muss.
Soweit mit den Kreditnehmern vertraglich keine Ersatzlösung vereinbart werden kann, entstünde damit in diesen Verträgen eine Vertragslücke.
Bliebe diese Lücke bestehen, wären die betroffenen Fremdwährungskredite plötzlich fix verzinste Kredite. Der letzte anhand der vereinbarten Anpassungsklausel festgestellte Zinssatz bliebe bis zum Ende der Kreditlaufzeit unverändert anwendbar. Dieser Effekt stünde im Widerspruch zur ursprünglichen Absicht der Parteien, die Kreditzinsen an die jeweiligen Refinanzierungskosten des Kreditgebers anzupassen, was sich - je nach Entwicklung der im vereinbarten Indikator widergespiegelten Marktverhältnisse - auch zugunsten des Kreditnehmers auswirken kann. In den betroffenen Verträgen wurde regelmäßig keine Vorkehrung für den Wegfall des Indikators getroffen. Dies wäre im Hinblick auf die strenge Handhabung des § 6 Abs 1 Z 5 KSchG und auch des Transparenzgebots des § 6 Abs 3 KSchG durch die Judikatur des OGH45 im Verbrauchergeschäft auch kaum wirksam möglich gewesen.
Das Gebot der Stunde ist in dieser Situation die ergänzende Vertragsauslegung. In einer vergleichbaren Situation hat der OGH46 dazu schon festgehalten: "Die Parteien dachten [...] nicht daran, für den Fall Vorsorge zu treffen, dass, wie es nun geschehen ist, der vereinbarte Wertmesser in Wegfall kommt. Hier weist der Vertrag eine Lücke auf, die nach der Bestimmung des § 914 ABGB im Hinblick auf den offenbaren Zweck der getroffenen Vereinbarung, der Übung des redlichen Verkehrs entsprechend, durch Vertragsergänzung geschlossen werden muss. Es handelt sich dabei darum, nach den Richtlinien von Treu und Glauben im Verkehr und nach dem im Vertrag sonst zum Ausdruck kommenden Willen der
Parteien festzustellen, was in diesem Fall rechtens sein soll [...]. Zutreffend vertrat das Berufungsgericht den Standpunkt, dass der dem weggefallenen Wertmesser am nächsten kommende Vergleichsmaßstab in Betracht kommt. Es wird bei diesem Vorgehen der Wille der Vertragsteile nicht missachtet, sondern lediglich ergänzt (vgl. § 7 ABGB)."
Soweit ersichtlich, ist es seit dieser Entscheidung einhellige Auffassung, dass ein weggefallener Indikator durch den ihm wirtschaftlich am nächsten kommenden Indikator ersetzt werden muss. Dies hat auch Eingang in § 2 Abs 1 1. EURO-JustizbegleitG gefunden, wo vorgesehen ist, dass ein von den Vertragsparteien zugrunde gelegter, nach Einführung des Euro aber wegfallender Wertmesser durch jenen Wertmesser zu ersetzen wäre, der nach seiner Funktion und nach der Absicht der Parteien dem weggefallenen Wertmesser am ehesten entspricht. Diese Bestimmung ist zwar auf Entwicklungen im Zusammenhang mit der Euro-Einführung bezogen,47 aber durchaus verallgemeinerungsfähig.48
Auch die jüngere Judikatur des EuGH49 steht der ergänzenden Vertragsauslegung im vorliegenden Fall nicht entgegen. Der EuGH lehnt die ergänzende Vertragsauslegung ab, soweit es um den Ersatz von nach der KlauselRL50 unwirksamen Vertragsklauseln durch dieser Richtlinie entsprechende Klauseln geht. Darum geht es aber hier nicht. Die wegfallenden Zinsgleitklauseln entsprechen51 in jeder Hinsicht den Anforderungen des § 6 Abs 1 Z 5 KSchG. Sie sind nur nicht mehr anwendbar, weil der wirksam vereinbarte Wertmesser nicht mehr zur Verfügung steht. Dies ist aber weder ein Anwendungsfall der KlauselRL, noch besteht hier der Bedarf, den Unternehmer durch den ersatzlosen Entfall der vereinbarten Klausel zu bestrafen.
Es ist daher nicht nur zulässig, sondern auch erforderlich, für den wegfallenden CHF-LIBOR einen Ersatz zu finden, der dem CHF-LIBOR in Aussagekraft und Methodik so nahe wie möglich kommt. Dies ist zunächst eine finanzwissenschaftliche Aufgabe, wenngleich dabei natürlich rechtliche Aspekte zu berücksichtigen sind.
Wenn zB daran gedacht werden sollte, den Leitzins der Schweizer Nationalbank als Ersatz heranzuziehen, wäre zu berücksichtigen, dass der OGH52 der Verwendung von Leitzinsen, die eine Zentralbank zur Umsetzung geldpolitischer Ziele festlegt, sehr "reserviert" gegenübersteht, eben weil diese Leitzinsen die Marktverhältnisse nicht reflektieren, sondern gestalten sollen.
Ein weiteres wichtiges Kriterium für die Beurteilung, ob ein Indikator als Ersatzwertmesser geeignet ist, ist das Vorhandensein einer ausreichenden Datengrundlage. Wenn zB wegen der geringen Anzahl von Geschäftsfällen ein Indikatorwert nur an einer geringen Anzahl von Geschäftstagen überhaupt festgestellt werden kann, spricht dies gegen die sachliche Eignung als Ersatzwertmesser.
Soweit ersichtlich, wird aus heutiger finanzwissenschaftlicher Sicht der SARON 3 Months Compound Index53 als geeigneter Ersatz für den CHF-LIBOR angesehen. Anwendungsprobleme liegen darin, dass einerseits die festgestellten Indexwerte sich immer auf die vergangene Zinsperiode beziehen, sodass der Zinssatz für die neue Zinsperiode nicht die aktuellen Refinanzierungskosten des Kreditgebers widerspiegelt, sondern die der vorangegangenen Zinsperiode, und andererseits darin, dass die dem CHF-LIBOR zugrunde liegenden Geschäfte einen höheren Risikogehalt haben als jene, aus denen der SARON abgeleitet wird, was in der Höhe der Zinssätze, aus denen der Indikator abgeleitet wird, reflektiert wird. Um beide Aspekte hinreichend zu berücksichtigen, dürfte sich die ergänzende Vertragsauslegung hier nicht darauf beschränken, die Bezugnahme auf den CHF-LIBOR in den Verträgen durch den SAR3MC zu ersetzen. Ergänzend müssten der unterschiedliche Risikogehalt durch einen Aufschlag auf die Indikatorwerte und der unterschiedliche "Beobachtungszeitraum" allenfalls durch Änderungen in der Berechnungsmethode berücksichtigt werden. Beides ist mE möglich,54 auf die Details kann hier aber nicht eingegangen werden.
Unlängst hat die EU-Kommission einen Verordnungsvorschlag55 veröffentlicht. Damit soll die BenchmarkVO56 dahin gehend geändert werden, dass der Kommission unter bestimmten Voraussetzungen die Befugnis eingeräumt wird, durch eine delegierte Verordnung einen weggefallenen Indikator zu ersetzen. Im Hinblick auf den hier besprochenen Problembereich CHF-LIBOR in Verbrauchkreditverträgen könnte diese vorgeschlagene Änderung der BenchmarkVO uU Abhilfe schaffen.57
Viel wird hier davon abhängen,
- | ob die Kommission die ihr mit der geänderten Verordnung eingeräumte Befugnis überhaupt ausübt. Diesbezüglich werden im Verordnungsvorschlag Auslöser definiert. Ob die Kommission überhaupt tätig wird, hängt demnach davon ab, ob sie die Einstellung des CHF-LIBOR als "significant disruption in the functioning of financial markets in the Union" beurteilt. Unklar ist, ob die "significant disruption" in den Finanzmärkten in nur einem Mitgliedstaat und/oder die flächendeckende/überwiegende Verwendung des "eingestellten" Zinssatzindikators schon in einem Mitgliedstaat jedenfalls zur Festlegung des Ersatzindikators durch die Kommission führen muss. |
- | wie die Kommission ihre Befugnis ausüben würde und inwieweit sie dabei auf Besonderheiten des von ihr benannten Ersatzindikators Rücksicht nimmt. Abgesehen von Verweisen auf Gremien/Arbeitsgruppen, deren Ergebnisse berücksichtigt werden sollen, wird das Handeln der Kommission nicht weiter determiniert. Zuzugestehen ist, dass eine derartige Determination schwierig wäre. Ihr Fehlen birgt aber durchaus das Risiko überraschender Ergebnisse. |
Redaktionelle Anmerkung: Fortsetzung Teil II in der folgenden RdW-Ausgabe.
Der Beitrag stellt eine gekürzte und um die wesentlichsten Fundstellen ergänzte Fassung des von den Autoren im Rahmen der RuSt 2020 gehaltenen Vortrages dar. Auf Grund des Umfanges wurde der Beitrag für die Printausgabe der RdW geteilt. Teil II erscheint in der kommenden Ausgabe der RdW, ist vorab aber schon auf Lexis 360 online abrufbar.
Iro/Kellner/Riss in Bollenberger/Oppitz, BVR I3 Rz 1/12.
Kellner, Der Rechtsbegriff der allgemeinen Geschäftsbedingungen 16 FN 73.
OGH in RIS-Justiz RS0128865. Das Thema beschäftigt derzeit aufgrund einer Vorlage des OGH (OGH 8 Ob 24/18i) auch den EuGH (C-287/19, DenizBank), wobei mit Blick auf die Schlussanträge des Generalanwalts sogar eine Verschärfung der Rechtslage nicht ausgeschlossen werden kann; krit und im Detail dazu jüngst Kellner, ÖBA 2020, 539.
Dazu und zum Folgenden ausführlich Kellner, ÖBA 2019, 21.
Siehe OGH 3 Ob 238/05d; 5 Ob 118/13h; 6 Ob/17/16t.
OGH 6 Ob 120/15p; dazu Kellner, ÖBA 2019, 22.
Ebenfalls OGH 6 Ob 120/15p.
Vgl dazu die Judikaturübersicht bei Kellner, ÖBA 2019, 24 f: OGH 6 Ob 16/01y; 4 Ob 27/06w; 1 Ob 88/14v; 6 Ob 120/15p; 6 Ob 17/16t.
Kellner, ÖBA 2019, 24 f.
RL 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. 4. 2008 über Verbraucherkreditverträge.
In diesem Sinne zB Schöller, Anm zu EuGH 26. 3. 2020, C-66/19, ÖBA 2020, 360, der einen Bedarf von 858 Wörtern oder zwei eng bedruckte DIN-A4-Seiten ortet.
In Deutschland hat der BGH in XI ZR 198/19 entschieden, dass eine richtlinienkonforme Interpretation des EGBGB im Sinne des EuGH wegen der klar gegenteiligen gesetzlichen Regelung in Art 247 § 6 Abs 2 Satz 3 EGBGB aF nicht möglich ist.
Hinzuweisen ist darauf, dass die 30-Tagefrist eine absolute Maximalfrist darstellt. Innerhalb dieser Frist hat der Kreditnehmer zu bezahlen, sobald ihm dies bei Aufwendung der gehörigen Sorgfalt möglich wäre.
EuGH C-383/18, vbr 2019/115.
Schett, Vbr 2020, 119, in seinem Contra zu Wallner, Vbr 2020, 118.
Unter Berufung auf OGH 7 Ob 133/18m.
Zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Manuskripts.
RL 2008/48/EG.
EuGH 11. 9. 2019, C-383/18, Lexitor, RdW 2020/156, 174.
Dazu Wendehorst in Wendehorst/Zöchling-Jud, Verbraucherkreditrecht § 16 VKrG Rz 14 ff; Pendl, ÖBA 2015, 899, 901 ff; Nemeth in Klang3 § 16 VKrG 17 ff.
Haghofer, VbR 2019, 212; Schoditsch, VbR 2019, 234; Kellner/Liebel, VbR 2019, 235; P. Bydlinski, ÖBA 2019, 862; P. Bydlinski, ÖBA 2020, 183; Kriegner, ÖBA 2020, 180.
EB zu 42/ME 27. GP 2.
Vgl nur die Schlussanträge des GA in der Rs C-383/17, Lexitor, Rn 36: "Was Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 anbelangt, sei darauf hingewiesen, dass, da diese Bestimmung die anzuwendende Berechnungsmethode nicht festlegt, meiner Ansicht nach davon auszugehen ist, dass der Unionsgesetzgeber den Mitgliedstaaten in dieser Frage einen gewissen Spielraum geben wollte. Zudem ist der Bereich der Harmonisierung durch die Richtlinie 2008/48 gemäß dem zehnten Erwägungsgrund mit den spezifischen Begriffsbestimmungen in Art. 3 Buchst. g der Richtlinie festgelegt worden. Demgemäß ist von Bedeutung, dass der in Art. 16 Abs. 1 verwendete Begriff ‚Ermäßigung‘ in dieser Richtlinie nicht definiert wird."
Haghofer, VbR 2019, 214.
Schwierige Berechnungsfragen - die gesondert untersucht werden müssten - können sich auch bei vorzeitiger Teilrückzahlung ergeben, insb, wenn diese regelmäßig und in geringer Höhe erfolgen. Hier sprechen gute Gründe dafür, dass die Rückvergütung an den Verbraucher erst am Ende der tatsächlichen Laufzeit erfolgen muss, um teilweise wohl auch intransparente Gegenverrechnungen mit erheblichem Berechnungsaufwand zu vermeiden.
Haghofer, VbR 2019, 215.
EB zu 42/ME 27. GP 2.
Art 1 Punkt 6. und Art 2 Punkt 8. des ME 42/ME 27. GP.
Dafür Schoditsch, VbR 2019, 234; Kriegner, ÖBA 2020, 180; dagegen P. Bydlinski, ÖBA 2019, 862; P. Bydlinski, ÖBA 2020, 183; Kellner/Liebel, VbR 2019, 235.
P. Bydlinski, ÖBA 2019, 862; P. Bydlinski , ÖBA 2020, 183; Kellner/Liebel, VbR 2019, 235.
https://www.fma.gv.at/banken/fremdwaehrungs-und-tilgungstraegerkredite/ (abgerufen am 15. 9. 2020).
EuGH 3. 10. 2019, C-260/18, Dziubak, RdW 2020/94, 97.
Schumacher/Urban, VbR 2020, 38.
Perner, ÖBA 2018, 17; Foglar-Deinhardstein, ÖBA 2018, 432 f; Koch, VbR 2020, 39.
Koch, VbR 2020, 39.
Koch, VbR 2020, 39.
So jüngst auch Spitzer, ÖJZ 2020, 770 ff mwN; vgl zudem Vonkilch, Zak 2019, 428; Schumacher/Urban, VbR 2020, 38; Koch, VbR 2020, 39.
Dazu zuletzt umfassend Spitzer, ÖJZ 2020, 761.
Vgl zB Told/Ascher, ZFR 2020, 21. Zuletzt wurden freilich wohlbegründete Zweifel daran geäußert, ob die Rsp des EuGH die Füllung nachträglicher Lücken durch das dispositive Recht tatsächlich einschränkt; siehe Spitzer, ÖJZ 2020, 763 ff.
Siehe die unter dem Link https://www.fca.org.uk/news/statements/fca-statement-planned-amendments-benchmarks-regulation abrufbaren Informationen.
Als solche "Tough Legacy Issues" werden im UK Anleihen, (insb bilaterale [= nicht syndizierte]) Kredite und Hypothekardarlehen (insb an Verbraucher) angesehen.
Siehe dazu zB Kathrein/Schoditsch in Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg), Kurzkommentar zum ABGB6 (2020) zu § 6 KSchG Rz 10 mwN.
In 8 Ob 271/65.
Siehe die ausdrücklich in Abs 2 und 3 geregelten Fälle (Ersatz des Diskontsatzes durch den Basiszinssatz und des VIBOR durch den EURIBOR).
Siehe dazu die EBRV zum 1. EURO-Justizbegleitgesetz, 1203 BlgNR 20. GP: "Im österreichischen Privatrecht bereitet der Wegfall der von den Parteien vereinbarten Wertmesser oder Indizes verhältnismäßig wenig Probleme: Der Oberste Gerichtshof judiziert nämlich in ständiger Rechtsprechung, daß bei Wegfall eines vereinbarten Wertmessers der diesem am nächsten kommende Vergleichsmaßstab heranzuziehen ist [...]. § 2 Abs. 1 des Entwurfs übernimmt und ‚kodifiziert‘ diesen Rechtssatz, um allfälligen Streitigkeiten und Unklarheiten vorzubeugen."
Siehe beispielshalber EuGH 3. 10. 2019, C-260/18, Dziubak.
Anders als jene unbestimmten Klauseln, die Gegenstand des Zinsenstreits der letzten Jahrhundertwende waren, siehe zB OGH 25. 1. 2006, 7 Ob 204/05h, und bei denen der OGH noch ohne Bedenken Lückenfüllung durch ergänzende Vertragsauslegung betrieb.
Der SARON (Swiss Average Rate Overnight) wird von SIX (SIX Swiss Exchange AG) aus Overnight Repo-Transaktionen ermittelt und repräsentiert einen volumsgewichteten Durchschnittssatz. Er bezieht sich auf (besicherte?) Overnight-Transaktionen. Aus dem Overnight-Zinssatz SARON soll als Referenzzinssatz für längere Laufzeiten der SARON 3-MonthsCompoundIndex (SAR3MC) entwickelt werden, dessen Wert jenem Zinssatz pa entspricht, den man erzielt hätte, wenn man über die 3-Monats-Periode rollierend zum SARON angelegt hätte.
Hinsichtlich der Berechnungsmethode auch im Hinblick auf § 11 Abs 2 VKrG, der bei öffentlich bekannt gemachten Referenzwerten auch die nachträgliche Bekanntgabe des geänderten Zinssatzes zulässt.
COM (2020) 337 final 2020/0154 (COD).
VO (EU) 2016/1011 über Indizes, die bei Finanzinstrumenten und Finanzkontrakten als Referenzwert oder zur Messung der Wertentwicklung eines Investmentfonds verwendet werden.
Für Kreditverträge mit Unternehmern würde sie allerdings nur indirekt helfen, weil der Anwendungsbereich der Verordnung kreditnehmerseitig auf Verbraucher beschränkt ist.