Würdigung zum Geburtstag

Werner Doralt - ein Vierteljahrhundert redaktioneller Mitgestalter der ÖStZ

Bearbeiter: Wolfgang Nolz

Vom zweiten Heft des Jahrgangs 1970 bis zum vorletzten Heft des Jahrgangs 1996 ist Werner Doralt Redakteur und später auch Mitherausgeber der ÖStZ. Er feiert am 17. 3. 2022 seinen 80. Geburtstag und diese Zeilen sollen seine Tätigkeit in der ÖStZ aus der Sicht eines seiner damaligen Herausgeberkollegen nachzeichnen.

Doralt promoviert 1968 an der Universität Wien. Das Finanzrecht ist während seines (und auch meines) Studiums zwar ein kaum beachtetes und selten geprüftes "Orchideenfach", seine beiden älteren Brüder Paul (Rechtsanwalt) und Peter (später Ordinarius an der Wirtschaftsuniversität Wien) sind aber seit Mitte der 60er-Jahre Redakteure der ÖStZ, in der Gerold Stoll, Sektionsrat im Finanzministerium und ab 1968 erster Ordinarius für Finanzrecht an der Universität Wien, häufig publiziert. Werner Doralt wird einer der ersten Assistenten von Gerold Stoll.

Werner Doralt stößt 1970 zur ÖStZ und löst zunächst seinen Bruder Paul als Redakteur ab, später scheidet auch sein Bruder Peter aus. Die Blattlinie der ÖStZ wird von Anfang an durch ein Herausgebergremium aus Wirtschaft, Steuerberatung und Finanzverwaltung gesteuert. Werner Doralts mit großem Engagement ausgeübte Tätigkeit als Redakteur der ÖStZ und seine gleichzeitigen Aktivitäten als Uni-Assistent samt Habilitation bei Gerold Stoll und als Berufsanwärter und Wirtschaftsprüfer in einer großen Wirtschaftsprüfungskanzlei prägen ihn nachhaltig für seine große Zeit als Ordinarius in Innsbruck und später Wien. "Die Zeit" macht ihn retrospektiv zu einem "Steuermissionar" (Ausgabe vom 23. 2. 2019). Seine mit geistvoller Schärfe gewürzten Abhandlungen in der ÖStZ treffen fast alles, was in seinen Augen als Steuergeschenk oder Missstand zu qualifizieren ist. Nicht selten führt Doralt’sche Kritik zu Änderungen in Gesetzgebung oder Vollziehung.

In den Jahren 1970 bis Ende 1996 veröffentlicht er als Redakteur bzw Mitherausgeber der ÖStZ mehr als 70 Artikel. Auch nach Gründung "seiner" Zeitschrift RdW im Jahr 1983 publiziert er − allerdings seltener als zuvor − in der ÖStZ. Doralts Markenzeichen ist es, von ihm als unrichtig gewertete, in der ÖStZ veröffentlichte oder zu veröffentlichende Rechtsmeinungen des BMF zu kritisieren (das beeindruckt uns als junge Finanzbeamte, auf deren Tisch die "Ausgabe für die Finanzverwaltung" der ÖStZ liegt, ganz besonders). Durch Doralts Tätigkeit emanzipiert sich die ÖStZ zusehends von ihrem impliziten Geburtsauftrag als "offiziösem" Organ der Finanzverwaltung.

Einen seiner ersten Artikel in der ÖStZ ("Der Bescheidcharakter der Lohnsteuerkarte...", ÖStZ 1972, 23) begründet er zB damit, dass "infolge der Fragwürdigkeit mancher Argumente" (geäußert zuvor von Wilhelm Schuch, dem späteren Leiter der Abteilung Lohnsteuer im BMF, in ÖStZ 1971, 242) "eine nochmalige Prüfung der aufgeworfenen Fragen gerechtfertigt" erscheine. Die Finanzverwaltung wollte damals infolge Verzögerungen des Gesetzgebungsprozesses die Berücksichtigung höherer als auf der Lohnsteuerkarte eingetragener Freibeträge zulassen (bzw hat sie wohl auch tatsächlich zugelassen, aber eben nach Ansicht Doralts mit unrichtigen Argumenten). Aufgrund seines "Vorsprungs" als Redakteur erscheinen manche Artikel, in denen eine BMF-Größe ihre Meinung zu einer bestimmten Frage publiziert, sogleich mit der gegensätzlichen Ansicht Doralts. In ÖStZ 1974, 238 kritisiert Doralt ein Erkenntnis des VwGH zur Nachhaltigkeit der Tätigkeit von Körperschaften. Hanskarl Siegl, der damalige stellvertretende Leiter des USt-Abteilung des BMF, versucht in ÖStZ 1974, 276 eine den VwGH stützende "Anmerkung zu einer Kritik (Doralts) an der Judikatur des VwGH"; schon im selben Heft erscheint (als "Rohrstaberl") die Erwiderung Doralts.

Über manche Titel seiner Beiträge ("Der vergeßliche Nationalrat", ÖStZ 1973, 218; "Ist die Bibliothek des VwGH auf dem letzten Stand?", ÖStZ 1973, 269; "Sinn und Unsinn der Einkommensteuergesetznovelle 1975", bezeichnenderweise nicht in der ÖStZ, sondern in SWK 1975, A I 141; "Das Finanzministerium, der Verwaltungsgerichtshof und die Buchbinder", auch das nicht in der ÖStZ, sondern im FJ 1982, 57) muss man heute wohl schmunzeln. Ob manche später in der RdW erscheinende Artikel − etwa die (zynisch titulierte) Fortsetzungsserie "Lesbare Steuergesetze" − auch in der ÖStZ veröffentlicht worden wären, sei dahingestellt. Die Folge IV seiner lesbaren Steuergesetze (RdW 2003, 406; "Steuer einschließlich Gewinn − Sanierungsgewinn für Sprachakrobaten") führt aber immerhin bei der nächsten Novellierung des § 36 EStG − ohne Hinweis − zu einer Korrektur.


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Ein ernstes Thema mit ernstem Titel behandelt er bei der Wörthersee-Tagung der ÖGWT 1987: "Das steuerfreie Tagesgeld − systemwidrig, mißbrauchsverdächtig und reformbedürftig". In ÖStZ 1987, 231 wird eine "überarbeitete Fassung" des Vortrags veröffentlicht. Der Überarbeitung nicht zum Opfer gefallen ist der Schluss seines Vortrages in Pörtschach: "Mit Steuergerechtigkeit hat die Steuerbefreiung für das Tagesgeld so viel zu tun wie der Teufel mit dem Weihwasser. Absolute Willkür hebt das steuerfreie Tagesgeld von allen anderen Steuerbefreiungen ab". Auch in der weiteren, in der RdW erschienenen Abhandlung "Tagesgelder: Höhe und Anknüpfung an Kollektivverträge verfassungswidrig?"; RdW 1989, 171 beschäftigt er sich mit den Tagesgeldern. Hiermit erzielt er mit der Aufhebung von Bestimmungen des § 26 Z 4 EStG durch den VfGH aber nur einen Zwischenerfolg, die Behandlung einer Beschwerde gegen die Nachfolgebestimmung des § 3 Abs 1 Z 16b EStG wird ungeachtet seiner neuerlichen Kritik ("Tagesgeld neu - wieder verfassungswidrig", RdW 2007, 365) vom VfGH abgelehnt (Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG-Kommentar, § 3 Tz 204).

Wie schon in RdW 1998, 514 bezweifelt er auch in seiner Abschiedsvorlesung an der Universität Wien im Wintersemester 2010/11 erfolglos die steuerpolitische Rechtfertigung der Berücksichtigung von Rückstellungen. Bei der Steuerreform 1993 war die Bildung von Rückstellungen eingeschränkt worden und sie sollte mit eben der Begründung dieser Novelle nach Meinung Doralts (verbunden mit einem Verlustrücktrag) final gekippt werden. 2019 widmet er sich einem noch viel heikleren Thema: In einem Interview mit dem BFG-Journal zu "40 Jahre Kodex-Reihe" schlägt Doralt − in sehr mildem Ton − eine Reform der Besteuerung der sonstigen Bezüge vor und bezieht sich dabei auf den seinerzeit daran gescheiterten Finanzminister Andreas Staribacher. Bekanntlich ist − von ihm nicht erwähnt − durch das erste Stabilitätsgesetz 2012 im § 67 Abs 1 EStG zusätzlich zu den 6 % ein (allerdings nur bei sehr hohen Bezügen greifender) Stufentarif samt Anwendung des Spitzensteuersatzes eingeführt worden. Nach Doralts Vorschlag soll für sonstige Bezüge über einer bestimmten Höhe für den übersteigenden Teil der progressive Normalsteuersatz gelten. Eine solche weitreichende Änderung müsste im Gegenzug zu einer drastischen Tarifsenkung führen, erscheint aber heute ebenso wie zu Staribachers Zeiten kaum durchsetzbar (ganz abgesehen von der Frage, was bei dem einheitlichen Einkommensteuertarif passiert). Doralt als der schon zuvor erwähnte Steuermissionar ist aber auch in diesem Fall ein unbeirrbarer Optimist!

Nun noch zum Persönlichen: Werner Doralt ist in den Redaktionssitzungen der ÖStZ im Jugendstilhaus am Wiener Graben oberhalb der Pension Nossek (an denen häufig auch der Verleger Norbert Orac teilnimmt und die von Eva Neidhart betreut werden) einer derjenigen, der die Diskussionen gerne mit Pfeffer würzt und damit lebendig macht. Im Nachgang zu den Fachdiskussionen wird dann aber auch immer wieder Kunstsinniges und Weitläufiges ausgetauscht und man geht ohne merkbaren Groll auseinander. Soweit vergönnt freuen sich die heutigen Herausgeber der ÖStZ immer wieder auf Begegnungen mit ihm abseits des Tagesgeschäfts. Bei den Verlagstreffen erleben ihn auch viele jüngere Menschen unter unseren Leserinnen und Lesern stets als zugänglichen, fröhlichen Menschen und klugen Experten. Ein Gespräch mit ihm ist immer ein Gewinn.

Lieber Werner!

Die Herausgeber der ÖStZ wünschen Dir alles erdenklich Gute, erhalte Dir Deine vielfältigen Interessen und behalte die ÖStZ − so wie sie Dich − in herzlicher Erinnerung!

Artikel-Nr.
ÖStZ 2022/107

15.03.2022
Heft 5/2022